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Ausgabe:

1995

Spalte:

835-837

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Rössler, Martin

Titel/Untertitel:

Schleiermachers Programm der Philosophischen Theologie 1995

Rezensent:

Peiter, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 9

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rakter des Mahles oder hinsichtlich der nach wie vor umstrittenen
Verhältnisbestimmung zwischen dem Handeln Gottes und
dem Handeln des Menschen bzw. der Kirche im sakramentalen
Geschehen. Zugleich plädiert der Vf. mit Emphase dafür, die
bewährte Methode der „Konferenztheologie" aufzugreifen, um
so zum Ziel der Abendmahls- und Kirchengemeinschaft zu
gelangen. Der konkrete Vorschlag lautet, „die Überlegungen
des Malta-Papiers von 1972 zur Interkommunion wieder aufzugreifen
, ...die gegenseitige eucharistische Gastbereitschal't in
einem ersten Schritt zu erklären, in einem zweiten Schritt...
Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft durch Konkordie zu ermöglichen
" (318). Auf die genannte Eingangsfrage gibt der Vf.
eine ebenso klare wie schlichte Antwort. Er kommt zu dem
Schluß, daß eine „Trennung am Tisch des Herrn... nach dem
erfolgreichen Abschluß dieser langjährigen Lehrgespräche über
das Abendmahl nicht mehr mit Differenzen in der Abendmahlslehre
begründet werden" kann (334).

Die Arbeit ist vor allem eins: eine verständlich und informativ
abgefaßte, breite Darstellung der Abendmahlsdiskussion unter
dem Vorzeichen, daß auf der Ebene theologischer Diskussion
zwar Differenzen weiterbestehen, aber der Konsens so weitreichend
ist, daß einer Abendmahls- und Kirchengemeinschaft
nichts mehr entgegensteht. Eine begründende und argumentierende
Weise des Redens tritt gegenüber der beschreibenden
Darlegung dieser Einschätzung zurück. Der Vf. macht sich im
wesentlichen die Orientierungen und die theologischen Paradigmen
der Konsens- und Konvergenztexte zu eigen. Auch in der
schwierigen Frage des kirchlichen Amtes sieht er einen weitreichenden
Konsens als gegeben an und unterstreicht die Aussage
des Malta-Papiers, daß „die Verwirklichung eucharistischer
Gemeinschaft nicht ausschließlich von der vollen Anerkennung
der Ämter abhängig gemacht werden" darf (311).

Die Fülle der mit einbezogenen Fragen führt trotz der klaren
Gliederung dazu, daß viele Problembereiche nur kurz angerissen
werden können und dem Leser nur wenig Angebote gemacht
werden, die Komplexität der ökumenischen Gesprächssituation
zum Abendmahl auf Wesentliches zu reduzieren. Im
Fortgang der Darlegungen relativiert der Vf. seine Entscheidung
, das Herrenmahl-Dokument zum zentralen Bezugspunkt
der Überlegungen zu machen, insofern er mit Recht darauf hinweist
, daß hier lediglich eine Station innerhalb eines weitergehenden
Diskussionsprozesses zu sehen ist und der intensive
Rezeptionsprozeß des Lima-Textes Chancen und Grenzen des
ökumenischen Dialoges in viel deutlicherer Weise widerspiegelt
. Die Ergebnisse seiner Untersuchung zeigen sein fraglos
begrüßenswertes ökumenisches Engagement. Zugleich machen
sie deutlich, daß das theologische Nachdenken des Vf.s im Rahmen
der am formulierten Konsens orientierten Methodik zu
wenig vermittelt wird mit der faktischen Trennung am Tisch
des Herrn und ihren Begründungen. Am deutlichsten zeigt sich
dies daran, daß die Ambivalenz des Rezeptionsprozesses der
ökumenischen Erklärungen zum Abendmahl zwar erwähnt
wird, aus ihr aber keine Folgerungen im Blick auf die Grenzen
dieser Verständigungsmethodik gezogen werden.

Stuttgart Reinhard Hempelmann

Rössler, Martin: Schleiermachers Programm der philosophischen
Theologie. Berlin-New York: de Gruyter 1994. XII,
235 S. gr.8° = Schleiermacher-Archiv, 14. Lw. DM 158,-.
ISBN 3-11-014171-X.

Die Theologie ist eine positive Wissenschaft, die R. durch vier
Merkmale charakterisiert sieht: /. Zweckgebundenheit. Die Beziehung
auf einen äußeren, d.h. außerhalb des Wissens selbst liegenden
Zweck sei notwendiger und hinreichender Grund für die

Einheit der Wissenschaft. R. macht insofern keinen Unterschied
zwischen einem äußeren und einem inneren Zweck, als die Einheit
der theologischen Wissenschaften „nur die religiöse Beziehung
" ist. 2. Methodische und sachliche Vielfalt. Die Theologie,
deren Teile nach KD2 § 1 zu einem Ganzen verbunden sind (und
zwar nur durch ihre gemeinsame Beziehung auf eine bestimmte
Gestaltung des Gottesbewußtseins, der christlichen auf das Christentum
), sei keine homogene Wissenschaft. 3. Praxisbezug. Die
positiven Wissenschaften verdanken nach R. ihre Einheit der
praktischen Bewältigung einer positiv-gegebenen Aufgabe, wobei
der dabei vorausgesetzte Sprachgebrauch von Schleiermachers
Aufnahme des auf die Religion bezogenen Begriffspaares
..natürlich" und „positiv" zu unterscheiden sei.

In einem (im Unterschied zu anderen Autoren in R.s Literaturverzeichnis
unerwähnt gebliebenen) einschlägigen Beitrag zu TBT 51 hatte ich gefragt,
was etwa einem Arzt (als positive Wissensehft ist die Theologie mit der
Medizin vergleichbar) gegeben ist - außer einer Krankheit und der Aufgabe
, dieselbe zu heilen. Was soll an einer Krankheit positiv sein? Positiv
wäre eine Aufgabe in dem Sinne, daß sie eine besondere, eine eigentümliche
wäre (die ärztliche Kunst ist keine Kunst für jedermann, geschweige
denn für Laien und Dilettanten, sondern eine Kunst, die besondere Kenntnisse
und Fertigkeiten voraussetzt). Ähnlich wie die Gesundheit kann der
Glaube, dessen Erhaltung (Erhaltung schließt nach ThEnz., S. 1, 23 Hervorbringung
ein) die Theologie sich angelegen sein läßt, in der Gemeinschaft,
in der Gesellschaft verlorengegangen sein.

R. ist mehr als ein Schüler und zeigt Selbständigkeit gegenüber
H.-J. Birkner, dem ursprünglichen Betreuer seiner Dissertationsschrift
, wenn er von einer offenen und fragmentarischen
Gestalt und einer Relativität auch des Geltungsanspruchs des
Wissenschaftssystems spricht. Wie soll eine umfassende Entfaltung
der Theologie aus einem einzigen Begriff möglich sein
(17), wenn noch nicht einmal aus dem Namen „Theologie" sich
ableiten läßt, was sie ist? 4. Geschichtliche Bedingtheit. Eine
deutlichere Ausprägung des spekulativen Denkens führe zur
Entmythologisierung. Das Problem, daß Mythologie (nur eine
nicht mythologisch existierende Kirche hat eine Theologie) und
religiöse Spekulation eng zusammengehören, wird R. in seiner
weiteren theologischen Arbeit an der Kieler Schleiermacher-
Forschungsstelle begleiten.

Für R. bleibt Schleiermachers (im folgenden = S.) Theologiebegriff
an einer Stelle unvollständig, weil S. die Enzyklopädie
nicht mehr zu integrieren vermöge. Was S. „formal" nennt, ncnnl
R. „metatheoretisch": Die Enzyklopädie habe als Metatheorie die
Theologie selbst zu ihrem Gegenstand. Für S. hat die Theologie,
hat jede theologische Disziplin einen Inhalt. Die Enzyklopädie,
die noch nicht einmal einen kurzen Abriß von dem Hauptinhalt
der einzelnen theologischen Disziplinen gibt und Disziplinen
vorstellt, die inhaltlich höchst unvollständig bearbeitet sind
(noch nicht einmal „ein Minimum von Materie" sollte in sie hineingebracht
werden), hat keinen Inhalt. Sie ist formal.

Im 3. Kapitel stellt R. das Programm der Philosophischen
Theologie vor. Zu dem schwierigen Ausdruck „Standpunkt
über dem Christentum" bemerkt er, daß das Wesen einer einzelnen
Religion nur im Vergleich mit den ihr begrifflich und geschichtlich
verwandten Glaubensformen vollständig erfaßt werden
kann. Was „Apologetik" heißt, wird schön konkret, wenn
R. ihren Sitz im Leben beschreibt: „Wird durch einen Angriff
von außen die Wahrheit... des Christentums bestritten, so muß
die Kirchenleitung das Bestreben haben, diesen Einfluß unwirksam
zu machen". Während die Apologetik eine größere Nähe
zu Wesensbestimmung des Christentums aufweise, stehe die
Polemik der Kirchenleitung grundsätzlich näher.

In seinem 4. (der Einleitung in die Glaubenslehre gewidmeten
) Kapitel „Die fragmentarische Entfaltung der Philosophischen
Theologie" werden vier apologetische Unteraufgaben beschrieben
: 1. Nachweis der geschichtlichen Individualität des
Christentums durch die Darstellung seiner Entstehung; 2. Nachweis
seines geschichtlichen Zusammenhangs mit ihm vorausge-