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Ausgabe:

1995

Spalte:

799-801

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Korting, Georg

Titel/Untertitel:

Die esoterische Struktur des Johannesevangeliums 1995

Rezensent:

Frey, Jörg

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799

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 9

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sogar fragen können, ob er zur Synthese nur unwillig oder gar
unfähig war, so zeigt sich an seinem Aufsatz über die Theologie
des Neuen Testaments, daß er durchaus zur Frage der Synthese
Wichtiges zu sagen vermag, daß er aber Synthese anders versteht
als der, der sich um die genuin theologische Synthese
bemüht. Synthese ist für R., wenn ich es richtig sehe, die
Zusammenschau des historisch Verifzierbaren.

R. ist für den Neutestamentier ein unverzichtbarer Gesprächspartner
. Derjenige, dem es in seiner exegetischen Arbeit vor
allem um das Neue Testament als theologisches Buch geht, in
welchem, freilich im Horizont eines nicht repristinierbaren antiken
Denkens, Gottes Offenbarung zur Sprache kommt - und der
Rez. will genau dies -, mag wichtigste Ergebnisse des finnischen
Exegeten, gerade auch in ihren methodologischen und wissenschaftstheoretischen
Konsequenzen, für nicht vertretbar halten.
Aber er wird die Diskussion mit R., wenn er sich wirklich auf
dessen Detailargumentation einläßt, als bereichernd erfahren.
Querdenker mögen oft irren; sie haben aber das große Verdienst,
zum Nach-Denken und Weiter-Denken zu animieren. Dafür verdienen
sie unseren Dank. Dafür verdient R. unseren Dank.

Richten wir unseren Blick zurück auf alle drei Bücher! Vergleicht
man sie miteinander, so zeigt sich ein buntes Bild der
internationalen Forschung am Neuen Testament. Der Blick geht
dabei auch über die eigenen Plausibilitäten hinaus auf „fremde"
Plausibilitätsstrukturen. Und zuweilen kann es dann auch dazu
kommen, über den eigenen Schatten zu springen. Ich gestehe
freilich, daß es mir im Falle von Morna D. Hooker und Heikki
Räsisänen nicht recht gelingt. Aber das spricht nicht gegen diese
beiden. Das Bild, das sich uns zeigte, ist das Bild von der
paulinischen Exegese als Darstellung der paulinischen Theologie
über eine andere Art von Theologie, als sie in der Regel in
Deutschland verstanden wird, zur Exegese, die bewußt Religionsgeschichte
an die Stelle der Theologie setzt. Wer diese drei
Bücher synoptisch liest, hat wesentliche Aspekte der internationalen
Forschung am Neuen Testament zur Kenntnis nehmen
dürfen.

Göttingen Hans Hühner

1 H. Räisänen, Paul and the Law (WUNT 29), Tübingen 11983, 21987.

2 ThLZ 110, 1985, 894-896.

' Räisänens Antwort auf meine Rezension findet sich im Vorwort zur 2.
Auflage seiner Paulus-Monographie.

4 H. Räisänen. Beyond New Testament Theology. A story and a Programme
. London/Philadelphia 1990.

5 S. meine Kritik an Räisänen. Beyond New Testament Theology, in H.
Hühner, Biblische Theologie des Neuen Testaments I, Göttingen 1990, 27,
Anm. 60.

Körting, Georg: Die esoterische Struktur des Johannesevangeliums
, Teil 1 u. 2. Regensburg: Pustet 1994. XV, 447 S. u.
88 S. 8° = Biblische Untersuchungen 25. Kart. DM 58,-.
ISBN 3-7917-1422-8.

Die Untersuchung K.s versucht, in streng synchroner Analyse
für das JoEv (einschließlich c. 21) ein durchgängiges Strukturprinzip
zu erheben, das nicht allein den Aufbau im ganzen, sondern
auch die Detailgliederung bis zur Ebene kleinster Sinneinheiten
bestimmt und sich so für das ganze Evangelium als „ein-
heitsstiftendes Moment" (I, 3f.) erweist. K. sieht dieses Moment
in einer Weiterbildung des synthetischen Parallelismus
membrorum, der im JoEv (z. B. in 4,13b-14) zur Dreigliedrigkeit
ausgebaut sei, wobei jeweils auf dem dritten Glied besonderes
Gewicht liege. Dementsprechend erkennt K. überall Dreier
-Strukturen: Das JoEv gliedere sich in 3 Akte (1,19-6,71; 7,1-
12,50; 13,1-21,25), jeder Akt in 3 Szenengänge, jeder Szenengang
in 3 Teile usw. bis hinunter zur Ebene der Verse und Sinnzeilen
. Das JoEv sei so „bis ins letzte durchstrukturiert" (I, 63).
Die aus den Analysen K.s hervorgehende Feinstruktur ist der
kolometrischen Wiedergabe des Textes zu entnehmen, die der
Arbeit in Form eines Beiheftes (Teil 2) mitgegeben ist.

Die Textwiedergabe zeigt freilich auch, daß eine durchgehende
Gliederung des Textes in Dreierstrukturen nicht aufgeht.
Häufig sind nur zwei oder vier und mehr Kola erforderlich. Im
übrigen lasssen sich viele der von K. postulierten Szenengänge.
Teile, Szenen etc. nicht aufgrund literarischer Indizien, sondern
lediglich aus sachlich-theologischen Gründen als solche erkennen
. Ist damit die Suche nach einem einheitlichen Strukturprinzip
nicht gescheitert? K. macht aus dieser Not eine Tugend und
meint, die Eigenart der jo Komposition liege gerade in der
Durchdringung literarischer und theologisch-inhaltlicher Struktur
-Elemente. Wo die literarische Form nicht eindeutig sei oder
im Lauf des Textes aufgebrochen werde, müsse man die äußerlich
-formale Ebene auf eine innerlich-spirituelle Betrachtung
hin übersteigen. Darin sieht K. die „esoterische" Haltung, die
der joh Text seinen Lesern abverlange (1,51).

Als primäres Gliederungsmerkmal will K. im jo Text die
Ortsangaben und -Wechsel berücksichtigen (chronologische
Strukturen hält er demgegenüber für untergeordnet). Bestimmend
für die Struktur des JoEv sei die Bewegung Jesu (als
Bewegung des Logos), der dreimal von Galiläa nach Jerusalem
zieht und sich wieder von dort wegbewegt, die ersten beiden
Male auf der äußerlich-geographischen Ebene zurück nach
Galiläa und schließlich - in einer .Aufhebung der äußeren
Form' - auf der innerlich-spirituellen Ebene ,zum Vater'.

K. hat eine Fülle entlegener und älterer Literatur mit zahlreichen
Gliederungsversuchen verarbeitet, die er aber nicht in
einem systematischen Überblick vorstellt (s. dazu G. Mlakuz-
hyil, The Christocentric Literary Structure of the Fourth Gos-
pel, Rom 1987, 17-135), sondern nur nach Bedarf in seinen Argumentationsgang
einflicht. Ein Gesamtverzeichnis der verwerteten
Titel (über die knappe Auswahl 11.77-83 hinaus) fehlt
ebenso wie ein Register. Die etwas unübersichtliche und nicht
leicht zu lesende Darstellung bietet eine Fülle interessanter
Detailbeobachtungen. Gegenüber den Verfechtern einer konzentrischen
Struktur der jo Perikopen verweist K. mit Recht auf
die Bedeutung linearer und klimaktischer Aufbauprinzipien.
Auch in seiner Kritik an den überscharfen 1 iterarkritischen
Schichtentrennungen im 4. Evangelium etwa im Entwurf G.
Richters (I,86f.) ist ihm m. E. zuzustimmen. Freilich scheint die
literarisch-theologische Einheit (1,98) des JoEv mit der von K.
gewählten Vorgehensweise kaum nachweisbar zu sein. Auch
wenn man den heuristischen Wert rein synchroner Analysen
grundsätzlich anerkennt und strukturanalytische Ansätze bejaht,
wird man K.s Methode eine Reihe kritischer Fragen entgegenhalten
müssen:

K. geht nicht von literarischen Einzelanalysen aus. sondern „von einer
Gesamtvision" (1,64), er meint, eine literarische Struktur lasse sich „nur
aufgrund der .theologischen Bewegung"* erheben (1.96). Werden damit
nicht zwei Argumentationsebenen, die eher .objektive' der sprachlichen
Beobachtungen und die sehr viel subjektivere der theologischen Deutung
und Gesamtschau, in problematischer Weise vermischt? Was soll eine
.theologische Bewegung' sein, die sich nicht in sprachlichen Zeichen
erkennbar vermittelt? Werden mit einem solchen Ansatz die formalen
Inkonsistenzen, die K. selbst wahrnimmt, nicht nur verschleiert und jedenfalls
allzu schnell übersprungen? Bei den erhobenen Strukturen bleibt nicht
selten ein Eindruck der Willkürlichkeit. Häufig könnte die Gliederung im
Detail so oder auch anders vorgenommen werden. Nur ein Beispiel: Im
Prolog Jo 1.1-18. in dem K. die .Bewegung' des ganzen Evangeliums
vorgebildet sieht, werden innerhalb der .Rahmung' (V. If. 18) drei Teile
abgegrenzt (V. 3-8.9-13.14-17), die nach K.s Auffassung jeweils der
„semantischen Basisstruktur" Anthropogenese - Theophanie - Theopraxie
(1.75) folgen sollen. Dies alles geschieht ohne eine präzise syntaktische und
semantische Analyse, so daß die literarischen Beobachtungen, die K.
zugunsten seiner Aufteilung anführt (I.67ff.). eher zufällig oder beliebig
erscheinen. Die Strukturanalyse dieses Textes bleibt daher methodisch weit