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Ausgabe:

1995

Spalte:

791-793

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gräßer, Erich

Titel/Untertitel:

An die Hebräer 1995

Rezensent:

März, Claus-Peter

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 9

792

Neues Testament

Gräßer, Erich: An die Hebräer. 2. Teilbd.: Hebr 7.1-10.18.
Zürich: Benziger: Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag
1993. X. 238 S. gr.8° = EKK. Evang.-Kath. Kommentar zum
Neuen Testament, XVII,2. Kart. DM 86,-. ISBN 3-545-
23125-9 u. 3-7887-1443-3.

Drei Jahre nach Erscheinen des I.Bandes (vgl.ThLZ 117, 1992,
749-754) legt E. Gräßer mit der Kommentierung von Hebr 7,1-
10,18 einen weiteren Teil seines großen Hebr-Kommentares
vor. Die Auslegung wendet sich damit jenem Textbereich zu, in
dem die Hohepriester-Typologie ihre kulttheologische Entfaltung
erfährt und der deshalb für das Veständnis des Schreibens
von entscheidender Bedeutung ist. In diesem Sinne ordnet G.
schon im Vorwort die Ausführungen in den Gesamtzusammenhang
der Auslegung des Hebr ein: „Von den beiden .Leitthemen
'" des Schreibens „war eines, das ekklesiologische, Gegenstand
unseres l. Teilbandes: die Gemeinde als das wandernde
Gottesvolk auf dem Weg zum himmlischen Ruheort (1-6). Das
andere, das christologische Leitthema, kommt in diesem
2. Teilband zur Verhandlung: Jesus als himmlischer Hoherprie-
ster bringt sich selbst ein für allemal als Opfer dar (7,1-10.18)."
(VII) G. versteht Hebr 7,1-10.18 dabei von der antiken Rhetorik
her als „die beweisende Ausführung des Themas nach seiner
Hauptseite..., die als der eigentliche Grund zum Festhalten am
Hoffnungsbekenntnis gilt, was dann im hmkoyoc, (10,19-21)
ausgeführt wird." (7) Die parakletische Grundorientierung des
Schreibens verlangt somit, die christologischen Entfaltungen
immer auch von ihrer Hinordnung auf eine bestimmte kirchliche
Situation her zu entschlüsseln. Die Kommentierung sieht
dabei in 7,1-28 die „Würde", in 8.1-10,18 den „Dienst des
Hohenpriesters" ausgesprochen und bleibt auch bei der Einzelstruktur
bei den weithin aufgenommenen Abschnitten: 7.1-10
(„Melehisedek und die Leviten"); 11-28 („Das alte und neue
Priestertum"); 8,1-13 („Der eilte und neue Bund"); 9,1-28 („Der
alte und neue Kult"): 10,1-18 („Die Erlösung von der Sünde").
Die Auslegung führt konsequent die schon im 1. Band gezeichnete
theologische Linie fort, wobei freilich einige der entscheidendsten
Problemfelder jetzt voll in das Blickfeld der Kommentierung
treten (Jesus Christus als Hoherpriester, neuer und
alter Kult, neuer und alter Bund, Hermeneutik der Kultaussagen
).

Einige Akzentuierungen der Kommentierung mögen die Gesamtausrichtung
exemplarisch belegen: G. zeigt sich bei Kap 7
- u.E. völlig zu Recht - sehr zurückhaltend gegenüber quellenkritischen
Erklärungsversuchen, die die Entfaltungen des Vf.s
von bestimmten Vorgaben abhängig machen möchten: Die
Inanspruchnahme der Melchisedek-Gestalt für die christologische
Argumentation könne ohne Schwierigkeiten auf die
schriftgelehrte Argumentation des Vf.s zurückgeführt werden,
gleiches gelte für die sprachliche Prägung von 7,1-3 und 7,26-
28. Der Vf. nehme auch nicht ein spezielles Melchisedek-Bild
auf, vielmehr sei davon auszugehen, daß er ein solches gebildet
habe. G. läßt keinen Zweifel daran - und dies wird gerade auch
am Blick auf Hebr 7 deutlich -, wie hoch er die systematische
Kraft des auetor ad Hebraeos einschätzt, der zwar in einem bestimmten
geistigen Horizont schreibt und ohne Zweifel auch
Vorgaben aufnimmt, dennoch aber einen auf eigener theologischer
Arbeit basierenden theologischen „Wurf vorlegt und in
diesem ein ganzes hermeneutisches „Programm" sichtbar werden
läßt.

G. unterstreicht völlig zu Recht die herausragende Bedeutung
von Kap. 8, in dem das bislang Entfaltete „auf den Punkt"
gebracht wird (8,1 ff.) und zugleich die entscheidenden theologischen
Leitlinien des Schreibens miteinander verknüpft werden
(Erhöhung des Sohnes, Soteriologie, alter und neuer Kult,
alter und neuer Bund, irdisches und himmlisches Heiligtum).
Die „Hauptsache" ist dabei der erhöhte Hohepriester Jesus
Christus, der für die Seinen „Rettung" bedeutet, die gerade „im
Vergleich zur altbundlichen Heilsökonomie zu dem wird, was
sie jetzt ist: zur nicht mehr überbietbaren, eschatologisch gültigen
Erlösung..." (105). Die „radikale Antithetik" zwischen altem
und neuem Bund „dient hermeneutisch (nicht polemisch!)
der parakletischen Absicht... die Neuheit. Einzigartigkeit und
Überlegenheit des von Christus gestifteten Bundes herauszustreichen
." (106) G. sieht durchaus, daß gerade mit der negativen
Qualifizierung des „ersten Bundes" in 8.7.13 besonders da.
wo man die dialektische Darstellung des Hebr nicht aufnimmt,
die Vorstellung entstehen kann, in diesen Texten sei „die Abrogation
der jüdischen Religion formuliert." (16) Diese Sicht hat
aber im Schreiben selbst keinen wirklichen Rückhalt: „Der
Hebr polemisiert nicht gegen das nachchristliche Judentum. Seine
Diastase lautet himmlisch/irdisch, nicht jüdisch/christlich."
(107) In diesem Sinne warnt er abschließend auch vor einer
heutigen Aneignung des Textes, die der „Substitutionstheorie in
der Weise" verfällt, daß sie „die christliche Kirche als heilsgeschichtliche
Institution" versteht, „die vollgültig an die Stelle
Israels getreten ist." (236)

Wichtig ist dem Kommentar die angemessene Einordnung
der Kulttheologie: Schon von 7,22 her wird verdeutlicht, was
dann in 9,11-10,18 noch deutlicher hervortritt: Das Selbstopfer
Jesu Christi macht „den entscheidenden Unterschied zwischen
ihm und anderen Priestern und Hohenpriestern aus" (73). Weil
er, „der der Sohn Gottes ist, das opfert: sich selbst, ist sein
Opfer im Unterschied zu allen anderen wirksames, ein für allemal
gültig vollzogenes... Opfer...". (73) Damit aber deutet sich
das hermeneutische Problem der Hohepriester-Christologie an:
Die Opfer-Vorstellung und -Terminologie spricht zwar die
gemeinte Sache an. diese aber reicht weit über die Sprachform
hinaus. „Sprachgestalt und Sachverhalt liegen nicht einfach
ineinander." (73) So genügt es „angesichts der hochspekulativen
Sühnetodtheologie" nach G. keineswegs, nur deren ...biblischen
' Charakter zu betonen." (165) Vielmehr ist deutlich zu
sehen, daß die kultische Opfervorstellung für den Hebr nur ein
„Hilfsmittel" ist. Von der Sache her ist das Schreiben vielmehr
„in origineller Weise um die .Grundfrage der christlichen Soteriologie
' bemüht: .Wie kann ein einzelnes historisches Ereignis
eine zeitlose Gültigkeit besitzen?' (Schierse)". Da/u tritt die
parakletische Orientierung, die das Kreuz Jesu Christi als Er-
möglichungsgrund der „Zuversicht" erweisen will. Damit aber
ist deutlich, daß der kulttheologische Ansatz des auetor ad
Hebraeos nicht etwa auf eine Legitimation neuen kultischen
Brauchtums ziele, sondern vielmehr auch auf eine Kultkritik
hinauslaufe, die an Entschiedenheit durchaus mit der paulini-
schen Gesetzeskritik zu vergleichen ist. G. schreibt zugespitzt:

.....aus Werken des Kultes wird kein Fleisch geheiligt - so. als

Variation des Kardinalsatzes der paulinischen Rechtfertigungstheologie
, läßt sich die Zentralaussage unseres Abschnitts 10.1-
18 umsehreiben." (236)

Im nutzlosen Streit, ob der Sohn nach dem Hebr von der
Präexistenz her. seit der Inkarnation, mittels Leiden und Tod,
durch die Erhöhung Hoherpriester sei. set/t sich G. einmal
mehr für eine übergreifende Lösung ein. die zugleich den her-
meneutischen Horizont seines kulttheologischen Ansatzes erkennen
läßt. Er vermerkt zu 9.11 - „Jesus kam als Hoherpriester
der künftigen Güter" -, daß dieser Hinweis „nicht als biographisches
Datum geltend gemacht werden kann (7.14). sondern
als Argument einer (spannungsvollen) Christologie dient,
die Christus .werden' läßt (2,17; 5.9: 6,20). was er von Anfang
an .war' (10.5-10)." (143)

Die wenigen Akzente, die hier angesprochen werden können,
mögen belegen, daß die Kommentierung des Hebr von G. sich