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Ausgabe:

1995

Spalte:

786-790

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Levin, Christoph

Titel/Untertitel:

Der Jahwist 1995

Rezensent:

Blum, Erhard

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Seite 1, Seite 2, Seite 3

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 9

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Vorlagen ganz verstanden werden können" (15. vgl. 26.75.117.
178.185.194.233). angesichts der Überlieferung dieser Vorlagen
im selben Buch nicht ein wesentliches Gegenindiz gegen
die Textvereinzelungen, die die Arbeit vornimmt? Doch derlei
darf einfach nicht sein - wegen der anderen Prämisse.

(2) Die Entstehung und Formulierung sogar von eo ipso
schriftlichen Prophetentexten kann nichts mit absichtsvoller Gestaltung
und Aktualisierung von Propheten.v< ///v/iv/? zu tun haben
. Der Grund: Redaktoren waren gemäß stillschweigend
unterstellten modernen Analogien bloß arrangierender und angleichender
Verwendung von Texten nicht auch Autoren, sondern
nur Kompilatoren von bereits fertig Gegebenem, die dies
später nach Stichwörtern oder einem „Unheil-Heil-Schema"
lediglich noch zusammengestellt, aber selbst nichts Substantielles
geschrieben haben.

Ausgeführte Gegenmodelle zu dieser Prämisse, die sich nicht
einmal für den Pentateuch eignet, gibt es, tu dieser Arbeit weder
methodisch noch sachlich herangezogen, für das Jesajabuch seit
den siebziger Jahren (Barth. Vermeylen); sie haben heute auch
im Zwölfprophetenbereich (Jeremias, Nogalski) ihre Bewährung
gezeigt. Sie sprechen von ..Redaktion", weil sie auch von
vornherein buchbezogene und in ein Buch formulierte Texte in
Betracht ziehen, die der Neulesung von Teilen oder sogar dem
Ganzem einer Schrift(enfolge) dienen sollen - mit Texten also,
die mit der buchgespeisten und kontextangewiesenen Formulierung
, aber etwa auch in der Gliederungsposition und in der
Errichtung von Großinklusionen der so fortgeschriebenen Textkomposition
form- und sachstrukturierte Leseabläufe einprägen
. Doch derlei Modelle, die nach den gewollten Sinnganzheiten
biblischer Bücher bzw. deren Vorstufen und einem bewußt
geschaffenen Sachprofil von Textabfolgen fragen, werden in
dieser Arbeit, wie zumal der Rez. mit Bedauern feststellen muß,
ohne auch nur den Versuch des Verstehcns, Nachdenkens und
einer kritischen Gegenprüfung der eigenen Ansicht zu machen,
sogleich in der „Einleitung" als unterstellte „Grüblerei" (16, vgl.
18A69) abgewiesen und im Verlauf der „Exegesen" in kurzen,
von Begründungen absehenden Hinweisen bis zur Lächerlichkeit
verstümmelt oder im Sinne der eigenen Kompilations-Voraussetzungen
mißverstanden.

Wer einer Gestaltung biblischer Schriften grundsätzlich kein
besonderes Eigenprofil zutraut und sich von vornherein schon
die f rage danach verbietet, der sieht und findet natürlich auch
nichts, w as dafür sprechen könnte. So meint die Arbeit - unbe-
greiflicherweise - die Frage, wie und wozu das TJ-Textgut
dann ins Jesajabuch gekommen ist, eigentlich ausblenden zu
können (20f); was sie gleichwohl zu späteren Redaktions- im
Sinne von Kompilationsmaßnahmen anbietet (z.B. 117.118.
121A9; 127.143.151.168.191 A244;202.229.231.279.286.323.
325). erscheint harmlos.

Die Arbeit hält sich viel darauf zugute, die Außenbeziehungen
der TJ-Texte gegenüber einer Flut von weitergehenden
Vorschlägen auf das wissenschaftlich Nachweisbare zu reduzieren
(15f und im ein/einen in den „Exegesen"). Was darüber
hinausgeht, kann sich, so ist die Meinung, später bei der Lesei schalt
der fertigen!!) Bücher einstellen; mit der Entstehung von
Texten zur Aktualisierung und Neustrukturierung werdender
Bücher hat es aber nichts zu tun (I8A72; 279A87). Im Kniefall
vor Prämisse 2 merkt die Arbeit freilich gar nicht, wie doppelzüngig
sie bei dieser Abweisung verfährt.

Völlig unbestritten ist. daß die längst bekannten, sogenannten „Zitate"
die Grundlage für die Erkenntnis von Textbeziehungen bilden. Hinzu kommen
bezeichnende Einzelwörter, auffallende Wortensemble-Übereinstim-
mungen. der in dieser Arbeit strapazierte „Musivstil" (vgl. I5+A61), sofern
dieses Rezeptionsgebilde auf kleinstem Raum überhaupt eine textangemessene
Kategorie darstellt, im Rahmen solcher Wahrnehmungen von Textbeziehungen
dann aber auch sachliche, stilistische und positioneile Entsprechungen
in den Beziehungskontexten. Übereinstimmungen in der Rezeption
desselben Spendeguts. Mehrfachbezüge in einem Text, implizite Verste-

hensvoraussetzungen. die explizit nur der literarische Bezugskontexl bietet.
Absichtsaspekte in der Anlage des Leseablaufs in Nah- oder auch Gesamtkontext
(Korrektur. Ergänzung) und anderes mehr innerhalb derselben
Schrift oder gar schon einer fixen Schriftenfolge als zusätzliches Ausdrucksmittel
von Bezugnahme. Die Arbeit rechnet in ihrem Mikrobereich
für die eruierten Einzelschriftstücke und deren Vorlagen neben Zitaten und
Musivstil auf Schritt und Tritt auch mit nur stilistischen und inhaltlichen
Anknüpfungen, mit Anlehnung an Gedankengut, mit intendierten Gegen-
satzformulierungen ohne Wortlautnachweis. Im Makrobereich aber, wo
Texte auf einen größeren literarischen Zusammenhang einer Schrift
womöglich so Bezug nehmen, wo sie zumindest in der vorliegenden Gestalt
und Anordnung auf dessen bewußt errichteten Ablaufsinn angewiesen und
somit absichtsvoll gebildeter Teil dieser Schrift sein könnten, darf all das
nicht mehr gelten, muß gar nicht erst geprüft werden, weil nicht sein kann,
was nach Prämisse 2 nicht sein darf. Die monierte größere Zahl von "Querbezügen
", auf die die TJ-Forschung aufmerksam geworden ist. hängt jedoch
nicht einfach mit unterstellenden ..Gedankenassoziationen" (16) zusammen,
sondern mit dem in dieser Arbeit völlig unerprobten, produktiven Redaktionskonzept
einer Beziehung von TJ-Formulicrungsvorgängen auf Ganzheit
und Ablauf voranstehender Schriften, deren sachliche Abfolgefluchtlinien
in TJ-Texten zu einem neuen Abschluß geführt werden.

Der Arbeit ist nicht vorzuwerfen, daß sie. im Willen. Tradition
und Redaktion zu unterscheiden, in TJ nach „kleinen Einheilen
" fragt (Prämisse 1) und erwägt, ob die Zusammenstellung
von TJ-Texten nicht rein kompilatorischen Charakter hat (Prämisse
2). Als Hypothesen sind solche Erwartungen wie alle
anderen natürlich auch im Falle TJ prüfenswert: doch ist es der
Textbefund, der das Ergebnis offenhält und im Weltstreit der
Lösungsansätze für das komplexe Textgebilde TJ entscheiden
muß. Daß diese Arbeit zwei Hypothesen in ihrer Verbindung
(Autoren für die „kleinen Einheiten", Kompilatoren für die
Bücher) aber als prinzipielle Vorentscheidung einsetzt, verhindert
Gegenproben, führt zu fataler Verengung der Textwahrnehmung
und im ganzen und einzelnen zu einem dürftigen
Ergebnis, das TJ nicht gerecht wird. Das Gesamtbild, das diese
Arbeit im Zuge ihrer Voraussetzungen für das Werden und
damit für das Verstehen der Komplexität von TJ vorschlägt,
mutet seltsam an. Daß TJ durch „Schreibtischpropheten" aus
beschriebenen, für das Verständnis aber auf literarische Vorlagen
bleibend angewiesenen Einzelzetteln entstanden ist. die
schließlich ohne viel Hintersinn ins thematisch verwandte Jesajabuch
verfrachtet werden, das ist nicht weise Beschränkung
auf das wissenschaftlich Nachweisbare, das ist in dieser Arbeit
Analysekonsequenz aus vorgefaßten Prämissen und fällt hinter
das eingangs gesteckte Ziel, das geschichtliche Werden Heiliger
Schriften am Beispiel TJ plausibel zu machen (12; vgl.
316ff.), weit zurück.

So bleibt diese Dissertation, die solcher Vorentscheidungen
wegen nicht zuerst erneut in die Texte schaut und der aktuellen
Diskussion zu TJ aus dem Wege geht, früheren Lösungsmodellen
unterlegen und bringt in ihrem Gesamtergebnis die Forschung
nicht wesentlich weiter. Man gewinnt eher den Eindruck
, daß diese Arbeit von den komplexen Fragen der heutigen
Prophetendiskussion erheblich überfordert war.

Zürich Odil Hannes Steck

Levin, Christoph: Der Jahwist. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 1993. 456 S. gr.8° = Forschungen zur Religion und
Literatur des Alten und Neuen Testaments. 157. Lw. DM
144.-. ISBN 3-525-53838-3.

Gibt es ihn also doch, „den Jahwisten"? Folgt man der Eigen-
präsentation der Hauptthese der vorliegenden Arbeit, dann werden
hier „die jahwistische Pentateuchquelle" und „die Urkundenhypothese
" bestätigt, und zwar „unabhängig" von der
Urkundenhypothese (11)! In concreto gilt dieser „J" als ein
redaktionelles Werk, das diverse schriftliche Quellen erstmals
zusammengefügt und durchgehend bearbeitet hat. Allerdings