Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1995

Spalte:

782-786

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Lau, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Schriftgelehrte Prophetie in Jes 56 - 66 1995

Rezensent:

Steck, Odil Hannes

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

781

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 9

782

seiner Osnabrücker. von Eckart Otto betreuten Dissertation
(1987). Die ersten 54 Seiten sind Standort- und Methodendefinitionen
, einschließlich eines kurzen Forschungsüberblicks zum
Problem der „Feinde" im Psalter (2-18: starke Betonung der
individuellen, konkreten, spirituell verarbeiteten Feinderfahrung
der Psalmisten; Ablehnung von ritualistischen, kultischen,
kollektiven, religionsgeschichtlichen, psychologischen Deutungen
). Die Feinde, der Psalmist und Gott befinden sich in einem
Dreiecksv erhältnis, in dem - theologisch signifikant - die Feinde
die Hinwendung des Beters zu Gott bewirken (10- "Why do
they want to break the relationship of die psalmists to Yahweh?
Because, they themselves do not have such relationship and
they do not aeeept the special claims of the psalmists to be righ-
teous..." (23).

Das ..theologische", sprich: spirituelle Problem der Feindbedrohung
(25f) soll nun durch sorgfältige Textuntersuchung
geklärt werden. Das bedeutet für den Autor: minutiöse Analyse
der Textstruktur (Vorbilder: Pierre Auffret [33f]; Eckart Otto
[35f]), die ihrerseits von der Syntax, genauer, von der Verbalbildung
abhängt. Darum die breite Vorführung des Diskussionsstandes
über das hebräische Verbalsystem (38-54: R. Meyer
; O. Rössler; W. Gross: H. P. Müller: D. Michel; R. Bartelmus
= Auswahl von christlichen, deutschen Grammatikern). D. hält
es bei den vielen Unsicherheiten der sprachgeschichtlichen
Theorien mit den mehr pragmatisch vorgehenden D. Michel
und R. Bartelmus: Tempus. Aspekt und Aktionsart des hebräischen
Verbalsatzes sind anders als im Deutschen. z.B. viel
mehr aktionsbezogen (vgl. R. Bartelmus. HYH. Bedeutung und
Funktion eines hebräischen „Allerweltswortes", St. Ottilien
1982, 43: Statt von Zeitstufensystem sollte man von einem
..Zeitlagesystem" sprechen, „in dem der jeweilige Relationspunkt
R nicht [wie beim Tempussystem] mit dem Gegenwartspunkt
G des Sprechenden übereinstimmen muß"). Im Verlauf
der Einzelanalysen (55-268) wird dann deutlich, daß nach seiner
Meinung dem hebräischen Nominalsatz und den SK|Suffix-
Konjugation]-Formen eine erhöhte theologische Bedeutung zukommt
. Sie drücken jeweils im Zentrum der Struktureinheiten
eines Psalms die Zuverlässigkeit des Gottesverhältnisses oder
Gottes aus.

Der Autor wählt für seine Einzeluntersuchung neun „Feind"-
Psalmen unter den Klageliedern des einzelnen aus: Das Feind-
motiv soll dominant, das Dreiecksverhältnis Feind - Psalmist -
Gott deutlich und der Psalm "not far too long" sein (26). Die Liste
der nach feststehendem Siebenerschema (Translation of and
Notes on the Text; Structure: Structural Divison; Interpretation;
Summary; Other Issues: 55) analysierten Beispieltexte besteht
aus den in dieser Reihenfolge besprochenen Psalmen: 13; 3; 54;
5; 56; 59: 140; 143: 71. In leicht variierten Bauplänen spielt sich
immer der gleiche Vorgang ab: Der durch Feinde angefochtene
Beter (vgl. z.B. das Hauptstichwort "dialectical contradiction
between the doers of evil and the innocent Psalmist", 190 u.ö.)
beruft sich auf das unverbrüchlich, je ewig gültige (im Nominalsatz
ausgesprochene) Gattesverhältnis ("both the Petitioner and
Yahweh belong to the same side and certainly not simply for a
given time, but always", 190). Dadurch bringt er "foes and
Yahweh in Opposition or dialectic to each other... the subjugation
of the two entities of the triangle, the foes and Yahweh into
dialectic would result in getting rid of the former" (168). In erster
Linie zeigen die Vertrauensaussagen der Klagelieder diese "firm
Foundation in the bond of communion with the basic reality of
Yahweh" (67). Es ist die "meta-empirieal reality" Gottes, die für
den Beter den "ground of his being" (63) darstellt. Von dieser Basis
her kann er die empirischen, widerwärtigen „dialektischen"
Verhältnisse umkehren und im Lobgelübde das erlangte Heil feiern
("access to the divine presence", 1411).

Das Drama der persönlichen Rettung ist nun keineswegs kultisch
begründet oder lokalisiert. D. streitet vehement gegen alle

kultsoziologischen Verortungen (vgl. die Vorstellung von S.
Mowinckel; H. Schmidt; W. Beyerlin; K. Seybold; R. Albertz;
E. S. Gerstenberger u.a.). Nein, das Psalmgebet bleibt ganz losgelöst
von äußeren Veranstaltungen, also doch wohl auf das
Gebetsleben des einzelnen reduziert. Selbst die Ankündigung
des Dankopfers (Ps 54.8) "is not to be taken as the evidence of a
cultic Sitz-im-Leben of the Ps, but only as the reference to an
outward sign of the inward thankfulness..." (120). Und die oft
verhandelte These J. Begrichs, der Umschwung von Klage zu
Rettungsgewißheit sei auf ein „priesterliches Heilsorakel" zurückzuführen
, darf schon deshalb nicht gelten, weil sie viel zu
„kultisch" ist (102-107). Hier allerdings gelingt es D.. sich
selbst durch einen hübschen Vergleich zu widerlegen. Ein Patient
brauche auch keine verbale Zusicherung seines Arztes, um
an die Heilung zu glauben (107)! Ich kenne keinen Arzt, der
seinem Patienten nicht Genesung auch zuspricht. Sollte das in
Indien anders sein? Der Punkt zeigt, daß der Autor mit dem
kommunikativ-interaktionär Rituellen, das zweifellos mit zum
Psalmgebet gehörte, in keiner Weise in Berührung kommen
will. Er bleibt völlig auf der seelisch-frömmigkeitlichen Ebene,
für die alle äußeren Abläufe unerheblich sind. Man vergleiche
seinen grundsätzlichen Widerspruch gegen W. Beyerlin:

"His treatmenl of the Ps Igemeint ist Ps 3: Anm. des Rez.J on the whole
gives the impression (hat it represents an attempt of seeing the theological
ideas as only confining to the context of the institutional framework centring
[sie!] around the Temple. The theological eategories rather chiefly
serve the purpose of building up the f'oundation of t'aith eoncerning the relationship
between man and God. both at the individual and the corporate
levels. The cultic institutions provide occasions for the extemal expression
as well as the exercise of Ulis internal t'aith..." ((09).

Man kann sicherlich die Psalmen in dieser Weise ungeschichtlich
und losgelöst von gesellschaftlichen Bezügen lesen.
Es werden sich auch dieser Lektüre manche Zusammenhänge
eröffnen. Ob dafür das Instrumentarium von hebräischer Syntax
und strukturaler Exegese nötig ist, bleibt fraglich. Sicher ist,
daß die in der historisch-kritischen und sozialgeschichtlichen
Exegese gesuchte Andersartigkeit der alten und doch weiterwirkend
so wirkungskräftigen Gebete außerhalb des Horizontes
bleibt. Damit können sie aber auch keinerlei korrigierende
Funktion uns gegenüber entfalten, z.B. gegenüber einer verbreiteten
christlichen Interpretation der Klagelieder des einzelnen,
welche sich nur auf das individuelle Seelenheil beschränkt und
die gesellschaftlichen Implikationen auch dieser Psalmengattung
ganz außer acht läßt.

Marburg Erhard S. Gerstenberger

Lau, Wolfgang: Schriftgelehrte Prophetie in Jes 56-66. Eine
Untersuchung zu den literarischen Bezügen in den letzten elf
Kapiteln des Jesajabuches. Berlin-New York: de Gruyter
1994. IX, 357 S. gr. 8° = Beihefte zur Zeitschrift für die altte-
stamentliche Wissenschaft. 225. Lw. DM 172,-. ISBN 3-11-
014239-2.

Die „Tritojesaja" genannte Textfolge Jes 56-66 (TJ) steht in
vielem neutestamentlichen Erwartungen schon erstaunlich nahe
, macht aber nach Inhalt und Anordnung in sich selbst einen
komplexen Eindruck, der auf gestaffelte Entstehung deutet. Wie
man die Aussagen ursprünglich verstehen soll, hängt davon ab,
welchen Umfang man ihnen auf der jeweiligen Entstehungsebe-
ne zuweist und wie man die längst bekannte Anlehnung der
Aussagen an externe, bereits bestehende Texte vor allem aus
Jes 40-55 (DJ) auswertet. In der jüngsten TJ-Forschung stehen
sich im wesentlichen zwei Lösungsmodelle gegenüber. Einerseits
das eher herkömmliche Modell, demzufolge TJ aus mündlich
verkündeten Einzeltexten entstanden ist, die teilweise (Se-
kine) oder sogar weitgehend (Koenen) von einem prophetischen