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Ausgabe:

1995

Spalte:

59-61

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Theis, Robert

Titel/Untertitel:

Gott 1995

Rezensent:

Keil, Günther

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 1

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Überhaupt erscheint es mir als äußerst lobenswert, daß sich M.
in dieser Arbeit, die im Sommer 1993 von der Philosophisch-
Historischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation
angenommen wurde, nicht scheut, theologische Zentralfragen zu
behandeln, ist man es doch schon fast gewohnt, daß fein säuberlich
zwischen theologischen und philosophischen Sachfragen
getrennt wird. Das Buch wird also nicht nur den Philosophen,
sondern auch ganz besonders den Theologen ansprechen.

Trier Werner Schußler

Theis, Robert: Gott. Untersuchung zur Entwicklung des theologischen
Diskurses in Kants Schriften zur theoretischen Philosophie
bis hin zum Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft
. Stuttgart: Frommann 1994. 374 S. gr.8° = Forschungen
und Materialien zur deutschen Aufklärung. Abt.: Monographien
, 8. Lw. DM 135,-. ISBN 3-7728-1602-9.

Über den vorkritischen Kant ist schon viel geschrieben worden
. Das vorliegende Buch widmet sich besonders der Theologie
, also der Gotteslehre des frühen Kant, wobei die Gottesbeweise
im Vordergrund stehen. Mit dieser ausdrücklichen Konzentration
auf die Gottesproblematik hat das Buch sein Proprium
gegenüber der sonstigen Literatur über Kants vorkritische
Schriften. Dabei wird freilich auch immer wieder gezeigt, wie
sehr das Gottdenken Kants in die Gesamtheit seines Denkens
eingebunden ist.

Das Buch denkt in diskurstheoretischen Begriffen: Ein theologischer
Diskurs wird von anderen Diskursen, z.B. einem
absoluten Begründungsdiskurs, unterschieden, um dann nach
einer Konsistenz der Diskursmengen zu fragen (z.B. 16-17).
Obwohl der Vf. kurz die Methodenfrage streift (30), werden
andere Methodenansätze, z.B. hermeneutische, nicht einmal genannt
, geschweige denn diskutiert. Dabei muß es doch höchst
zweifelhaft bleiben, ob es dem ganzheitlichen Denken und Argumentieren
der Leibniz-Wolffschen Philosophie, der der frühe
Kant nahesteht, angemessen ist, den Argumentationsgang damit
von vornherein in verschiedene Diskurse auseinanderzureißen,
die dann erst nachträglich als Diskursmengen wiedervereinigt
werden. Nur vom Denken in Diskursen wird es dann auch verständlich
, wieso die Gottesbeweise Kants „nachzukonstruieren"
oder zu „rekonstruieren" sind, obwohl sie doch in Kants Schriften
(mit Ausnahme vielleicht vom handschriftlichen Nachlaß)
in logisch geschlossener Weise bereits durchkonstruiert vorliegen
. Hier könnte doch nur die Kritik oder das hermeneutische
Verstehen angemessen sein, aber keine Rekonstruktion, als ob
die logische Geschlossenheit erst durch sie hergestellt, „rekonstruiert
" werden müßte. Doch über Methodenfragen läßt sich
streiten.

Setzt man aber - worauf auch der Untertitel des Buches weist
- voraus, daß der Vf. vom diskurstheoretischen Standpunkt her
die Theologie des vorkritischen Kant untersuchen will, so
scheint mir dieses Vorhaben voll gelungen zu sein. Die Arbeit
zeigt detaillierte Kenntnis der hierhergehörigen Schriften Kants
sowie der entsprechenden Sekundärliteratur. Auch läßt die denkerische
Durchdringung der Argumentationsgänge an Schärfe
und logischer Präzision nichts zu wünschen übrig. Daß dabei
die ständige Auseinandersetzung mit Sekundärliteratur manchmal
die Texte etwas weitschweifig und umständlich macht, ist
wohl von der Anlage der Arbeit her unvermeidlich und dem Vf.
offensichtlich auch bewußt: „Sie" (die vorliegende Untersuchung
) „hat demnach all die Nachteile der Vorzüge einer akademischen
Schrift" (13). Unter der oben genannten methodologischen
Einschränkung schließt die Arbeit von ihrem Ansatz her
eine theologie- und philosophiegeschichtliche Lücke mit großer
Sachkenntnis und logischer Schärfe.

Nach einer Einleitung (15-33) behandelt Teil I „Gott als ens
necessarium in Kants frühen Schriften (1755-1762)" (33-153).
Dabei wird die Theologie Kants in bezug zu seiner Ontotogie
und Kosmologie gesehen (Kap. 1 und II), um dann die Einheit
der Gottesproblematik in dem genannten Zeitraum zu erörtern
(Kap. III). Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, alle Gedankengänge
des Vf.s zu den hierhergehörigen Schriften Kants
nachzuzeichnen. Wir beschränken uns darauf zu erwähnen, daß
der Vf. besonders die Verschränkung von Notwendigkeit,
Wirklichkeit und Möglichkeit im Gottesbeweis bei Kant herausarbeitet
: „Notwendig ist ein solches Seiendes zu nennen,
ohne das die Möglichkeit des Möglichen nicht verstehbar ist.
Genau darin liegt der Sinn des absolute necessarium...: Das
Mögliche setzt etwas Wirkliches voraus, ohne das es in seinem
Sein als Mögliches unverständlich bleibt" (51). Ferner sei
erwähnt, daß der Vf. zeigt, daß schon in dieser Periode Kant die
später in der Kritik der reinen Vernunft so wichtige These vertritt
, Dasein sei kein Prädikat (56ff). In der Kosmologie weist
der Vf. darauf hin, daß Kant in dieser Periode Gott nicht nur als
Ordner, sondern als Schöpfer jeder Ordnung, die sonst als Ordnung
überhaupt unbegründet bliebe, versteht: „Das theologische
Fundament darf nicht als Ordner, sondern muß als Schöpfer
begriffen werden." (96) Erwähnenswert bleibt noch, daß
sich der Vf. offensichtlich selbst zu Kants Gedankengängen
bekennt, indem er das Denken des Denkharen überhaupt für
uns als Grund alles Möglichen versteht:

.....daß die unbedingte Notwendigkeit für uns, quoacl nos, nicht anders als

unter der von Kant beschriebenen Form denkbar ist... Das ens necessarium
... ist necessarium als Grund der Möglichkeit des Denkens, d.h. in sofern
etwas gedacht soll » erden können, und hierin oder in bezug auf dieses liegt
der Sinn .seiner Notwendigkeit." Das aber zeigt auch, daß der sogenannte
Gottesbeweis letzten Endes dieses Verhältnis des Grundes (des Notwendigen
) „zum Mögliehen artikuliert. " (152)

In Teil II „Vom ens necessarium zum Vernunftbegriff von
Gott (1762/63-1780/81)" (153-330) wird nun die Entwicklung
Kants beschrieben, die von der Abkehr von der Ontologie zur
Kritik der reinen Vernunft führt. Nach einem empiristischen
Einschnitt, den der Vf. aber mit Recht relativiert (223), tritt die
erkenntniskritische Fragestellung immer mehr in den Vordergrund
: Grenzen und Möglichkeiten der Vernunft stehen jetzt
zur Debatte. Dabei sind die Vernunftbegriffe keine ontologi-
schen Begriffe mehr, sondern Begriffe, die nur dem Bedürfnis
der Vernunft entsprechen: Als solche sind sie zwar in bezug auf
die Vernunft subjektiv, aber als Vernunftbegriffe zugleich notwendig
: „...man beachte: subjektiv, aber notwendig, und zwar,
weil einem Bedürfnis der Vernunft entsprechend..." (279) Der
Begriff des unbedingt Notwendigen (Gottes), und als unbedingt
Notwendiges noch über jedes Vernunftbedürfnis hinausweisend
, kann damit nur Grenz.begriff der Vernunft sein: „Nun behauptet
Kant hinsichtlich des Begriffs der absoluten Notwendigkeit
, er sei ein problematischer Grenzbegriff und infolgedessen
unerkennbar." (221) Dennoch besteht ein Vernunftinteres.se
an diesen Begriffen. Damit zeigt sich ihr dynamischer Charakter
, die Vernunft mit Notwendigkeit immer weiter über sich
selbst hinaus zu treiben (287) zu immer neuem Überstieg.

Deshalb schreibt der Vf.: „Genau in diesem Überstieg aber kommt die
Sache der Metaphysik, die sich... jenseits der Grenzen der Erfahrung nicht
mehr halten ließ, in einer neuen Weise zur Sprache. Der Überstieg auf das
Ganze ist in der Tal nichts anderes als der Weg der Vernunft zu sieh selbst
als absoluter Begründungsinstanz." (287) „Im theologischen Gedanken....
sind die absoluten Bedingungen der Gegenstände überhaupt gedacht." Dieser
„entspricht der Intention und dem Sinn nach dem Begriff des Unwesens,
so wie es die transzendentale Theologie eruiert." (328) Wieder kann es hier
nicht unsere Aufgabe sein, all die einzelnen Gedankengange des Vf.s und
die einzelnen behandelten Schriften Kants durchzugehen.

Damit liegt eine Arbeit vor, die über die rationale Theologie
Kants hinweg wohl auch für die Theologie überhaupt von Interesse
sein dürfte. Der Vf. hat aber m.E. auch gezeigt, daß der
frühe Kant nicht nur als Vorstufe zum Kant der drei Kritiken ZU