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Ausgabe:

1995

Spalte:

725-727

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Witte, Bernd

Titel/Untertitel:

Das Ophitendiagramm nach Origenes' Contra Celsum VI 22 - 38 1995

Rezensent:

Westerhoff, Matthias

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

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der russisch-orthodoxen Frömmigkeit" stehen (95), ist doch kritisch
zu hinterfragen.

Demgegenüber behandelt Teil II echte, im Druck erschienene
Briefe geistlicher Väter an ihre geistlichen Kinder. 45 Briefe des
Priestermönchs Amfilochij aus Rostov, gesehrieben zwischen
1800 und 1824; 36 Briefe des Archimandriten h'eofun aus dem
Kirillo-Novozerskij-Kloster aus den Jahren 1814-1832; ferner,
um weitere Nuancen innerhalb desselben Frömmigkeitstypus
sichtbar zu machen, in kurzer Darstellung die 32 Briefe des
Vaters Varsonofij aus dem Aleksandrosvkij-Kloster der Jahre
1824-1832. In allen geht es vordergründig um die innere Umwandlung
des Menschen auf dem Wege der Askese, um grundsätzliche
Ratschläge in Verbindung mit liturgischen Gebeten
bzw. dem Jesus-Gebet, zugleich aber mit Rücksicht auf die
Lebenssituation und den inneren Zustand der geistliehen Kinder.

Teil III bietet eine vergleichende Betrachtung der „Briefe
einer Christin" und der Briefe geistlicher Vater. Für A. P. Chvo-
Stovas ..Briefe" wird festgestellt: Die von der westlichen Bildung
geprägte Frömmigkeitshaltung ist vielgestaltig und meist
stark individualisiert. Einbezogen wird die Natur als Quelle der
Erhebung und Gegenstand der Betrachtung, im Vordergrund
stehen die Erfahrung in der Variante der Empfindung, Beobachtung
, Selbstreflexion sowie Analyse, wurde die Kunst zu einem
autonomen Bereich von unbestimmten Realitätscharakter. Ihre
Briefe sind Dokument einer neuen Frömmigkeit, die Säkularisierung
voraussetzt. Hier wird die Sprache der modernen Literatur
zur Sprache der Frömmigkeit. Es ist der Versuch, christliche
Frömmigkeit in einer bestimmten historischen Situation
neu zu praktizieren und auf neue Art zu verkündigen.

Demgegenüber repräsentieren die behandelten geistlichen
Väter, unbeschadet gewisser Unterschiede, insgesamt die orthodoxe
Tradition. Ihre Briefe galten jenen, die sich von gleicher
Glaubenshaltung her nach einem Schicksalsschlag oder im
Bedürl nis nach einem strengeren geistlichen Leben um Rat und
1 lost an sie wandten. Bei ihrer von orthodoxer Tradition normierten
Frömmigkeit findet sich eine relative Gleichförmigkeit.
Sie gehen von der Sündhaftigkeit von Mensch und Welt aus,
geben vorwiegend praktische Ratschläge zeitlosen Charakters,
stellen die Autorität der Kirche vor das Anführen eigener Argumente
. Die Erlösung gilt dem einzelnen Menschen. Natur, Kultur
, Gesellschaft. Politik und moderne Bildung bleiben außerhalb
ihrer Betrachtung. Bei grundsätzlicher Übereinstimmung
brauchten sie ihren geistlichen Kindern ihre Botschaft nicht in
die Sprache der gebildeten Gesellschaft zu übersetzen.

In der Erkenntnis, daß sich im Bemühen um ein verantwortungsvolles
geistliches Leben orthodoxe Tradition und westliche
Orientierung nicht notwendig beziehungslos gegenüberstanden
, zeigt ein Exkurs über die Briefe des hl. Tichon von
Zadonsk im 18. Jh.. daß sich schon hier ein vermittelnder Weg
andeutete, um die zeitlosen, bildungsunabhängigen Schätze russisch
-orthodoxer Frömmigkeit auch westlich geprägten russischen
Gebildeten zugänglich zu machen.

Der Anhang mit ausgewählten Briefen in deutscher Übersetzung
sowie reichhaltige, die wichtigsten Passagen im russischen
Original bielende Anmerkungen veranschaulichen die
gebotenen Ausführungen.

Berlin Hans-Dieter Döpmann

Witte, Bernd: Das Ophitendiagramm nach Origenes' Contra
Celsum VI 22-38. Altenberge: Oros 1993. 163 S. 8» =
Arbeiten zum spätantiken und koptischen Ägypten, 6. Kart.
DM 45,80. ISBN 3-89375-090-8.

Gnosis ist subversiv. Wenn der Philosoph Celsus und der Theologe
Origenes je auf ihre Weise vom Seelenaufstieg reden (c.

Cels. VI 22f.), spricht eine anonyme gnostische Stimme vom
„schmalen Weg nach unten" (VI,34). Der Erforschung dieses
Weges dient die 1986 mit dem Humboldt-Preis ausgezeichnete
theologische Diplomarbeit von Bernd Witte, die jetzt in einer
Überarb. Fassung als Bd. 6 der von M. Krause herausgegebenen
„Arbeiten zum spätantiken und kopiischen Ägypten" vorliegt.
Die philologisch-religionswissenschaftliche Arbeit findet ihr
anschauliches Ziel in der Rekonstruktion des sog. Ophitendia-
gramms (=OD), einer mit Legende versehenen Zeichnung, die
Celsus in seinem „Wahren Wort" einer christlichen Weihehandlung
zuordnet (VI 24). während Origenes, der, um diese Zuweisung
begründet zurückweisen zu können, sich eigens ein Exemplar
des OD beschafft hat, dieses unsicher den Ophianern
zuschreibt (ebd.). S. I42f. findet sich eine Rekonstruktion des
OD mit tiergestaltigen. geflügelten Archonten. der Schlange
Leviathan und dem Beemon-Nilpferd. Dazu, als vergrößerter
Ausschnitt, eine elegante, auf sich schneidenden Kreisen aufgebaute
Figur mit einer achtgliedrigen Entfaltung der gnostischen
Trinität von Vater, Sohn und Weisheit.

Das theoretische Ziel der Arbeit besteht in dem Aufweis, daß
unter dem „Weg nach unten" der kontemplative Weg der
Selbstversenkung zu verstehen und das OD mithin als „gnosti-
sches Meditationsdiagramm" (38) zu interpretieren sei. Dieses
diene zugleich der „Vorbereitung einer Weihe" wie der „individuellen
Kontemplation" (39). Ausgangspunkt ist hier die These
W. Ulimanns, der das OD als gnostisches Mandala bezeichnete
(31). Wittes Arbeil isl ein interessanter Beitrag zur Gnosisfor-
schung insofern, als hier beispielhaft gezeigt werden soll, daß
der Gnosis eine mystische Komponente eignet und ihr die
zugehörige Technik der Kontemplation vertraut ist (31). Mehr
noch: „die Verankerung gnostischen Denkens in mystischem
Erleben" soll gezeigt werden (31 Anm. 136).

Die Prolegomena von Wittes Arbeit erörtern neben besagter
Grundthese Probleme der Forschungsgeschichte und der Textkritik
sowie verschiedene Deutungs- und Datierungsversuche.
Die Datierung, die der Vf. selbst vornimmt, zeigt deutlich den
Abstand des Origenes zum OD: C. Cels. wird in das J. 248 n.
Chr. datiert (23), das „wahre Wort" des Celsus 90 Jahre früher
(24f.), während das OD selbst zwischen 100 und 140 angesiedelt
wird (29). Es folgt eine gründliche Neuedition des Textes
von c. Cels,. VI 22-38 mit beigegebener Übersetzung. In seiner
Übersetzung gelingt es W., den Stil der mündlichen Rede, dessen
sich Origenes bedient, flüssig wiederzugeben. Ein fortlaufender
Kommentar stellt die von Celsus bzw. Origenes überlieferten
Beschreibungen des OD in die durch die Gnosisfor-
schung gewonnene Gesamlsicht der Gnosis ein. begründet die
graphische Rekonstruktion des OD und zielt auf die Verifikation
der These vom „gnostischen Meditationsdiagramm". Ein
ausführliches, gegliedertes Lit.Verz. schließt die Arbeit ab.

Der Rez. fragt kritisch an, ob der Vf. den ihm vorgegebenen
Ausschnitt gnostischen Denkens nicht zu stark aus seinem Vorwissen
von der Gnosis versteht. Könnte nicht versucht werden,
den Text zunächst aus sich selbst zu verstehen, zumal nicht
bekannt ist, inwieweit der Vf. des OD oder seine Benutzer, die
vielleicht nur heterodoxe Christen waren (vgl. 90), über dieselbe
Kenntnis der Gnosis wie der heutige Forscher verfügten. Immerhin
wäre zu bedenken, daß das Ol) keine gnostische Kosmogonie
enthält und das im engeren Sinne mythologische Element fehlt:
Die Archonten sind nicht agierend vorgestellt. Handelnde Subjekte
sind allein der Vater und der Absteigende selbst. Deshalb,
meint der Rez., ist das OD kein typischer Zeuge für eine gnosti
sehe „Remythologisierung der Wirklichkeitsauffassung" (139).

Zur Hypothese von der kontemplatives Gnosis: Wenn es VI 33 heil.it, daß
„manche Mensehen in arehontische Formen" eingehen, deutet das der Vf.
auf die seelischen Zustande, die der Meditierende auf dem Weg zur unio
mystica durchmacht (12Sf). Ist hier nicht schlicht die gegenteilige Möglichkeit
zur Überwindung der Archonten ausgesagt, das ihnen Verfallen'.'
Vgl. dazu EvThom Log. 7 vom seligen Löwen (dem menschlich geworde-