Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1995

Spalte:

720-721

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Armenia and the Bible 1995

Rezensent:

Meißner, Axel

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

719

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

720

muts der Exegese" (48f), denn die „engagierten", auf Glaube
oder Hoffnung zielenden Lektüreformen, aber erst recht (!) die
streng wissenschaftlichen Methoden, die die Texte „im Lichte
der Liebe" wahrnehmen (68ff), eröffnen der Predigtarbeit allererst
die „überwältigende Sinnpotenz biblischer Texte" (54).
Daß es Th. vor allem um die hermeneutische Fundierung der
Predigt geht, belegen auch die einschlägigen Überlegungen in
anderen Kapiteln (11 lff. 155ff). Wie fruchtbar diese interdisziplinären
Anleihen bei Zeichentheorie, Linguistik und Hermeneutik
sind, zeigen nicht zuletzt die ausführlichen „Konsequenzen
für die Gestaltung der Predigt" (35ff. 73ff). Hier gilt vor
allem: „Keine Predigt soll ohne Bild oder Erzählung sein" (98
u.ö.), weil diese Redeformen die strukturelle Offenheit der biblischen
Sprache wahren, eine „Rekontextualisierung" der Texte
erlauben und eine entsprechend mehrdimensionale und vor
allem variationsreiche Predigtweise ermöglichen. Die unterschiedlichen
Formen der Entfaltung, Kommentierung und Verfremdung
erläutert Th. vor allem an eigenen Predigtbeispielen.
- Lediglich der Illustration können wohl auch die im Schlußteil
abgedruckten Predigten dienen (163ff), die zumeist von der
Theißen-Schülerin P. v. Gemünden stammen.

Vermitteln die ersten Kapitel sowohl in prinzipieller wie in
formal-homiletischer Perspektive zahlreiche neue Einsichten,
so bieten die - stärker material ausgerichteten - Kapitel III und
IV eher Bekanntes (80ff). Sie entfalten die Predigt als Chance
des Dialogs zwischen Gott und der auf Rechtfertigung und existentielle
Gewißheit zielenden Wirklichkeitserfahrung, und
zwar stets in den drei Dimensionen Kosmos, Gesellschalt und
Person. Unter Rückgriff auf eigene Arbeiten begründet Th. hier
mit anregenden, z.T. aber auch sehr verkürzenden Ausflügen in
Evolutionstheorie, Sozio- und Psychologie und vor allem in
fundamentaltheologische Fragen (hier wird mehrmals R. Spae-
mann herangezogen) die Notwendigkeit eines homiletischen
Spannungsbogens: Die Predigt soll die „dynamische Einheit
von Sein und Sinn" oder von Indikativ und Imperativ vermitteln
(124), ohne die Brüche und Widersprüche in der Realität zu
verschweigen. Als Königsweg der Spannungsbearbeitung und
„kognitiven Umstrukturierung" erscheint wiederum die Variation
von Bildern und Erzählungen.

Das abschließende Kapitel über die kommunikative Dimension
der Predigt (134ff), das die psychologischen Arbeiten F.
Schulz v. Thuns und die kommunikative Ethik J. Habermas"
homiletisch auszuwerten versucht, bietet - außer den wiederum
hermeneutischen Überlegungen zur Fiktionalilät biblischer
Texte - im Grunde nichts, was sich nicht schon bei K.-F. Dai-
ber, M. Josuttis oder R. Zerlaß zur Rhetorik der Predigt finden
läßt. - Erfreulich ist jedoch, wie erfolgreich Th. sich im ganzen
Buch bemüht hat. seinen Forderungen nach verständlicher, anschaulicher
und dialogischer Sprache (144ff) selbst gerecht zu
werden.

Im Ganzen dokumentiert das Buch einmal mehr Th.s systematische
Kraft, Einsichten aus den verschiedensten Wissenschaftsgebieten
aufzunehmen, übersichtlich zu strukturieren
und für theologisches, in diesem Fall homiletisches Arbeiten
nutzbar zu machen. Dabei liegt der Akzent eindeutig und ausdrücklich
auf dem „Primat des biblischen Textes" (73f u.ö.)
bzw. der „biblischen Zeichenwelt", auf der Ausarbeitung ihrer
konstitutiven wie zugleich produktiven Funktion für die Predigtarbeit
.

Im Grunde „reaktualisiert" Th, auf diese Weise, wenn auch
mit zahlreichen neuen Varianten, das alt-vertraute Schema
„Vom Text zur Predigt". Auch in anderer Hinsicht wirkt diese
Homiletik erstaunlich traditionell, etwa bei dem geradezu „dialektischen
" Verständnis der Predigt als Distanzüberwindung
(220, die so sehr im Zentrum des Pfarrberufes steht, daß die
Sichtung der „Chancen der Predigt" zur umfassenden Motivierung
und Krisenbewältigung taugt. Dazu paßt schließlich die

Tendenz, von der Predigtaufgabe in fundamentaltheologische
und -anthropologische Fragen auszugreifen: Die Homiletik
wird zur komprimierten Gesamt-Theologie (Kap. III/IV), und
ihr eigenes Thema sind nurmehr die „Konsequenzen für die
Predigtgestaltung".

Homiletik erscheint dann als Kunstlehre der Predigtvorbereitung
; und Th. hat die Chancen dieses Modells, die theologische
Weite, die biblische und zugleich die pastorale Orientierung
, einmal mehr demonstriert. Aber hier liegen eben auch
gewisse Probleme: Ist die Homiletik primär „Anwendung"
exegetisch- und systematisch-theologischer Erkenntnisse, so
kann sie die spezifischen Kommunikationsbedingungen der
Predigt nur unzureichend reflektieren. So widmet Th. etwa der
Person des Predigers kaum Aufmerksamkeit; und er neigt vor
allem zu einer Hochschätzung der Predigt, die den Gottesdienst
(vgl. die wenigen Bemerkungen 1271!) und erst recht andere
Formen pastoraler Arbeit verschwinden läßt. Auf diese Weise
kommt kaum in den Blick, wie sehr der Kontext des gegenwärtigen
kirchlichen Handelns die Chancen der Predigt ebenso bestimmt
wie ihre Grenzen.

Halle (Saale) Jan Hennelink

Ökumenik: Ostkirche

Burchard, Christoph [Ed.|: Armenia and the Bible. Papers
Presented to the International Symposium Held at Heidelberg
, July 16-19, 1990. Atlanta: Scholars Press 1993. X, 251
S. gr.80 = Armenia Texts and Studies. Lw. $ 49.95. ISBN I-
55540-597-5.

Der vorliegende gewichtige Band, der das Thema „Armenien
und die Bibel: Kultur, Tradition und Text - Die Bibel in der
armenischen Kultur"' in einem breiten Spannungsbogen von den
frühen Zeiten eines hl. Mesrop Mastoc", dem Erfinder des armenischen
Alphabets, bis hin zu armenischen Bibelübersetzungen
amerikanischer Missionare im 19. Jh. und dem biblischen
Hintergrund armenischer Poesie eines Parujr Sewak in sowjetischer
Zeit behandelt, vereint in sieh die Vorträge eines internationalen
Symposiums der „Internationalen Gesellschaft für armenische
Studien" (AIEA) und des Internationalen Wissen-
schaftsforums der Universität Heidelberg (veranstaltet 16.-19.
Juli 1990 in Heidelberg). Die bibelwissenschaftlich durchgängig
relevanten Beiträge sind dem Gedächtnis von Dom Louis Leloir
(1911-1992), dem bedeutenden Bibel Wissenschaftler. Editor und
Übersetzer zahlreicher patristischer Quellen gewidmet, der auf
dem Symposium selbst noch einen Beitrag zur frühen armenischen
Hermeneutik der Bibel »Comment les premiers moincs
armeniens ont-ils lu la Bible« (143-152) geliefert hat.

Die Übersetzung des Alten und Neuen Testamentes ins klassische
Armenisch (Grabar) gilt bekanntlich als ..Königin" der
Bibelübersetzungen. Auf diese frühe Zeit bezieht sich neben
dem schon genannten Beitrag von L. Leloir der Vortrag von
Gaguik Sarkissian (Jerewan) zu den frühen Phasen der armenischen
Literatursprache (195-206), des weiteren der Beitrag von
Folker Siegert (Neuchätel) zur rhetorischen Qualität der
armenischen Bibel (207-211), von Joseph J. S. Weitenberg
(Leiden) zur Spache des hl. Mesrop (221-231) und der von
Andranik Zeitounian (Jerewan) über die Divergenzen des griechischen
und armenischen handschriftlichen Genesis-Textes
(233-243).

Ohne hier alle Facetten des vielgestaltigen Inhalts nennen zu
können, sei auf den nächsten großen thematischen Block verwiesen
, der mit den Stichworten .armenische Bibel in der