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Ausgabe:

1995

Spalte:

715-718

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Daiber, Karl-Fritz

Titel/Untertitel:

Predigt als religiöse Rede 1995

Rezensent:

Gutmann, Hans-Martin

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

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Schlichting. Wolfhart: Gottes Geist. Ein ökumenisches Luther-Symposium
(LM 34, 1995,33-34).

Schrama. Martijn: Blondel en de traditie van het ingeschapen verlangen
naar God: Blondel and the tradition of the innate longing Cor God (Bijdr. 55,
1994.412-434).

Schreur, Nico: Een voor alle anderen: Plaatshekleding als metafoor in de
soteriologie (TTh 35, 1995. 3-23).

Schwager. Raymund: Evolution, Erbsünde und Erlösung (ZKTh 117,
1995, 1-24).

Scsboue, Bernard: De la rumeur de Jesus ä La generation du Verbe. Du
nouveau en christologie (RScR 82. 1994. 87-102).

Steinacher. P.. M. C. Bartolomei: Donne presbitere: sonon proprio
ragioni quelle del «no»? (Protest. 50, 1995, 23-36).

Sudbrack. Josef: Mysticum Commercium. Der wunderbare Austausch
/wischen Mensch und Gott im göttlichen Wort (In: Bsteh. A. |Hrsg.|:
Hören aufsein Wort. Mödling: Verlag St. Gabriel 1992. 189-216).

Waldenfels. Hans: Gott. Auf der Suche nach dem Lebensgrund. Leipzig:
Benno 1995. I 18 S. 8°. Karl. DM 19.80. ISBN 3-89543-074-9

Praktische Theologie: Homiletik

Daiber. Karl-Fritz: Predigt als religiöse Rede. Homiletische
Überlegungen im Anschluß an eine empirische Untersuchung
. Mit Exkursen von W. Lukatis. P. Ohnesorge, B. Stier-
le. München: Kaiser 1991. 458 S. 8o = Predigen und Hören,
3. Kart. DM 110,-. ISBN 3-459-01909-3.

Der Untertitel des Werkes wirkt angesichts seines tatsächlichen
Charakters eher zu bescheiden. Die „homiletischen Überlegungen
im Anschluß..." stellen sich für den aufmerksamen Leset , die
aufmerksame Leserin vielmehr als umfassender homiletischer
Entwurf dar, der zumindest der Intention nach alle Aspekle religiöser
Rede unter den Bedingungen der Kirche in einer neuzeitlich
-modernen Gesellschaft anspricht und zu einem konsistenten
Theorieentwurf mit eigenständigem Profil verbindet. Was im
Vorwort eher entschuldigend vermerkt wird - daß nämlich eine
Fortsetzung der Zusammenarbeit der Autorengruppe der ersten
beiden, stärker empirisch orientierten Teilbände von „Predigen
und Hören" so nicht möglich war - hat diesem dritten Band insofern
gut getan, als es dem Autor gelungen ist. über die Interpretation
des empirischen Materials hinaus nicht nur den Anschluß an
die theoretische homiletische Debatte zu finden, sondern diesem
Gespräch auch vom eigenen Blickwinkel aus Kontur zu geben,
überholte Konfliktlinien zu verlassen und das theologisch wie
sozialwissenschaftlich Wichtige prononciert hervorzuheben.

Ehe es jedoch zu den in homiletischer Perspektive zentralen
und für das homiletische Gespräch der Gegenwart innovativen
Überlegungen kommt - zur „Predigt als Rede" (5. Kapitel), zu
den „Inhalten der Predigt: Erfahrungen des Glaubens" (6. Kapitel
) und zur „Predigt als persönlicher Auftrag: Pastoralethische
Erwägungen" (7. Kapitel) - wird dem Leser, der Leserin ein
200 Seiten langer Anmarschweg zugemutet. Dies scheint jedoch
keineswegs zufällig, vielmehr entspricht die Form präzise
der präsentierten inhaltlichen Ausgangsüberlegung: Unter den
Bedingungen einer neuzeitlich-modernen Gesellschaft kann
keine der für die Predigt wesentlichen Dimensionen - die Kommunikationssituation
zwischen Predigern und Hörern; die Kirche
als Institution; der Gottesdienst als Ritual usw. - um-
standslos auf Plausibilität und Zustimmung hoffen; vielmehr
müssen all diese Dimensionen in der homiletischen Reflexion
vorab geklärt und im Sprechhandeln der Predigt selbst bewährt
werden. „Wie ist Verkündigung des Evangeliums heute möglich
, was gebietet die Situation einer religiös höchst pluralistischen
Gesellschaft, in der die Kirche nur einen Teil religiöser
Sinnsuche repräsentiert? Es besagt auf alle Fälle, dies, daß die

Predigt des Evangeliums auch in den Gottesdiensten ein Wort
an Menschen ist, von denen nicht ohne weiteres vorausgesetzt
werden kann, daß sie von der Wahrheit des Glaubens schon
überzeugt sind... Der Prediger kann sich auf diesen Hörer umso
eher einlassen, je stärker er an sich selber wahrnimmt, daß er oft
auch ,nur' ein Suchender ist..., der immer von neuem erst für
sich selbst noch einmal entdecken muß, daß die Wahrheit der
biblischen Überlieferung bleibende, gültige Wahrheit ist."
(270f.) Die Predigt wird nicht deshalb angenommen, weil die
Kirche als machtvolle Institution, der Prediger als Person mit
Autorität, der Gottesdienst als lebenserhaltendes Ritual schon
immer erfahren wird, sondern vielmehr umgekehrt: das Gelingen
der Kommunikation zwischen Predigern und Hörern verbürgt
die Plausibilität von Institution, Amt und Ritual.

In den eisten vier Kapiteln des Buches wird dieser Problemzusammenhang
detailliert aufgewiesen. Unter der Überschrift
„Homiletik und empirische Analyse" wird an den Forschungsstand
der empirischen Analysen zur Predigtrezeption der ersten
beiden Teilbände erinnert und das Paradigma der gelingenden
Verständigung zwischen Predigern und Hörern als Kriterium
der Predigtbewertung etabliert (I. Kapitel). „Die Institution Predigt
aus der Perspektive ihrer Geschichte" (2. Kapitel) wird insbesondere
auf zwei wirkmächlige Formen der Predigt hin wahrgenommen
, nämlich auf die Predigt als „Einweisung in die
Geschichte des Heils" - Predigt hat in diesem Sinne die Aufgabe
, die Hörerinnen in die Geschichte Gottes mit seinem Volk
einzuweisen und sie aufzurufen, sich in der Tradition dieser
Geschichte selbst zu verstehen und entsprechend zu handeln -
und als ..Zuspruch des Heils": „Heil geschieht, wo der einzelne
und die Gemeinde sich von Gott angeredel wissen, in Gesetz
und Evangelium, und ihm im Glauben antworten." (38).

Das dritte Kapitel - „Aufgabenbeslimmung für die Gegenwart
: Zeugnis durch das Wort als Gestalt der Kirche" - ist wiederum
über weite Strecken historisch orientiert und zeigt hier,
wie in volksmissionarischen Konzepten seit Mitte des vergangenen
Jh.s auf die zunehmend wahrgenommene Säkularisierung
geantwortet wird. Der Ort der Kirche wird als religiöse
Institution in einer säkularen Gesellschaft angewiesen, die ihr
zugehört und zugleich zu einem „solidarischen Zeugnis" gefordert
ist. „Begreift man die menschliche Welt als soziale Welt,
als Gesellschaft im weitesten Sinne, wird deutlich, daß die Kir
che mit ihrer Sozialgestalt am Geschehen von Welt teilhat, sie
ist Teil der Gesellschaft, nicht ihr Gegenüber." (971.) Indem
Predigt unter dem Gesichtspunkt der Mission verstanden wird,
wird der Säkularisierungsprozeß der Gesellschaft zugleich
wahrgenommen und eine Antwort auf ihn gesucht.

Das vierte Kapitel - „Orte der Predigt: Gemeinde, Kirche.
Gesellschaft" - kreist den Stellenwert allsonntäglicher Predigt in
der Ortsgeincinde gewissermaßen von den Rändern dieser Redesituation
her ein: Bischofspredigten, Rundfunk- und Fernsehpredigten
, politische Predigten. Kasualpredigten kommen in den
Blick und ermöglichen, von ihrem je besonderen Profil her - in
der Situation, der Erwartung der Hörerinnenschaft, den Chancen
des Redenden. Inhalt und Intention „an den Mann/die I ran /n
bringen" - nunmehr die homiletische Situation der „Predigt als
Rede" überhaupt zu bestimmen. Worum handelt es sieh'.'

Von den verschiedenen Aspekten und theoretischen Traditionen
, die jetzt (im 5.-7. Kapitel als dem Hauptteil des Buches) in
Ansehlag gebracht werden, erseheinen mir drei als zentral.
Zunächst: obwohl monologische Rede, ist die Legitimität und die
Wirksamkeit der Predigt darin bestimmbar, wie sie eine gelungene
Verständigung zwischen Predigerin und Hörerin ermöglicht
über das, was die Menschen unbedingt angeht. Das zweite: Predigt
ist Handeln insofern, als sie dem Typus von Sprechakten
zugehört, der die Wirklichkeit herstellt, die er ansagt: Predig!
verspricht, tröstet, spricht frei, sie teilt keine außer ihr liegenden
Wahrheiten oder allgemeine Reflexionen mit, sondern bewirkt.