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Ausgabe:

1995

Spalte:

711-713

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Titel/Untertitel:

Was ist der Mensch? : eine theologische Anthropologie 1995

Rezensent:

Wulf, Claudia

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

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Christ" (387ff), dem Komplex von Geschichten, die veranlaßt
sind von mit der Person Jesu verbundenen Ereignissen: Geburt,
Taufe, Versuchungen, Transfiguration (!), Passion und Tod sowie
Auferstehung, Himmelfahrt und Erhöhung. Sowohl historische
als auch deutende Elemente seien in diesen Geschichten
enthalten, und M. wird nicht müde, seine Test-Sonde in jede einzelne
von ihnen hineinzuführen. Immer sucht er nach Analogien
aus unserem heutigen Erfahrungs-Bereich, um den Kern dieser
Geschichten zu verstehen. Dabei werden auch Einsichten aus
M.s Studien in der Analytischen Philosophie fruchtbar gemacht,
vornehmlich als Differenzierung von Sprach-Ebenen. (Die Rede
von der Präexistenz Christi kann demnach auf einer zweiten,
metaphorischen Ebene verstanden werden, aber durchaus auch
im Rahmen einer allgemeinen kosmologischen Präexistenz der
Schöpfung, die durch die Energien-Konstellation im Urknall
determiniert ist; 388-392). Grundsätzlich gilt: Nur mit der Möglichkeit
der Analogie aus menschlichem Erfahrungsbereich können
sie als Geschichten über Gott gehört werden. Eigentlich können
wir nämlich über Gott nicht in einer nur für diesen Bereich
des Sprechens reservierten „religiösen Sprache" reden. Denn in
M.s „dialogischem Theismus" schmelzen nicht nur die Rede von
Person und Werk Christi zusammen, sondern auch Apologetik
und Offenbarungstheologie. Nur was einem Menschen wirklich
einleuchten kann, kann als Offenbarung des Gottes ernstgenommen
werden, der in Jesus Christus wahrer Mensch geworden ist.
Es geht zwar auch um verstehbares Reden von Gott im säkularen
Zeitalter, aber längst nicht nur darum:

"Bul there is more to it than just the practica! demands ofthe educational
Situation, [f there is any truth in the idea of incarnalion. then this must mean
meeting people where they are, and in a secular agc that means meeting
them du the level of their everyday humanity." (343)

Wenn auf diese Weise auch das Neue, Kritische und Überraschende
an Gottes Wirken erkannt werden kann, so sollten sich
auch Protestanten trotz ihrer vorsichtigen Haltung gegenüber
allem, was nach „natürlicher Theologie" aussieht, mit M.s kritischer
Sonde ausstatten lassen. Allerdings bleibt zu fragen, ob
die „historische Basis" der Inkarnation wirklich in der Person
des Jesus von Nazareth liegen muß, wie M. hier darlegt, zumal
es ihm auf wirklich neue historische Erkenntnisse ja gar nicht
anzukommen scheint. Kann nicht doch das Zustandekommen
des Zeugnisses von Jesus als dem Christus die ausreichende
historische Grundlegung sein? In jedem Fall allerdings müssen
wir im Reden von Christus die Menschheit Jesu deutlich hörbar
voraussetzen - gleichgültig, an welcher Stelle wir das Inkarnati-
onsgeschehen vornehmlich historisch verortet sehen.

Heidelberg Ulrike IJnk-Wieczorek

Stein, Edith: Was ist der Mensch? ESW XVII, Freiburg/
Basel/ Wien: Herder 1994, 223 S., DM 48,-.

Edith Stein wollte mit dem hier vorliegenden Beitrag, der leider
ein Torso bleiben mußte, der philosophischen Anthropologie,
die sie im Wintersemester 1932/33 in Münster darlegte, eine
„theologische Ergänzung"( 13) geben.

Ihrem Ziel entsprechend, eine „dogmatische Anthropologie"
zu schreiben und so „das Bild des Menschen herauszustellen,
das in unserer Glaubenslehre enthalten ist"(13), beginnt E.
Stein mit der Erläuterung einer scholastischen Definition des
Menschen, der „Geschöpf Gottes,... eine Einheit aus Leib und
Seele" ist, ausgestattet mit einer „vernünftigen oder geistigen
Seele", die „Form des menschlichen Körpers sei"(16). Dabei
nimmt die Frage, was der Mensch sei, einen weit größeren
Raum ein als die Erörterung seines sozialen Charakters oder
seiner Individualität. Sodann unterscheidet E. Stein sieben
„Stände" (23), von denen drei: der Stand der natura pura, der des
ersten Menschen (natura integra et elevata) und der des Menschen
nach dem Fall (natura lapsa sed reparanda) im folgenden
aufgegriffen werden. Die Darstellung der natura pura, charakterisiert
durch Konkupiszenz, leiblichen Tod und natürliche
Erkenntnis, gerät dogmatisch und läßt eine Reihe von philosophischen
Fragen offen. Die Natur des ersten Menschen wird
durch außernatürliche Gaben (Bewahrung vor Leiden Tod, Begehren
) und übernatürliche Gaben (Gotteskindschaft, Berufung
zur visio beatifica) bereichert, bleibt aber in statu viae, bestimmt
durch den Glauben und noch nicht durch das Schauen
Gottes.

Die Erörterung der Freiheit und ihres Anteils an Glauben und
Schauen stellt das Kernstück des unvollendeten Werkes E.
Steins dar. Da die Dogmatik das Zusammenwirken von Freiheit
und Gnade nicht abschließend definiert, sieht E. Stein hier den
Raum für philosophische und theologische Erwägungen offen.
Die „Liebesvereinigung mit Gott durch wechselseitige Hingabe
[ist| ein freier Akt von Seiten des Menschen"(52). E. Stein holt
damit noch einmal ein, was sie zuvor über den Glauben ausgesprochen
hat: daß er eher ein Akt des Willens denn des Verstandes
sei. Wie das „reine Ich" des intentionalen Aktes, den die
Phänomenologie beschreibt, sich selbst gegeben ist als „gewisseste
aller Tatsachen" (56), so bestimmt sich der Wille als Ausgangspunkt
der Freiheit zur Freiheit, ohne die er nicht ist (vgl.
55). Da der freie Wille den Menschen zum höchsten Wert
führen kann, ist er offenbar ein von Gott geschenktes Gut. Diese
Überlegungen stellt E. Stein an in Anschluß an Augustinus,
der sich darin als „radikaler ,Indeterminisf"(60) zeigt. „Eine
Preisgabe der philosophischen Willenstheorie ist in der bisherigen
Behandlung der Offenbarungstalsachcn nicht zu linden",
stellt E. Stein abschließend fest. Auch die Abwendung von Gott
im Fall des Menschen ist Aktualisierung seiner Freiheit. Und
selbst dann wird dem Menschen die freie Willensentscheidung
nicht genommen, aber seine Willenserkenntnis ist geschwächt.
Wie diese Schwäche auf die ganze Menschheit übergreift, versticht
E. Stein deutlich zu machen durch den Quasi-Personcha-
rakter der menschlichen Gemeinschaft. Damit entzieht sie sich
dem Problem, warum die sog. Erbsünde, die wie jede Sünde
qua Definition freie Übertretung eines göttlichen Gebotes ist,
jedem Menschen angelastet wird.

Die eher kurzen Erläuterungen zur Person Christi stellen mittels
Analogieschluß einige Charakteristika der Person heraus:
daß sie frei, bewußt und Selbstzweck ist. Weil die Seele in sich
fortbesteht (subsistiert), kommen dem Menschen Subsistcnz
und Personalität zu.

Von hier ab gleicht der Text einer Materialsammlung, die bis
auf wenige Anmerkungen kein genuines Gedankengut E. Steins
mehr aufweist und deren Zusammenhang mit dem anthropologischen
Grundanliegen mir nicht unmittelbar ersichtlich ist.
Zunächst werden Zitate von Dcnzingcr-Bannwart noch in eine
eigenständige Zuordnung gebracht, auf den letzten Seiten aber
folgen sie streng der im Denzinger vorgegebenen Numerierung.
Auch die Gliederung der Seiten 10411. ist wohl eher als Grob-
gliedening zu verstehen, der entsprechende Passagen des Denzinger
zugeordnet wurden. Leider sind die Zitate überdies an
vielen Stellen unzureichend oder gar nicht gekennzeichnet. Die
Herausgeber vermuten aufgrund verschiedener Handschriften
in der Vorlage, daß ein Teil der Abhandlung erst später verfaßt
ist. Vielleicht ist der dadurch markierte Schnitt identisch mit
dem hier festgestellten Bruch, der bei den Ausführungen zur
hypostatischen Union oder zur Erlösung festzustellen ist.

Ab S. 187 finden sich Zitate zur Auseinandersetzung von
Theologie und moderner Philosophie. E. Stein deutet im Vorwort
an, daß sie das „Verhältnis von Philosophie... und Glauben
, wie es in unserer Kirche aufgefaßt wird" (13) erläutern will,
wonach der Glaube für die Wissenschaft „Maßstab" und „Ergänzung
" (13) ist. Zu diesem dann nicht mehr durchgeführten
Zweck dienten wohl die hier aufgenommenen Exzerpte. Infol-