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Ausgabe:

1995

Spalte:

706-708

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hünermann, Peter

Titel/Untertitel:

Jesus Christus - Gottes Wort in der Zeit 1995

Rezensent:

Wenz, Gunther

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

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auch in der Schöpfung ermöglicht, in der zuvor doch nichts als
der Zorn Gottes erfahren wurde. Was ist der im Weltumgang
des Sünders erfahrene Zorn Gottes, wenn die durch die Recht-
Fertigung eröffnete „natürliche Theologie" Gott als den Liebenden
erkennen läßt, der er auch wirklich ist?

Die anzuzeigende Arbeit stößt zu solchen Fragen nach der
zunächst inneren Logik und Schlüssigkeit, dann aber auch der
theologischen Sachgemäßheit der Position Elerts nicht vor, sondern
hält sich weitestgehend auf der Ebene des systematisierenden
Referates. Schon dies ist verdienstvoll, da E. versucht, die
von Eiert zu einem Thema - etwa zur Erfahrung des Zornes
Gottes, vgl. 105-130 - in den unterschiedlichen Veröffentlichungen
gemachten Aussagen auf einen Nenner zu bringen.
Daß dies nicht ganz einfach ist und daß auch die von E. und
anderen Elert-Interpreten herangetragenen Annahmen über eine
Entwicklung der Position keine letztlich befriedigenden Lösungen
der Inkonsistenzen erbringen, liegt m.E. an Elerts Position
selbst: Eiert ist an der genauen Übereinstimmung seiner Ausführungen
in den einzelnen Schriften nicht interessiert; er beansprucht
, einen Sachverhalt zu beschreiben, wobei ihm die Wahl
der Begriffe gleichgültig ist und es ihm auch nicht auf einen
konzinnen, zielorientierten Gedankengang ankommt (ein Beispiel
sind die Ausführungen zum Urerlebnis in der Morphologie
, ein anderes der Gedankenverlauf der Passagen über das
Selbstverständnis des Menschen unter der Verborgenheit Gottes
im „Christlichen Glaubens").

Dieser merkwürdig unsystematische Charakter der großen Schriften
Elerts erschwert die Darstellung und laßt auch Zweifel aufkommen, wenn
E. versucht, aus einzelnen Schriften Systematisierungen für die Darstellung
von Sachverhalten aus anderen Schriften ZU gewinnen (etwa die Unterscheidung
des Gesetzes als Seinsgefiige, Sollgefüge und Qualitätsgefiige, dazu
45f und bes. ebd. Anm. 9). So denkt Eiert nicht: nach meinem Hindruck ist
das Verfahren, das der Vf. zuweilen auch anwendet, das angemessenste: der
Verzicht auf vorschnelle Systematisierung der Position und die Analyse
einzelner Textpassagen auf das in ihnen beschriebene Phänomen hin. Die
Einheit der Position erfaßt man nur. wenn man nicht nach einer Entwicklung
, sondern nach einer Themenkonstanz von den frühesten bis zu den spätesten
Werken sucht - und dazu bietet E. sehr schöne Beobachtungen (45,
Anm. 9; bes. 233-237 usw.).

Insgesamt ist das Werk eine Pflichtlektüre für jede künftige
Elert-Interpretation und insbesondere für eine Darstellung des
theologischen Verhältnisses von Barth und Eiert (s.o.). Abschließend
sei allerdings eine Bemerkung erlaubt: Die Nach-
kriegsausgabe der Elertschen Dogmatik sollte wenigstens zu
wissenschaftlichen Zwecken nicht mehr verwendet werden.
Ernst Kinder, der nach Elerts Tod die Neuauflage herausgab,
hat mit seinen Texteingriffen nicht nur „einzelne Kleinigkeiten
... behutsam geändert oder gekürzt" (so im Vorwort zur 3.
Auflage. 8). sondern konsequent politisch und weltanschaulich
nicht mehr tragbare Aussagen und Wendungen eliminiert, die
sich hei Eiert unbeschadet der Tatsache, daß er weder Anhänger
des Nationalsozialismus noch Anhänger der Deutschen Christen
war, finden. Elerts Judentumkritik z.B. ist nicht mit „apologetischer
Absicht" zu erklären (E. 116. Anm. 107) und beschränkt
sich auch keinesfalls auf ein rein theologisches Verständnis
des „Jüdischen" (ebd.); vielmehr ist Eiert latent der
Meinung, daß der religiöse Gegensatz zwischen Juden und
Christen seine Wurzeln im „rassischen" Gegensatz hat und daß
es ebenso eine natürliche Nähe zwischen dem Schicksalserlebnis
und dem Ariertum gebe (vgl. Der Christliche Glaube 189),
wie eine natürliche Nähe des Judentums zum Rationalismus
besiehe (ebd. 152. 227). Dieser auch in anderen Schriften Elerts
anzutreffende Zug ist gewiß ein „Honoratioren-Antisemitismus
"; er ist auch kein Hauptmotiv der Theologie Elerts und entwertet
sie nicht. Allerdings sollte man als Elert-Interpret die
Augen davor nicht verschließen und sich der Verwendung der
••geschönten" Ausgabe Kinders enthalten.

Göttingen Notger Slenczka

Hünermann, Peter: Jesus Christus. Gottes Wort in der Zeit.
Eine systematische Christologie. Münster: Aschendorff 1994.
VII, 419 S. gr.8o. Kart. DM 88,-. ISBN 3-402-03268-6.

Im nizäno-konstantinopolitanischen Symbol, dessen gemeinsamer
Auslegung die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung
des Ökumenischen Rates der Kirchen unlängst eine
ausführliche Studie gewidmet hat (Gemeinsam den einen Glauben
bekennen. Eine ökumenische Auslegung des apostolischen
Glaubens, wie er im Glaubenbekenntnis von Nizäa-Konstanti-
nopel [381J bekannt wird, Frankfurt a.M./Paderborn 1991).
wird Jesus Christus bekannt als der eingeborene Sohn Gottes -
„aus dem Vater gezeugt (geboren) vor allen Zeiten". So nachzulesen
u.a. in DH 150, will heißen: Denzinger/Hünermann,
Enehiridion symbolorum, definitionum et declarationum de
rebus fidei et morum, Nr. 150.

In seiner jüngst erschienenen systematischen Christologie
gibt der Editor der zweisprachigen Neuausgabe des .Enehiridion
' dem Satz aus dem Glaubensbekenntnis folgende Interpretation
(vgl. 4000: Da das Selbstsein Jesu Christi in unmittelbarer
Ursprünglichkeit in jenem gründet, von dem her alle Zeit ist. ist
Jesus Christus aufgrund seiner Gottunmittelbarkeit ursprünglicher
als alle Zeit; als nicht von dieser Zeit seiend ist er gleichwohl
nicht in zeitlosen Ewigkeiten zu denken, sondern als derjenige
, welcher in der Zeit deren Sinngrund offenbart. So ist
Jesus Christus Gottes Wort in der Zeit, und zwar vom anfänglichen
Sich-Erschließen Gottes in der Schöpfung bis hin zur vollendeten
Selbstmanifestation göttlicher Herrlichkeit im erfüllten
Reich, wie sie in der Kraft des Hl. Geistes durch den Logos geschieht
, welcher Jesus Christus, der auferstandene Gekreuzigte,
in Person ist.

In der systematischen Explikation dieses christologisch-tri-
nitätstheologischen Grundgedankens, welchen der Titel programmatisch
umschreibt, besteht der wesentliche Inhalt von H.s
Werk. Dabei ist die Titelwendung „... in der Zeit" mit einem
besonderen Akzent zu versehen. Geht es H. doch entscheidend
um die „Verwindung der ontotheologischen in eine geschichtliche
Christologie", wie es in der - an Heidegger gemahnenden
und dem Nichteingeweihten etwas preziös anmutenden - Überschrift
des Schlußkapitels (342-401) ausdrücklich heißt. Gemeint
ist, daß nach dem Zerfall jener für Mittelalter und weite
Teile der Neuzeit charakteristischen ontotheologischen - im
Christusereignis zentrierten - Universalsysteme, wie ihn die
zum Nihilismus Nietzsches gesteigerte und bis heute den Zeitgeist
bestimmende Metaphysikkritik mit sich brachte, nur noch
eine geschichtliche Christologie sinnvoll sein kann, welche der
konkreten Erscheinung Jesu Christi in transzendentalhistorischer
Reflexion von dessen eschatologischer Bedeutung gedanklichen
Ausdruck zu verschaffen sucht.

Vorbereitet wird die systematische Entwicklung von H.s transzendentalgeschichtlicher
Christologie, wie sie namentlich der Schlußteil bietet, durch
fünf Einz.elabschnitte. Der erste (1-51) benennt einleitend die Fragen, welchen
der christliche Glaube durch die wissenschaftlich-technische Welt und
die in ihr Statthabende religiöse Krise, durch die Vielfalt der Religionen und
deren Relativierung im Kontext einer integrierten Kommunikationsgesellschaft
sowie nicht zuletzt durch die zutagegetretenen Spannungen zwischen
dem Bild des geschichtlichen Jesus und dem des kirchlichen Christus ausgesetzt
ist. Anfängliche Grundzüge der beabsichtigten Antwort werden skizziert
- und zwar im Kontext der Elementarbestimmung dogmatischer Christologie
, das Christusgeschehen als eschatologisches Ereignis des Heiligen
darzustellen. Dies geschieht in Abhebung und Zuordnung zu den mannigfachen
Ereignissen des Heiligen, zu den Religionen und insbesondere zu den
Etappen der alttestamentlichen Heilsgeschichte (vgl. 26). Ihr. der alttesta-
mentlichen Heilsgeschichte, ist ein zweiter Abschnitt (52-65) gewidmet,
welcher den, wie es heißt, „reale(n) Anweg zum Christusereignis" verfolgt.
Der Titel des dritten Abschnitts (66-127) führt ins innerste Zentrum der
Thematik und lautet: ..Jesus der Christus - Das Ereignis des Neuen Bundes
". Gehandelt wird von Botschaft und Praxis Jesu, von seinem Tod und
seiner Auferweckung sowie von der paulinischen Theologie des Todes und
der Auferstehung Jesu Christi als einem ausgewählten Beispiel neutesta-