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Ausgabe:

1995

Spalte:

697-701

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Tipler, Frank J.

Titel/Untertitel:

Die Physik der Unsterblichkeit 1995

Rezensent:

Genest, Hartmut

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

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thisch - es findet kein wirklicher Dialog statt zwischen den Ansätzen
beider Denker bezüglich ihrer (gemeinsamen) Auseinandersetzung
mit Heideggers Vorgaben. So wird etwa (vgl. 197)
der systematisch weitreichenden Frage nicht eigens nachgegangen
, weshalb sich Bultmann - in Übereinstimmung mit Ott -
ZWar zustimmend auf Heideggers Objektivierungsverdikt bezieht
, andererseits aber - im Unterschied zu seinem Schweizer
Kollegen - ein Entmythoiogisierungsprogramm entwirft (bzw.
durchführt). Kann also - und wenn ja. mit welchem Recht bzw.
i.S. welchen Mythos-Begriffs - jede mythische Rede eo ipso als
objektivierend gelten (so Bultmann) oder enthält sie im Gegenteil
(auch) unverzichtbare Elemente einer (nicht-objektivieren-
den) Rede von Gott (so Ott)?

- Schließlich treten, neben eine Reihe äußerer Fehler (13f,
16f, 33f, 58, 78, 88, 99, 136 etc.), im Rahmen der rezeptionshistorischen
Untersuchungen des Buches eine Reihe von exegetischen
Einzelproblemen auf. bei denen durchaus zu diskutieren
Wäre, ob Ozankom - dem alles in allem eine durchweg sachgerechte
Darstellung gelingt - den Voraussetzungen der drei Denker
wirklich gerecht zu werden vermag (vgl. etwa 68: das ,Man'
sei für Heidegger „eine positive Bestimmung des Daseins", die
dieses sogar „als ,ens realissimum'" konstituiere; 163: Bult-
mann unterziehe „die wissenschaftlich moderne Denkungsart
keiner Kritik": 197: Bultmann sehe im Mythos „eine .Sprach-
torm' ohne die die Religion nicht auskommen kann" etc.).

Fazit: Mit O.s Arbeit liegt eine nach Thema und Durchführung
durchweg verdienstvolle rezeptionshistorische Studie
zur wissenschaftstheoretischen Problematik der (nicht-(objektivierenden
Rede innerhalb der Theologie vor, die in wesentlichen
- vor allem: systematisch-begrifflichen - Punkten allerdings
noch einige Fragen offenläßt.

Wuppertal Heiko Schul/

Tipler, Frank J.: Die Physik der Unsterblichkeit. Moderne
Kosmologie, Gott und die Auferstehung der Toten. Aus dem
Amerik. von I. Leipold, B. Schaden u. M. Lavelle. 3. Aufl.
München-Zürich: Piper 1994. 605 S. m. 28 Abb. gr.8». geb.
DM 49.80. ISBN 3-492-03611-2.

Dies ist für den lesenden Theologen ein faszinierendes und provozierendes
Buch zugleich.

faszinierend, weil hier die Sache der Theologie einmal nicht
>n dem üblichen anthropologischen (historischen, psychologischen
oder soziologischen), sondern in einem kosmologischen
'physikalischen) Horizont verhandelt wird. Theologen, die jene
Engführung unbefriedigend finden, werden mit Interesse diese
Horizonterweiterung wahrnehmen, die aus der Welt der Hermeneutik
in eine Hermeneutik der Well zu führen verspricht.! 19
406)

Provozierend, weil hier nicht ein Physiker sich zu philosophischen
oder theologischen Problemen äußert - man denke etwa an
die wegweisenden Beiträge C. F. von Weizsäckers -, sondern
weil hier Philosophie und Theologie Uberhaupt als Probleme der
Physik aufgefaßt und gelöst werden sollen. Das bedeutet für eine
Theologie, die der Metaphysik (seit Kant) den Abschied geben
Zu müssen gemeint hat. eine Herausforderung ersten Ranges:
Nicht die Philosophie (wie noch bei Hegel), die Physik nimmt
sieh jetzt der klassischen theologischen Themen an, die in der
Modernen theologischen Literatur oft nur noch als historisches
Referat, nicht mehr als aktuelles Problem vorkommen.

Es geht in dem Buch um nicht weniger als um die drei klassischen
philosophisch-theologischen Themen: Gott, Freiheit und
Unsterblichkeit, und der Vf. behauptet mit hohem theoretischen
(31, 457) und existentiellen (5. 407) Anspruch, diese Probleme
einer endgültigen Losung zugeführt zu haben. Und es geht allen

Ernstes um eine physikalisehe Theologie, also den Versuch,
diese seit Galilei einander entfremdeten Wahrheitsbemühungen
zu versöhnen, indem „Theologie zu einem Spezialgebiet der
Physik erklärt und behauptet (wird), Physiker könnten die Existenz
Gottes und die Wahrscheinlichkeit der Auferstehung der
Toten zum ewigen Leben auf genau die gleiche Weise berechnen
wie die Eigenschaften des Elektrons." (13) Diesem programmatischen
Versuch, die Theologie in die Physik .aufzuheben
' gelten die Ausführungen des Vf.s im Vorwort, in der Einführung
und im Schlußwort. Die Theologie kommt mit ihren
Begriffen wie ,Gott', .Himmel', .freier Wille' in dieser physikalischen
Theologie ungefähr da zu stehen, wo bei Hegels philosophischer
Theologie die ,religiöse Vorstellung' zu stehen kam:
als vorläufiger, für die meisten Menschen aber ausreichender
Ausdruck der Wahrheit. (19, 406) Zeitgenössische Theologen,
die sich etwas darauf einbilden, ohne die Arbeitshypothese Gott
auszukommen und „die Eschatologie den Physikern Uberlassen
", müssen sich nicht wundern, wenn nun andere es ..an der
Zeit" finden, „die Hypothese Gott neu (zu) überdenken". (1711..
387)

Der wissenschaftstheoretische Anspruch (359) der von Tipler
vorgetragenen physikalischen Theologie ist kaum zu überbieten
: Nicht nur die seit Kant bestehende Überführung der .Physi-
kotheologie' in .Ethikotheologie' wird mit der Vorordnung des
Indikativs vor den Imperativ rückgängig gemacht (397ff.), sondern
die Theologie wird geradezu ein „Zweig der Physik": „So
wird jemand, der im 21. Jh. theologische Forschung betreiben
will, zuerst Teilchenphysik studieren müssen", denn allein die
physikalische Theologie (Tiplers „Omegapunkt-Theorie") vermag
den großen Weltreligionen „als solides Fundament zu dienen
." (395f., 403f.)

Es geht der physikalischen Theologie eigentlich um die Unsterblichkeit
und darum auch um die Freiheit als deren notwendige
und um Gott als deren hinreichende Bedingung. Wie stellt
sich diese anspruchsvolle Soteriologie, „die angesichts des Todes
exakt denselben Trost" (407) zu spenden verspricht wie die
Religion, des Näheren dar?

Unsterblichkeit in einem physikalisch endlichen Kosmos -
wie ist das möglich? Auf diese Frage geht der Vf. in den Kapiteln
II (Die äußersten Grenzen der Raumfahrt), IX (Die Physik
der Auferstehung von den Toten zum ewigen Leben) und X
(Was nach der Auferstehung geschieht: Himmel. Hölle. Fegefeuer
) ein. Ist das Interesse der Theologie heute weitgehend auf
die naheliegenden Fragen des (Über-)Lebens angesichts der
irdischen Krisen (Frieden. Gerechtigkeit. Bewahrung der
Schöpfung) beschränkt, so öffnet T.s Buch viel weitergehende,
wahrhaft universale Perspektiven: Will die Menschheit nicht
nur die jetzige Umweltkrise, sondern das Ende des Planeten
Erde im Feuerball der zum Roten Riesen aufgeblähten Sonne
überleben, so tut Raumfahrt not: Die Menschheit kann und muß
nicht nur den Weltraum (andere Planetensysteme) besiedeln, sie
muß das Universum als ganzes beherrschen, um die Umkehrung
der kosmischen Expansion in einen Kollaps so steuern zu
können, daß schließlich die gravitative Scherungsenergie des
Universums eine bis zum Ende von Raum und Zeit unbegrenzt
wachsende Energiequelle zur Verfügung stellt - eine gigantische
(Über-)Erfüllung des biblischen Schöpfungsauftrages!

Wie aber wird nicht nur das Überleben bis zum Ende der
Welt, sondern ,ewiges' Leben möglich? Die exotischen Bedingungen
der End-Zeit zwingen das Leben, seine irdisch-biologische
Basis (die Kohlenstoffchemie) aufzugeben und sich auf
eine neue, kosmisch-kybernetische Basis zu transferieren. Diese
.Transfiguration' des homo sapiens hat die Gestalt von identischen
Computersimulationen (Emulationen), die als solche mit
dem Original identisch (weil nicht operational unterscheidbar)
sind, und deren hardware (etwa in Gestalt stehender Lichtwellen
) den extremen Temperaturen am Ende des Kollaps stand-