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Ausgabe:

1995

Spalte:

689-690

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Coreth, Emerich

Titel/Untertitel:

Grundriss der Metaphysik 1995

Rezensent:

Keil, Günther

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Seite 1

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689

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

690

Philosophie, Religionsphilosophie

Coreth, Emerich: Grundriß der Metaphysik. Innsbruck
Wien: Tyrolia 1994. 200 S. gr.8°. Kart. öS 268.-. ISBN 3-
7022-1951-X.

••Das könnte in unserer Zeit gesagt sein, da nicht nur das Interesse
an Metaphysik weithin geschwunden ist, sondern die
-Uberwindung der Metaphysik' verkündet und die Ankunft
eines .nach-metaphysisehen- Zeitalters gepriesen wird. Ob alle,
die so reden, auch wissen, wovon sie reden?" (11) Das vorliegende
Buch kämpft und argumentiert für ein Grundwissen, das
alles andere Wissen erst fundiert, für eine Metaphysik. Alles
andere Wissen baut auf einem „es ist" auf und bedarf deshalb
eines Wissens, das dieses ..es ist" in seiner Allgemeinheit klart,
also einer Ontologie. Den methodischen Zugang zu dieser Cytologie
= Metaphysik findet der Vf. in der Frage: Am Anfang
steht die Frage: selbst der Zweifel entspringt noch aus ihr; und
selbst wenn die Frage wieder bezweifelt würde, könnte das nur
wieder durch eine neue Frage geschehen. Alles einzelne Wissen
gründet also im Fragen. Nun hat das Fragen aber transzendentale
Voraussetzungen, ohne die nicht gefragt werden kannn. Auf
diesen Riickbezug des Frageaktes auf seine allgemeinen, transzendentalen
Voraussetzungen baut nun der Vf. seine Metaphysik
auf. Dies geschieht - abgesehen von den Schlußerwägungen
'etwa von 214 ab), wo sieh katholisch-dogmatische Voraussetzungen
in die Argumentation mischen, - in strengen, sauberen
Gedankenlührungen, denen auch die Gegner jeder Metaphysik
sich unvoreingenommen stellen sollten.

Das vorliegende Buch geht auf die „Metaphysik" (31980) des
»f.s zurück und liegt hier in einer knapperen Neufassung vor.
Es behandelt zunächst in „1. Einführung" (14-43) Begriff und
Methodenfragen der Metaphysik. Dann in „2. Vom Fragen zum
Sein" (43-71) wird aus dem Akt des Fragens heraus der Seins-
begriff gewonnen. „2. Sein und Seiendes" (71-100) beschäftigt
sich dann mit den Begriffspaaren „Identität und Differenz,"
•Sein und Wesen" und „Substanz und Akzidenz". Hier zeigt
sich bereits, daß die Thematik dieser Metaphysik sich sehr stark
an die alten traditionellen Probleme, wie sie besonders von
rhomas von Aquin artikuliert werden, anknüpft, wenn auch
•nimcr wieder Seitenblicke auf Kant, den Deutschen Idealismus
, Heidegger u.a. geworfen werden. „4. Sein und Wirken"
(100-135) arbeitet dann - wieder ganz im Sinne des Thomas,
allerdings durch den transzendentalen Gedanken erweitert - den
Akt- und damit Wirkcharakter des Seins vor dem Hintergrund
des Wirkvermögens heraus, um dann die Seinsgesetze (auch
das der Finalität!) aufzuweisen und zusammenzustellen. Was
wäre eine Seinslehre ohne die Transzendentalien des Seins, die
durch alles Sein hindurchlaufenden Grundbestimmtheiten? Sie
Verden in „5. Das Eine. Wahre und Gute" (135-176) bestimmt,
Wobei das Schöne als Transzendentale bezweifelt und nicht
weiter behandelt wird. Über die Frage nach der Wirklichkeit der
welt („6. Sein und Welt" [176-195]), an der der Vf. gegen Idealismus
und Skeptizismus festhält, gipfelt die Metaphysik in der
Präge nach dem Sein selbst („7. Das Sein selbst" [195-2231). in
der Frage nach Gott. Hier sind die Argumente, die der Vf. für
die Gottesbeweise ins Feld führt, besonders der Begegnung
wert, auch für die Gegner aller Gottesbeweise. Zum Schluß der
Erörterungen über Gott und Religion mischen sich allerdings -
* ie schon erwähnt - dogmatische Prämissen ein.

Wer dieser stark traditionellen, aber im ganzen gut fundierten
Metaphysik begegnen will, wird dabei freilich auf ein sprachliches
Problem stoßen: Weil metaphysische Begriffe für alles
Sein schlechthin gelten müssen und deshalb kein Gegenteil haben
können, das nicht immer schon mit im Sein inbegriffen

wäre, können sie von nichts abgegrenzt werden. Das bedeutet
aber für den Vf., daß sie weder univoke (nur die Einheit berücksichtigende
und darum eindeutige) noch äquivoke (in die Verschiedenheit
sich autlösende), sondern nur analoge (Einheit und
Verschiedenheit zugleich in sich begreifende) Begriffe sein
können. Aber hier stellen sich doch Fragen: Wenn solche analogen
Begriffe keine univoken sind, dann können sie doch nur
indirekte Begriffe sein. Dann ist aber eine Erkenntnis im vollen
Sinne mit ihnen nicht möglich, sondern eben nur ein indirekter
Hinweis. Nun will aber der Vf. Gott (durch analoge Begriffe)
zwar nicht (voll) begreifen, aber doch erkennen können (208).
Wie soll das möglich sein? Das wird noch verstärkt durch folgenden
Gedankengang des Vf.s: „... aber in einer alles Endliche
unendlich überragenden Weise, so daß alle Ähnlichkeit durch
umso größere Unähnlichkeit überboten wird." (208) Wenn aber
alles Endliche unendlich überboten wird, wird damit auch die
Unähnlichkeit des analogen Begriffes mit seinem Gegenstand
unendlich groß, d.h. die Ähnlichkeit strebt null entgegen, und es
bleibt noch nicht einmal ein indirekter Hinweis. So richtig der
Gedanke des Analogen in der metaphysischen Begrifflichkeit
auch ist. er bleibt doch hier reichlich ungeklärt.

Damit liegt ein Buch vor, das gerade in seiner traditionellen
Eigenart Beachtung verdient.

Marburg Günther Keil

Fietz, Lothar: Fragmentarisches Existieren. Wandlungen des
Mythos von der verlorenen Ganzheit in der Geschichte philosophischer
, theologischer und literarischer Menschenbilder.
Tübingen: Niemeyer 1994. XIII, 304 S. gr.8°. Kart. DM
118,-. ISBN 3-484-40127-3.

Fietz' Buch „Fragmentarisches Existieren" erhebt im Titel
einen hohen Anspruch, den der Untertitel noch unterstreicht,
soll doch das Hauptthema synchron wie in einem mehrschichtigen
Schnitt durch philosophische, theologische und literarische
Paradigmen und diachron von Piaton bis Sartre und John
Fowles repräsentiert werden. Mag sein, daß der Titel eine Erwartung
weckt, wie sie sich ein jeder Lektor wünschte. Fraglich
ist, ob der anklingende Anspruch eingelöst wird. Der erste Teil
des Buches behandelt die geistesgeschichtliche Entwicklung
einer Anthropologie der Fragmentarität. Der zweite Teil präsentiert
unter der angemeldeten Thematik literarische Paradigmen
der anglophonen Literatur vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Zwischen
dem Titelblatt, das eine umfassende Monographie decken
soll, und dem Folgetext, der eine zuweilen zufällig anmutende
Paradigmenauswahl vorstellt, tritt eine Differenz, die das Ganze
selbst als Fragment erscheinen läßt.

Es gibt eine abendländische Tradition, so die Ausgangsthese
des Autors, die grundiert ist durch eine anthropologische Konstante
: die Fragmentarität humaner Existenz. Sie ist eine feste
strukturelle Vorgabe, die im Laufe geistesgeschichtlicher Tradierung
paradigmatische Wandlungen erfährt. Den Beginn sieht
der Autor in jener Mythenopposition, die einmal den Menschen
als Mängelwesen (dionysischer Lazerationsmythos). dann als
vollkommenes mikrokosmisches Abbild der kosmischen Totalität
darstellt (Pythagoras). Piaton erhob diesen mythischen
Urgegensatz zu philosophischem Rang. Während seine Spätdialoge
au die Bedingungsmöglichkeit philosophischer Repräsentation
von Totalität reflektierten (Timaios), führte er im Aristo-
phanesmythos (Symposion) die Ätiologie des fragmentierten
Menschen vor. Die gottgewollte Teilung und Schwächung des
Menschen weckt in ihm die Sehnsucht (Eros) nach dem ihn zur
ursprünglichen Totalität ergänzenden Gegenpart. Das Urpara-
digma der fragmentierten Existenz wird über den Eros reflektiert
zur Selbsterkenntnis (Logos) existenziellen Ungenügens.