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Ausgabe:

1995

Spalte:

684-685

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Lovisa, Barbro

Titel/Untertitel:

Italienische Waldenser und das protestantische Deutschland 1655 bis 1989 1995

Rezensent:

Selge, Kurt-Victor

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

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schließenden Bilanz gesprochen werden kann, versteht sich von
selbst. Schon der bewußt als Frage formulierte Titel will deutlich
machen, daß es nicht um mehr gehen kann als um einen
„Beitrag zu einer begonnenen und noch weiterzuführenden Forschungs
-Diskussion" (XV). Der Autor, längere Zeit Leiter des
Berliner Büros der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA)
und als solcher mit den Verhältnissen und Vorgängen in der
DDR aufs beste vertraut, betont, das Ziel der Arbeit bestehe darin
, „Materialien für eine Beurteilung bereitzustellen und auf diese
Weise einen Beitrag zum Verständnis der Situation von Christen
und Kirchen in der DDR zu leisten." Er beschränke sich
darauf, „Elemente für eine... Gesamtsicht zu präsentieren, zum
Teil auch miteinander zu verbinden, in der Erkenntnis, weder
quantitative Vollständigkeit noch qualitative Repräsentativität
beanspruchen zu können." (ebd.) Und es ist durchaus zu vermuten
, daß die Archive noch einiges mehr hergeben und manche
Einzelvorgänge in ein helleres und womöglich auch noch etwas
anderes Licht rücken. Trotzdem darf wohl davon ausgegangen
werden, daß die große Richtung des Weges der katholischen
Kirche in dieser Zeit und in diesem Räume mit den hier vorgelegten
Dokumenten deutlich abgesteckt worden ist.

Vorgelegt werden sowohl kirchliche wie staatliche Quellenstücke
, ungedruckte Akten aus verschiedenen Archiven, die
jetzt offenliegen, aber auch schon längst gedrucktes Material.
Gesetze, Verordnungen. Reden und Predigten, Auszüge aus
Zeitschriftenartikeln jener Zeit ebenso wie z.B. als Hektographen
bislang nur begrenzt Zugängliches. Damit werden die
Grenzen sehr weit gesteckt und das heißt auch, Probleme bewußt
in Kauf genommen, an denen das ganze Unternehmen fast
schon an seine Grenzen geriet. Nach den ersten Plänen - schon
vor mehr als fünf Jahren, also noch vor der politischen Wende
in der DDR - war nur ein relativ schmales Paperback-Bändchen
vorgesehen gewesen. Die politischen Ereignisse jedoch mit
ihren auf einmal völlig veränderten Möglichkeiten und auch
Anforderungen sprengten dann fast alle Dimensionen, nicht
zuletzt die der vorgesehenen Fristen und endlich sogar auch
noch die der verlegerischen Verantwortung, so daß, was nun
mit dem ersten Bande begann, im Selbstverlag des Autors
erscheint - ein zu bewunderndes Vorhaben auch hierin.

Jenseits aller bisherigen Dimensionen ist schon die einleitende
Bibliographie (XXV-XCVIII). Aufgelistet werden fast 1500
einschlägige Titel. Die sich daran anschließenden Texte (gegliedert
in drei Kapitel: Zwischen Demokratie und Volksdemokratie
. Katholizismus in SBZ und Berlin nach „Niederlage" und
„Befreiung" (1945-1947); Kalter Krieg, Stalinismus und Kirchenpolitik
(1948-1952); Stalins Ende - Neuer Kurs - 17. Juni.
Prägung und Trauma für die „Restzeit" der DDR (1953-1955)
und jeweils zahlreiche Unterabschnitte) werden sorgfältig eingeleitet
und durch Anmerkungen, die u.U. die Texte an Umfang
übertreffen, z.T. ausführlich erschlossen. Einige dieser Unterabschnitte
enthalten allerdings überhaupt keine Quellentexte, sondern
kommentieren lediglich Vorgänge. Die Lektüre wird auf
diese Weise freilich nicht gerade leicht gemacht. Schon der
relativ kleine Druck stellt seine besonderen Anforderungen.
Aber der Benutzer erhält eine Fülle präsentiert, auch an begleitenden
Informationen, die es schwer fallen läßt, im Weiterlesen
innezuhalten. Wer immer zeitgeschichtlich und zumal am Wege
der (katholischen) Kirche interessiert ist, findet zu nahezu allen
Bereichen des kirchlichen Lebens die Fülle.

Eine Dokumentation wie diese lebt davon, daß sie gebraucht
werden kann, daß sich jeder an der Gesamtproblematik wie an
Detailfragen Interessierte verläßlich und schnell an Quellen orientieren
kann. Im Hinblick darauf sind jedoch nun auch einige
kritische Anmerkungen nötig. Denn gerade dieser Zweck
scheint - wenigsten bislang - in mancher Hinsicht gefährdet.
Das strikt durchgehaltene chronologische Ordnungsprinzip, das
die einzelnen Stücke nur aufgrund ihrer Daten neben- und nacheinander
stellt, hat natürlich Grund und Sinn, läßt andererseits
aber keinerlei Zusammenhänge entstehen. Zwar liefern die Anmerkungen
Verweise in großer Zahl, die erste Verknüpfungen
herstellen (aber nicht die entsprechenden Seiten nennen bzw.
Einzeldokumente, sondern Unterabschnitte, die z.T. ziemlich
umfangreich sind), aber kaum genügen können, da sie vorwiegend
auch nur den vorliegenden Band berücksichtigen. Zusätzlich
wird das Auffinden gesuchter Dokumente dadurch erschwert
, daß die vorgenommenen Untergliederungen der grossen
Kapitel mit ihren Überschriften Gesichtspunkte herausheben
, die das darunter Gebotene zumeist nur zu einem Teil erfassen
. Das aber bedeutet: Alles andere, was nicht in der Überschrift
erscheint, ist im Grunde - es sei denn, man kennt das
Datum und kann gezielt blättern - so lange nicht auffindbar,
wie es nicht durch ein ausführliches Sachregister und Quellenverzeichnis
erschlossen wird. Bis dahin, möglicherweise aber
überhaupt, scheint diese Gliederung wenig hilfreich. Sie mag
vorerst ein kleiner Notbehelf sein, wirkt aber aufs Ganze gesehen
eher verwirrend. Denn sie unterstellt auch Zusammenhänge
, wo es keine gibt, es seien denn die des Datums. So enthält
z.B. der Abschnitt 1.11 „Kirchen bleiben .Großgrundbesitzer'.
Freistellung von der Bodenreform - Gleichwohl Kritik" neben
der ersten Verordnung zur Bodenreform in Sachsen Dokumente
zum Aufbau der Jugendausschüsse, ganz wichtige Stücke zur
Schulpolitik, besonders zur Frage der Zukunft konfessioneller
Schulen, sowie die Papstbotschaft an die deutschen Bischöfe im
November 1945. Dies aufzuspüren ist (jetzt noch) dem Zufall
überlassen. Die folgenden Bände, die bis in das Jahr 1990
führen sollen, sind zwar auch schon weithin konzipiert. Ihre
Gliederung wird abschließend bereits mitgeteilt. Und ein Register
soll das Ganze dann entsprechend beschließen. Doch ein
Zeitplan dafür ist noch nicht in Sicht und also wird wohl einige
Geduld vonnöten sein beim Blättern und Suchen, wenn man
sich z.B. über die Anfänge der Berliner Bischofskonferenz, informieren
möchte (die viel früher übrigens zu datieren sind als
1950, wie gemeinhin angenommen) oder über das schwierige
Thema der Schulpolitik, über das frühe „Dreieck zwischen
Katholizismus, Kirche und Ost-CDU" (60), über die durchaus
unterschiedlichen Standpunkte und Haltungen der Bischöfe
(Kardinal v. Preysing gegenüber Bischof Wienken), die Bereitschaft
der Kirche(n) zur Mitarbeit in einem gemeinsamen Jugendverband
usw.

So ist nur zu wünschen, daß das Unternehmen zügig zum
Abschluß gelangt, damit es erfüllen kann, was es heute nur erst
verspricht: Aufklärung zum Verständnis der Situation. Daß es
sich unter einer Frage präsentiert und wie diese formuliert ist,
beweist das leitende Interesse: Historische Erkenntnis jenseits
von Polemik auf der einen Seite und Apologetik auf der anderen
. Und das ist auch noch einer seiner Vorzüge und gewiß
nicht der geringste.

Berlin Hubert Kirchner

Lovisa. Barbro: Italienische Waldenser und das protestantische
Deutschland 1655 bis 1989. Göttingen: Vandenhoeck
& Ruprecht 1994. 329 S. gr.8« = Kirche und Konfession. 35.
Kart. DM 68,-. ISBN .3-525-56539-9.

In ihrer Kieler Dissertation stellt die Autorin zunächst die diplomatische
Fürsprache deutscher Fürsten, besonders auch der brandenburgischen
, sowie die Aufnahme von vertriebenen Walden-
sern in der Periode 1655-1730 ans Licht, die in der Waidenserge-
Schichtsschreibung gegenüber dem Eingreifen besonders aus
England und der Schweiz weniger zur Geltung komme, sodann
im selben Sinne - die preußischen Hilfen in der Zeit der Erweckung
. Sie zeichnet dann die sporadischen deutsch-waldensi-