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Ausgabe:

1995

Spalte:

677-679

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Stupperich, Robert

Titel/Untertitel:

Westfälische Reformationsgeschichte 1995

Rezensent:

Moeller, Bernd

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Theologische Literatur/eilung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

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gung wiederholt als .kursiv' 189. [05, 155], wo der Leser eher
-kursorisch" erwartet). Manche Sätze sind überladen (87, erster
Satz; I 19, erster Satz). Der Rez. gesteht, daß ihm .Reden' weder
als Ubersetzung von .eloquia' (73 bei Anm. 342) noch von ,ser-
mones' (82 bei Anm. 409) einleuchtet. Nicht allein sprachlich
ist Kritik möglich gegenüber der Behauptung, L. gebe „die grobe
Anlage des Paulusbriefes und damit impli/.it auch seiner
Auslegung schon mit den ersten Sätzen der Vorlesung" an
(152). Kann man den Römerbrief'doch auch völlig anders interpretieren
als Luther.

Gerade in der heutigen Forschungssituation, in der neben den
Aussage-Intentionen von Verfassern die Rezeption ihrer Werke
intensiver berücksichtigt wird, ist diese Arbeil willkommen.
Ze igt sie doch auf, was Luthers Studenten von seinem Römerbriefkommentar
überhaupt haben aufnehmen können. Was
Luther in sein Vorlesungsmanuskript geschrieben hat, kann ja
vor der Entdeckung dieses Manuskripts keine Wirkung auf
andere gehabt haben. Dankenswert ist nicht nur. daß diese
Arbeit in Angriff genommen worden ist. sondern auch, wie die
Vfn. ihre Aufgabe bewältigt hat.

Amsterdam Christoph Burger

Stupperich. Robert: Westfälische Reformationsgeschichte.

Historischer Überblick und theologische Einordnung. Bielefeld
: Luther 1993. 265 S., 1 Falttaf. gr.8° = Beiträge zur
Westfälischen Kirchengeschichte, 9. Pp. DM 48,-. ISBN 3-
7858-0351-6.

An Gesamtdarstellungen der westfälischen Reformationsgeschichte
heu sein kein Mangel; nach mehreren älteren Werken
verdient vor allem die große, zweibändige Darstellung des
katholischen Kirchenhistorikers der Universität Münster. Alois
Schröer, ..Die Reformation in Westfalen. Der Glaubenskampf
einer Landschaft" i Münster 1979/83). mit Achtung genannt zu
werden - ein fast 1500 Seiten umfassendes, sorgfältig und in
beachtlichem Maß ironisch geschriebenes Werk. Nun legt der
emeritierte Kirchenhistoriker der evangelisch-theologischen
Fakultät von Münster eine weitere Gesamtdarstellung vor.

Sie ist viel knapper gehalten und auch wesentlich anders
angelegt als das Werk von Schröer. Jeder Historiker Westfalens
hat es in der älteren Zeit mit den Schw ierigkeiten zu tun, die die
politische Zerklüftung des Landes seinem Bemühen entgegensetzt
; das Kernland, die verschiedenen geistlichen Territorien
dieser am intensivsten kirchlich regierten Landschaft Deutschlands
, war im 16. Jh. umgeben von einem Kran/ kleiner und
mittelgroßer Grafschaften und im Westen begrenzt durch die
vereinigten Herzogtümer Kleve - Mark - Ravensberg; zudem
gab es vier mittelgroße freie oder halbfreie Städte (Dortmund.
Soest. Lippstadt. Herford). Schröer begegnet dieser Schwierigkeit
, indem er seine Darstellung nach den verschiedenen Regionen
gliedert und zunächst die weltlichen, dann die geistlichen
Herrschaftsgebiete behandelt. St. dagegen gehl chronologisch
vor. Die sieben Kapitel handeln zunächst von der vorreformato-
rischen Zeil, sodann von der „Rezeption" der neuen Lehre sowie
der „Ausbildung ". dem ..Durchbrach" und - nach einem
Abschnitt über das Münstersche Täufertum - dem „Fortgang"
der Reformation in Westfalen, bis in einem Schlußkapitel die
kirchliche Situation in den Jahrzehnten um und nach 1600
geschildert wird. Immer wieder geht der VI. die Gesamtheit des
Landes durch, was viele Wiederholungen zur Folge hat, aber
seinem Bemühen zu entsprechen scheint, „den inneren Gang
der Reformationsgeschichte in den Mittelpunkt (zu) stellen"
(195). Im Grunde sind es nicht die kirchlichen Verhältnisse in
ihrer Gesamtheit, sondern nur die Regungen des Protestantismus
, die ihn interessieren, und er ist überzeugt, daß die reformatorische
Bewegung in dieser Landschaft „in erster Linie eine
theologische und frömmigkeitsgeschichtliche" gewesen sei
(II), so daß es dem Historiker nicht auf die „Faktoren der Umgebung
", sondern auf „die religiösen Kräfte" anzukommen
habe (ebd.).

Ein Merkmal der Reformation Westfalens ist. daß sie erst
auffallend spät, im Grunde erst nach 1530, einsetzte. Wieso das
so war. wird nicht weiter erörtert, dagegen werden die Kontakle
Luthers und Melanchthons mit westfälischen Schülern und
Briefpartnern ausgiebig dargelegt, auch wenn sie vergleichsweise
eher spärlich waren. Weiterhin erfahren die westfälischen
evangelischen Kirchenordnungen, die größtenteils den 1530er
Jahren entstammen - die umfangreichsten reformatorischen
Texte, die das Land überhaupt hervorgebracht hat -, eine ausführliche
Schilderung und Würdigung (85-107) und ebenso das
Münstersche Täuferreich - jener Vorgang, mit dem Westfalen
am stärksten und nachhaltigsten auf die gesamtdeutsche Entwicklung
eingewirkt hat (108-131). Erst im Schlußkapitel bietet
dann auch St. eine nach Herrschaftstypen gegliederte Darstellung
, die er mit dem Ende des 30jährigen Kriegs abschließt.

Im einzelnen herrscht in dem Buch die Ereignis- und die Personengeschichte
vor. In schlichter, schmuckloser Sprache wird
vorwiegend berichtet, selten reflektiert; modernere Fragestellungen
- etwa die Frage nach der sozialen Einbettung und den
sozialen Strukturen der reformatorischen Bewegung, nach den
verfassungsrechtlichen und den politischen Konkretionen, auch
der Vergleich mit anderen deutschen Landschaften - treten
ganz zurück; daß die Entscheidung über die Reformation last
überall in Machtkämpfen fiel, wobei die ein/einen Faktoren -
in den Bistümern Bischof, Domkapitel. Stände, in den Städten
Räte, Gilden, Bürgerschaften usw. - zumeist umschreibbar sind
und definierbare Ziele verfolgten, bleibt beinahe unbemerkt,
pauschale Feststellungen treten an die Stelle — über die reformatorischen
Prediger in Lippstadt: „der Mann aus dem Volk
wartete auf ihr Wort" (41); über die Heirai des Klerikers Lambach
in Dortmund: „die Dortmunder Bürgerschaft begrüßte diesen
Schritt auf das freudigste" (151).

St. hat sich seil Jahrzehnten mit F.inzelforschungen um die westfälische
Reformationsgeschichte verdient gemacht; insgesamt 41 Titel von ihm werden
im Literaturverzeichnis genannt und in den Anmerkungen verarbeitet.
Daneben jedoch wird wichtige neuere Literatur anderer Autoren vielfach
ignoriert, um nicht zu sagen: mißachtet, und damit fallen auch deren Forschungsergebnisse
und deren Fragestellungen aus. Um einige Defizite dieser
Art zu beleuchten: Unbeachtet bleiben eine hervorragende Monographie
über eine westfälische .Stadtgesellschaft der Vorreforniation mit ausführlicher
Analyse der kirchlich-religiösen Verhältnisse (//. Ruthing, Höxter um
1500, Paderborn 2. Aull. 1986). die neuere Literatur über Hutten seit Holborns
Buch von 1929 (23 mit Anm.), die wichtigsten historisch-analytischen
Arbeiten von W. Ehbrechl über die Abläufe der Reformation in westfälischen
Städten (Minden. Osnabrück. Soest), die es beispielsweise verbieten
, die Bildung von Bürgerausschüssen auf das „Vorbild der grollen Hansestädte
Hamburg. Lübeck und Bremen" zurückzuführen (31). Bei den
„Thesen an Kirchentüren" in mehreren westfälischen Städten in den Jahren
1530-32 (81-85) ging es um die Veranstaltung von Disputationen und um
eine Übertragung aus dem akademischen in den städtisch-politischen Bereich
, die kaum auf „Luthers Beispiel", sondern vielmehr ursprünglich auf
das Zürcher Vorbild von 1523 zurückzuführen ist (Moeller. Zs. d. Savigny-
iStiftung f. Rechtsgesch.. Kan. Abt. 1970 u. 1974). Das Täuferreich von
Münster (108-131) ist in den letzten Jahrzehnten durch eine ganze Reihe
wichtiger Arbeiten sozialgeschichtlich erschlossen, die St. nicht nennt:
Kirckhoffs große Monographie von 1973. die Aufsätze von H. Schilling (in
dem Bauernkriegsband von Wehler 1975), WdlgaU (ARG 1976). Holtner-
Schin/Uing (Hist. Jb. 1990) etc. Die sozialen und konfessionellen Zustände
in der Stadt Münster nach 1535 sind eingehend untersucht in dem Buch von
R. Po-chia Hsia, „Gesellschaft und Religion in Münster 1535-1618". 1989
(zu 157 m. Anm.). Der Konfessionskonflikt zwischen den lippischen Grafen
und der Stadt Lemgo nach I6(X) (1771.) ist Gegenstand der bedeutenden
Habilitationsschrift von H. Schilling, „Konfessionskonflikt und Staatsbildung
. Eine Fallstudie über das Verhältnis von religiösem und sozialem
Wandel in der Frühneuzeit am Beispiel der Grafschaft Lippe". 1981.

Der Untertitel des Buches von St. kündigt ..historischen
Überblick und theologische Einordnung" an. Das zweite Stich-