Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1995

Spalte:

672-673

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Lutherjahrbuch; 61 1995

Rezensent:

Koch, Ernst

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

671

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

672

Arbeit gesehen. Hoburg muß in seiner Hauptthese gegen die
Mehrzahl von Voten bisher mit der Sache befaßter Fachkollegen
antreten. Der Hintergrund seines Ansatzes hängt mit dem
Forschungstrend seines Promotors Martin Brecht zusammen,
der in einem programmatischen Aufsatz in der Zeitschrift für
Kirchengeschichte (1985. 301-319) schon über „Zwingli als
Schüler Luthers" gehandelt und in diesem Zusammenhang die
theologische Entwicklung des Zürcher Reformators von 1518
bis 1522 thematisiert hatte.

Das schon angesprochene Schlußkapitel des Buches, das eine
erstaunliche Intensität in der Quellenbefragung und der Beachtung
bisheriger Sekundärliteratur erkennen läßt, könnte zur
Erhellung der Fragestellung vielleicht zuerst gelesen werden,
um von dort her das Kaleidoskop der Zitation von Quellen und
Sekundärliteratur einfacher zu durchschauen. Das ganze Buch
dient im Grunde der Beweisführung für die Schlußfrage, die in
folgendem kulminiert: Es ging „der hier vorliegenden Untersuchung
darum, die reformatorische Entwicklung Zwingiis im
Spannungsfeld zwischen Bibelhumanismus und Einflüssen lutherischer
Theologie aus der Sicht der Schriftauslegung darzustellen
. Insofern läßt sich die Aufgabe der Forschung dahin präzisieren
, die jeweiligen theologischen Einflüsse auf Zwingiis
Entwicklung nachzuzeichnen, zu denen dann neben Erasmus
und den Kirchenvätern gerade auf exegetischem Gebiet Luther
zu rechnen ist. Brecht forderte deshalb die Kirchengeschichts-
forschung auf. zu prüfen, inwieweit Zwingli Luthers Gedanken
.eigenständig und in Auswahl aufnahm', so daß die Gegensätze
,sich nur in einer neuen umfassenden Bemühung um die Quellen
überwinden lassen'. Diesem Postulat sah sich die vorliegende
Untersuchung verpflichtet." (277)

So ist es: Die hier anzuzeigende Studie enthält nicht nur kräftige
Thesen, sie eröffnet zugleich ein Forschungsprogramm, das
aus Mangel an ausreichender und eindeutig zu lesender Quellensituation
bisher vernachlässigt worden ist. Die aus der Arbeitsmethode
Luthers bekannte connexio verborum hinsichtlich
bibeltheologischer und theologiegeschichtlich relevanter Termini
wird vom Vf. auch für Zwingli in Anspruch genommen.
Der Titel des Buches „Seligkeit und Heilsgewißheit" ist also
paradigmatisch, wie H. hinsichtlich seines Forschungsgegenstandes
ohnehin gern vom „Paradigmenwechsel" (275) als
Nachweis für Zwingiis reformatorische Entdeckung redet.

So könnte vielleicht in Zustimmung und Widerspruch - die
Zwingliforschung neu belebt werden, wie es schon eine Arbeit
intendiert hatte, die anderweitig Vernachlässigtes, nämlich
„Zwingiis Amtsverständnis im Rahmen der Zürcher Reformation
" (M Ilauser: Prophet und Bischof. Freiburg Schweiz 1994)
als Gegenstand der Untersuchung auserkor. H. berücksichtigt in
seiner Arbeit ausführlich wie niemand zuvor die ..Psalmenmarginalien
" des Zürcher Reformators. So wird die Studie „ein
rezeptionsgeschichtlicher Nachvollzug der auf Zwingli einwirkenden
exegetischen Einflüsse bis zur Einführung der Reformation
in Zürich ( 1522/23)". (IX)

Der Vf. stößt bei seinem Unternehmen auf „überraschende
Ergebnisse" (a.a.O.). „So ist Zwingiis theologische Entwicklung
weit mehr als die Luthers angewiesen auf die Rezeption
bestimmter zeitgenössischer Theologen. Sein Eklektizismus
beruht nicht zuletzt darauf, daß er versucht, jeden theologischen
Entwurf von vornherein in seine theologische Ausgangsfrage zu
integrieren. In einem stetigen Prozeß von Annäherung und
Abgrenzung, der sich bis 1522 an den Marginalien zum Psalter
verfolgen läßt, formt sich dabei seine reformatorische Anschauung
." H. läßt die außertheologischen Faktoren im Rahmen der
Entwicklung Zwingiis außer Betracht, seinen Patriotismus, sein
sozialethisches und kirchliches Engagement, sein generelles
Geprägtsein durch den Humanismus.

Die Problematik Humanismus nimmt der Vf. allerdings intensiv
auf im Programm des „Bibelhumanismus" (1-6). den er, prägend
für Zwingli vornehmlich bei dem Franzosen Faber Stapu-
lensis (100-106 u. passim) und bei Erasmus von Rotterdam (42-
46) findet. Jedesmal spielt die Verständigung über den Literal-
sinn der Bibel, zugespitzt auf das Begriffspaar von „spiritus et
litera" (43) eine herausragende Rolle. Hier auch ist der Ansatz -
bei allen beobachteten Abhängigkeiten von Luther-zur Diaslase
zwischen den beiden Reformatoren. Geist Gottes und Wort Gottes
in ihrer Relevanz für „Seligkeit und Heilsgewißheit" werden
bei Luther und Zwingli jeweils anders akzentuiert.

Die Unterschiedenheit zwischen beiden Reformatoren bewertet
H. auf dem Hintergrund der „Worttheologie" Luthers
folgendermaßen: „Ist Zwingli Spiritualist? Es wird m.E. bei der
Beantwortung dieser Frage zu wenig die Einbindung des Hlg.
Geistes in die Erkenntnislehre einerseits (Illuminatio) und die
Hermeneutik andererseits (spiritus et litera) beachtet, wie sie
bei Agustin begegnet. ...Die Marginalien zeigen, daß der Geist
auf die Schrift bezogen bleibt, indem er ihren soteriologischen
Sinn vergegenwärtigt und den Menschen zum Verstehen führt.
Dies erklärt, warum Zwingli mehrfach betonen kann, daß die
Hlg. Schrift erleuchtet." (269f) Das von der Schrift isolierte
Wirken des Heiligen Geistes ist demnach nicht Zwingiis Auffassung
, wodurch manche Behauptungen auf lutherischer Seite
eine gewisse Korrektur erfahren.

Nicht Unkenntnis, sondern Auseinandersetzung mit mittelalterlichen
und zeitgenössischen Theologen und ein damit gegebener
Eklektizismus gehören zum theologischen Werden
Zwingiis. An hervorragender Stelle nimmt H. in Nachfolge seines
Lehrers M. Brecht die „Benutzung der Operationes in Psal-
mos Luthers", d.h. Luthers Vorlesungen in den Jahren 1519-
1521. in Anspruch. (210-212 u.passim) Wer ihm hier und in
anderen Punkten seiner Neuansätze widersprechen will, muß an
die Quellen heran und an Zwingiis Kommentierung dazu.

Auf jeden Fall verdient H.s neu aufgenommenes Anliegen
Anerkennung und Dank, die Reformation des 16. Jh.s in Zürich
als theologisch grundgelegt zti begreifen. Wir haben dazu eine
große viele Quellgebiete berücksichtigende Studie vor uns, die
Anlaß geben könnte, manche früheren Arbeitsergebnisse zu
überprüfen.

Görlitz Joachim Rogge

Lutherjahrbuch. Organ der internationalen Lutherforschung.
Im Auftrag der Luther-Gesellschall hrsg. von H. Junghans.
61. Jahrgang 1994. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1994. 194 S. 8«. Pp. DM 50,-. ISBN 3-525-87426-X.

Der am Anfang dieses Jahrgangs stehende Aufsatz von Gerhard
Ebeling mit dem bescheidenen Titel „Luthers Gebrauch der
Wortfamilie .Seelsorge'" baut in der seinem Autor eigenen
Meisterschaft des Umgangs mit Phänomenen der Sprache der
Theologie auf einer breiten sprachgeschichtlichen Grundlage
auf. Er durchbricht dann aber bald den Verstehensbereich philologischer
Deutung und beobachtet, wie Luthers theologisches
Latein im Zuge der Gewinnung neuer Einsichten „zweisprachig
" wird und schließlich fast völlig durch deutsche Sprache
ersetzt wird. Predigt und Seelsorge werden zum Hendiadyoin.
Die Rede von der Seelsorge hat „bei keinem deutschsprachigen
Autor vor der Reformation eine vergleichbar intensive Aufnahme
" gefunden. Luthers Umgang mit dem Wortfeld „Seelsorge"
„entspricht genau dem. was man auch an Luthers Umgang mit
der Wortfamilie .Theologie' beobachten kann" (44).

Linen Beilrag über Luthers Predigten über Engel steuert
Michael Plathow bei („.Dein heiliger Engel sei mit mir'. Martin
Luthers Engelpredigten"). Die Einordnung des Engelsglaubens
in das Spannungsfeld von Gott und Teufel und der beiden Regi-
mente Gottes liefert theologische Kriterien für den Umgang mit