Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1995

Spalte:

657-659

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hoffmann, Paul

Titel/Untertitel:

Studien zur Frühgeschichte der Jesus-Bewegung 1995

Rezensent:

Roloff, Jürgen

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

657

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

65 s

rungsstufen beobachten lassen, ohne daß er inhaltlich so umstritten
ist wie etwa das 13. Kap. G. folgt der durchaus üblichen
Zweiteilung des Textes: V. 1-13 Auseinandersetzung über kultische
Reinheit. V. 14-23 Erklärung der Reinheit aller Speisen.
Mk will nach G. nicht etwa heidenchristlichen Lesern klar
machen, daß sie in dieser Beziehung keine jüdische Sillen zu
Ubernehmen brauchen, sondern er will Jesu Vollmacht darstellen
, die ihm trotz seines Todes am Kreuz zukommt.

I >aher gehl zwar die Erläuterung in V. 31' auf Mk zurück, die
bekannte Schwierigkeit, dafl das Jes-Zitat in V. 6f am ehesten
der LXX entspricht, nicht aber dem hebräischen Text, löst er
damit, daß neuere Funde die Existenz auch des griechischen
Textes in Palästina belegen, dessen Kenntnis also bei Jesus
nicht auszuschließen ist. Es gibt also kein Indiz dafür, daß griechisch
sprechende Überlieferungstriiger auf die Textgestaltung
eingewirkt haben.

Der programmatische Satz V. 15 antworte! nicht auf die eingangs
gestellte Frage, wie zu essen sei, sondern (der historische
) Jesus führt die Diskussion auf die neue Ebene dessen, was
gegessen werden darf. V. 17-23 bilden dann Jesu eigene Auslegung
von V. 15. nicht die Interpretation dieses Jesuswortes
durch spätere. Insgesamt zeige Mk. daß Jesus als Gottes Sohn
die Vollmacht hat. das (leset/ zu ändern.

Aber geht es hier denn wirklich um die Änderung der Tora?
Unbedingt in Geltung bleibt doch Gottes Gebot (V. 8). das, was
Mose gesagt hat V. 10). Abgelehnt wird die als menschlich
denunzierte „Überlieferung der Alten" (V. 3). d.h. pharisäische
Bestimmungen, die nicht in der geschriebenen Tora enthalten
sind, und gegeben wird am Schluß eine - durchaus in jüdischer
Tradition stehende - ethische Interpretation der Speisevorschriften
(V. 211), die einem nicht mehr akuten Konflikt einen
"euen positiven Sinn gibt. Erst eine solche Einsicht in den
Uberlieferungsprozeß gewinnt dem Text mehr an Sinn ab als
die bloße Demonstration der Vollmacht Jesu.

Die Stärken von G.s Auslegung liegen in der grammatischen
Analyse des Textes, aus der viel zu lernen ist, nicht zuletzt für
die Hervorhebung der narrativen Anteile gegenüber der direkten
Rede. Ihre Grenzen /eigen sich sehr deutlich in der Redukti-
°n auf die historische Ebene des Erzählten, auch wenn G. keineswegs
den Text einfach als fortlaufende Wiedergabe des Gewesenen
nimmt. (Einige notorische historische Probleme wie
die noch dazu dreistündige Sonnenfinsternis bei Vollmond in
•5,33 oder die Darstellung der Verwandtschaftsverhältnisse des
Hemdes in 6.17.22 werden freilich einfach überspielt). G. kennt
die Mk-Literatur gut genug, ist unerbittlich gegenüber ihren
Auswüchsen (als Beispiel: der Exkurs über das sog. „geheime
MkEv.", 603-623). nimmt vorsichtig anderes auf. Insgesamt
Uber bleibt er belangen in einem fundamentalistischen apologetischen
Textverständnis, das freilich für den nordamerikanischen
Kontext - und nicht nur ihn - repräsentativer sein wird
als diesseits des Atlantiks wahrgenommen.

Marburg Dieter Lührmann

Holtmann, Paul: Studien zur Frühgeschichte der Jesus-
Bewegung. Stuttgart: Katholisches Bibelwerk 1994. 368 S.
gr. 8« = Stuttgarter Biblische Aufsatzbände 17. Kart. DM
79,-. ISBN 3-460-06171-5.

Dieser Sammelband vereinigt zwölf exegetische Untersuchungen
und Vorträge, die im Laufe der bisherigen, mehr als zwan-
zigjMhrigen Lehrtätigkeit Paul Hoffmanns an der katholischtheologischen
Fakultät Bamberg entstanden sind. Laut Vorwort
'st es deren gemeinsames Ziel, „den Blick auf die sensible Phase
des Anfangs zu lenken, in der dem rückschauenden Auge der
Ursprung jener Geschichte, auf die sich die christlichen Kirchen

heute zurückführen möchten, sichtbar werden kann, zugleich
mit den Schatten, die die Jesus-Bewegung offensichtlich schon
von Anfang an begleiteten."' (11) Bereits diese programmatische
Formulierung setzt mit aller Deutlichkeit die für Hoffmanns
theologische Arbeit bestimmenden Anliegen und Sichtweisen
ins Licht. Da ist zum einen die Überzeugung, daß die
Anfangsgeschichte des Christentums nicht nur ein den Historiker
interessierendes Phänomen, sondern Kriterium und Norm
für „die christlichen Kirchen heute" sein will. Da ist ferner die -
sich zunächst als Unikehrruf, in den späteren Beiträgen aber
immer stärker als schneidend scharfe, von resignativen Tönen
nicht freie Kritik artikulierende - Einsicht, daß der Anspruch
der Kirchen, sich auf diese Ursprungsgeschichte zurückzuführen
, durch die Praxis dieser Kirchen (vor allem, aber nicht
nur, der römisch-katholischen Kirche) widerlegt wird. Und da
ist schließlich die Feststellung, daß es bereits in dieser Anfangsgeschichte
..Schatten" gab, die eine idealisierende Darstellung
verbieten, mit anderen Worten: daß auch jene Autoritäts- und
Machtstrukturen, die sich - die Intentionen der Botschaft Jesu
überlagernd und verdunkelnd - im Laufe der Kirchengeschichte
beherrschend in den Vordergrund geschoben haben, ihre Ansätze
in der Ursprungsgeschichte haben.

Zum überwiegenden Teil sind die Beiträge dieses Bandes bereits an
anderen Stellen publiziert. Leider sind die Hinweise auf die Erstveröffentlichungen
in einigen l allen nicht exakt. Teilweise fehlen die Titel von Sam-
melbänden oder auch die ursprünglichen Titel der ein/einen Beiträge. Literaturnachträge
sind /.war durch Klammern kenntlich gemacht, nicht jedoch
Kürzungen und Neugliederungen der ursprünglichen Texte. Der Ärger über
diese editorisehen Mängel wird jedoch mehr als ausgeglichen durch die
Faszination der Gesamtsicht, zu der sieh die verschiedenen Beiträge nahe/u
nahtlos zusammenfügen. Es ist eine Darstellung Jesu und des Urchristentums
entstanden, die sieh - trotz mancher Einseitigkeiten - durch stilistische
Noblesse und theologisches Format auszeichnet.

Teil I (Perspektiven der Verkündigung Jesu) setzt ein mit
einem Beitrag über „Jesu einfache und konkrete Rede von
Gott" (erstpubliziert unter dem Titel „,Er weiß, was ihr
braucht...' |Mt 6,7]". in: „Ich will euer Gott weiden". Beispiele-
biblischen Redens von Gott, SBS 100. 1981 I. Die Wirkung Jesu
auf seine Zeitgenossen kommt - so Hol tmanns zentrale T hese -
aus seiner Einfachheit: „Sein Leben machte Gnade erfahrbar,
ließ die Wahrheit seines Gottes konkret werden. Ohne diese
Einfachheit und Konkretheit der menschlichen Existen/ ist der
Gott Jesu nicht zu haben. Wo sie fehlen, bleiben nur Ideologie
und Heuchelei" (39f). Die weiteren Beiträge dieses Teils (sämtlich
erstpubliziert in: Hoffmann/Eid, Jesus von Nazareth und
eine christliche Moral, OD 66. 31979) handeln von ethischen
Aspekten der Verkündigung Jesu, nämlich der ..Option für die
Armen", den „Antithesen der Bergpredigt", dem ..Recht der
Frau", dem Verständnis des „Nächsten", sowie dem „Herrschaltsv
erzieht".

Teil II (Ostern und die Anlange der Christologie) setzt ein
mit einem Aulsat/ ..Gekreuzigt unter Pontius Pilatus" (erstpubliziert
: Orientierung 57 [ 1963]), der die „auffallende Pluralität
der Deutungen" des Todes Jesu in den Evangelien aufweist und
daraus schließt, daß die Überlieferung ein lebendiger Prozeß ist.
die als solcher zur Lebendigkeil verstehender Aneignung herausfordert
, „nicht aber zu einer letalen Unilörmität" von eingeforderten
Lehrsätzen. „Jeder Generation in der langen Geschichte
der Christenheit bleibt die Aulgabe, sich mit ihrer Existen
/ auf die Geschichte des Jesus von Nazareth einzulassen
und sich ihren Reim auf sie zu machen" (186). Der bei weitem
umfangreichste Beitrag „Der Glaube an die Aulerweckung Jesu
in der neutestamentlichen Überlieferung" ist eine etwas gekürzte
und redigierte Wiedergabe des Artikels Auferstehung ll/l aus
TRE 4 (1979). ergänzt durch einen Schlußabschnitl „Zur Entstehung
des Osterglaubens" (aus: „Zur neutestamentlichen
Überlieferung von der Auferstehung Jesu". 1988 [WdF 522]).
Ein unveröffentlichter Vortrag „Zur Problematik der christolo-