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Ausgabe:

1995

Spalte:

656-657

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gundry, Robert Horton

Titel/Untertitel:

Mark 1995

Rezensent:

Lührmann, Dieter

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

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interpretiert werden, „eine entsprechende Kirchenzucht" sei
noch nicht geübt worden: „Rekonversionen wurden offenbar
nicht beantragt. Das Ganze ist zur Warnung aufgeschrieben"
(392). 2Thess wird in einem Exkurs dargestellt (393-397), weil
er nur ein einziges Thema, nämlich die Ablehnung der „Nächst
erwartung" behandele; aber warum dieser Sachverhalt dem
Text einen „besonderen Status" verleiht (393), wird nicht deutlich
. Außerdem stimmt das Urteil eigentlich nur dann, wenn
man 2Thess nicht für sich liest, sondern vor dem Hintergrund
des IThess und dann nach den Differenzen fragt.

Auch im Zusammenhang der ApkJoh (ij 6) spricht G. von
„Theologie", ohne daß jedoch die Verwendung dieses Begriffs
durch die Darstellung voll gerechtfertigt würde; G. gibt im
wesentlichen eine Bschreibung der verwendeten Bilder und der
im Text sich aussprechenden eschatologischen Erwartung. Inwiefern
in der Apk eine „Theologie" im eigentlichen Sinne
expliziert wird, wird kaum deutlich.

In § 7 schließlich wird „die Theologie der Kirchenbriefe"
verhandelt, wobei IPetr, der „theologisch am bedeutsamsten"
sei (42 I), an der Spitze steht. G. übernimmt die These, daß der
Autor „Lieder" verarbeitet (2,21-24; 3,18-22); stets gehe es darum
, „die Gemeinde in ihrem angefochtenen Christsein zu stärken
" (426). Ob es dabei zutrifft, daß nach 1 Petr „die Zugehörigkeit
zu Christus" auf der „Entscheidung glaubenden Gehorsams
" (und offenbar nicht auf der Erwählung durch Christus)
beruht (432), kann man fragen - auf welche Aussage des Briefes
G. sich stützt, wird nicht deutlich. Der Paragraph schließt
mit Hinweisen zur Eschatologie und zur Christologie des Jud
und des 2Pelr. Jak wird - da „sein christlicher Rang umstritten"
sei (15 A 17) - in einem Exkurs behandelt; zwar enthalte er
kaum eine Christologie. doch zeichne er sich „in theologischer
Hinsicht" aus „durch seine Rede von Gott", was leicht übersehen
werde (445). Auch beim Jak werden die „Vorgaben" relativ
ausführlich erörtert; weisheitliche Überlieferung und synoptische
Tradition seien zu erkennen, während eine unmittelbare
Auseinandersetzung mit Paulus „höchst unwahrsehienlich" sei:
„Sollte er eine mißverstehende Paulusexegese attackieren?
Warum drückt er sich nicht deutlicher aus?" Jedenfalls sei „vor
Auskünften, die sich allzu sicher geben, zu warnen" (447). Themen
sind dann das Gottesbild (447ff.) und das Verhältnis
„Glaube und Werke" (449-453).

G. bietet eine breit angelegte Darstellung der Theologie! n)
der neutestamentlichen Autoren bzw. der im NT enthaltenen
Schriften. Die Frage, inwieweit angesichts dessen überhaupt
von einer „Theologie des NT" gesprochen werden könne, wird
explizit gar nicht, implizit nur ansatzweise beantwortet, und
/war im ganzen eher negativ als positiv. Die einzelnen theologischen
Entwürfe bzw. Konzeptionen der neutestamentlichen
Schriften stehen chronologisch geordnet nebeneinander, so daß
man eher von einer Geschichte der im neutestamentlichen Kanon
enthaltenen theologischen Konzeptionen sprechen möchte.
Ein wenig unbefriedigend ist auch, daß G. an vielen Stellen eine
Entscheidung exegetischer oder theologischer Probleme vermeidet
. Dafür nur zwei Beispiele: Zu Mt 18,17 stellt G. fest,
hier zeige sich der Abstand zu Jesu eigenen Worten und zu Jesu
Umgang mit Zöllnern und Sündern; „die hier angezeigte Spannung
ist die von Ideal und Realität. Dem Evangelisten ist aber
die Gefahr der Juridisierung der Weisung Jesu bewußt" (195).
Inwiefern es sich aber bei „Juridisierung" um eine „Gefahr"
handelt und woran sich erkennen läßt, daß dem Evangelisten
die Gefahr „bewußt" war. wird nicht gesagt. Im Zusammenhang
der „Vorgaben" des Joh geht G. auf das Problem der „Zeichenquelle
" ein: diese werde zu Recht zunehmend in Frage gestellt:
„Die einzelnen Geschichten sind zu unterschiedlich, als daß sie
aus einer gemeinsamen Quelle stammen könnten" (227). Muß
eine Quelle „einheitliche" Überlieferung enthalten? Immerhin
stehen che sieben Erzählungen jetzt im Joh gesammelt beieinander
, und dieses bildet insofern doch auch so etwas wie eine
„Quelle". Leider gibt es keinen Abschnitt innerhalb von § 4. in
dem die Bedeutung der Wundererzählungen für die Theologie
des Joh systematisch dargestellt wäre.

Das oben zum Paulus-Teil Gesagte gilt m.E. für das Buch im
ganzen. Seine Stärke liegt darin, daß die theologischen Ansätze
der neutestamentlichen Schriften umfassend erarbeitet und beschrieben
werden; aber die Leser müssen zugleich in Kauf nehmen
, daß manches allenfalls angedeutet wird und manche strittige
Frage unentschieden bleibt. Insofern freilich lädt das Werk
nun auch ein zur Diskussion und zur eigenen Weiterarbeit

Bethel Andreas Liodemailll

Gundry, Robert H.: Mark. A Commentary on His Apologv fot
the Cross. Grand Rapids: Eerdmans 1993. LV. 1069 S. 8°.
ISBN 0-8028-3698-4.

Mehr als 1000 engstens bedruckte Seiten, unter Verzicht aul
Übersetzung und spezielle Literaturangaben - ein monumentaler
Mk-Kommentar, den Robert Gundry, NTIer am Westmoni
College in Santa Barbara/Calif., nun seinem Mt-Kommentar
von 1982 folgen läßt, geschrieben unter Voraussetzung von
Griechisch- und Hebräischkenntnissen. Der Titel ist Programm:
Das MkEv wird durchgehend interpretiert als Verteidigung des
schändlichen Todes Jesu am Kreuz. „Apologie" bezeichne) also
nicht eine Gattung etwa im Sinne der antiken Rhetorik, sondern
nimmt das auf. was M. Dibelius als treibendes Motiv tili die
Entstehung der Passionsgeschichte ausgemacht hat. G. kennt
durchaus andere Deutungen, verwirft sie aber gleich zu Beginn
(I), um alles auf diesen einen Nenner zu bringen.

Atitor des Ev.s ist für ihn der von Papias' Gewährsleuten
genannte Petrus-Begleiter Markus, identifiziert als Johannes
Markus der Apg, in Rom um das Jahr 60, jedenfalls lange vor
dem Jüdischen Krieg schreibend. Damit werden literarkrilische
fragen irrelevant, denn was Markus schreibt, weiß er letztlich
von Petrus (18). So erklärt sich nach G. z.B. der Beginn des Ev.s
schlicht daraus, daß Petrus und Jesus sich erst als Erwachsene
begegnet sind, und zwar im Umkreis Johannes' des fäufers (29).
was zwar nicht ausdrücklich bei Mk selber steht, wohl aber aus
Je 1.35-41 und Apg l,21f zu erschließen sei.

Die Formgeschichte wird ebenso abgelehnt, erst recht dann die
Redaktionsgeschichte. Mit beispielhafter Deutlichkeit dient der
radikal synchronisehe, auf alle Diachronie der Texte verzichtende
Ansät/ ziir methodischen Rechtfertigung einer „nach"kritischen
Exegese (18). Das Festhalten an der Mk-Prioritäl (auch an
der Annahme der Existenz von Q) ist dabei durchaus konsequent.

Die eigentliche Kommentierung der einzelnen Perikopen
geschieht, wie in angelsächsischen Kommentaren oft üblich, in
zwei Sehritten. Auf einen den Textablauf nachzeichnenden Teil
folgen in kleinerer Drucktype detaillierte Erläuterungen zu Einzelheiten
und Auseinandersetzungen mit relevanter Literatur.
Besonderer Wert ist dabei auf Grammatik und Stil gelegt (24).
Hinzu kommen natürlich Worterklärungen, historische Informationen
aller Art, textkritische Bemerkungen usw. Was gegenüber
anderen Kommentaren natürlich fehlen kann, sind
literarkritische und formgeschichtliche Analysen, ilie auch jeweils
gegenüber der Sekundärliteratur abgewiesen werden.

Dabei findet sich viel Bedenkenswertes, was angesichts des
riesigen Umfangs hier nicht im einzelnen nachgezeichnet werden
kann. Entgegen dem behaupteten literaturwissenschaftlichen
Ansatz ist die Synchronie des Textes aber im Grunde die des
historischen Ablaufs, wenn auch in der Gestaltung durch Mk.
Entsprechend gering fällt der Anteil des Evangelisien als Er
Zähler des Textes aus.

Als Beispiel mag die Kommenlierung von Mk 7.1-23 dienen
(347-371), eines Textes, an dem sich relativ deutlich Überliefe-