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Ausgabe:

1995

Spalte:

47-48

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Der Nordwesten 1995

Rezensent:

Blaschke, Karlheinz

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Seite 1

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47

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 1

4S

Schindling, Anton, u. Walter Ziegler [Hg.]: Die Territorien
des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessio-
nalisierung. Land und Konfession 1500-1650. 3: Der Nordwesten
. 235 S. m. 14 Ktn. 4: Mittleres Deutschland. 288 S.
m. 14 Ktn. Münster: Aschendorff 1991/92. gr.8<> = Kath.
Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung,
51 u. 52. Kart. DM 19,80 u. 39,80.

Die seit 1989 erscheinende Reihe wurde in ihren ersten beiden
Bänden bereits im 116. Jg., 750-752 besprochen. Die nunmehr
anzuzeigenden 3. und 4. Bände umfaßten mit dem „Nordwesten
" und dem „Mittleren Deutschland" neben den großflächigen
Territorien den hessisch-thüringisch-fränkischen Raum mit
einer Vielzahl kleiner Territorien bis zu den Reichsstädten und
Reichsrittern, worunter die Landgrafschaft Hessen und das
ernestinische Herzogtum Sachsen noch die größten waren. Der
schon früher beschriebene, wohlüberlegte einheitliche Aufbau
am Kopf jedes Artikels wird weiter durchgehalten, danach setzt
in freier Darstellung die für jedes Territorium individuell gestaltete
Beschreibung der Vorgänge vom Vorabend der Reformation
bis zum Westfälischen Frieden ein, wobei häufig auch
erwünschte Mitteilungen über ältere Territorialentwicklungen
gemacht werden. Der große Vorzug der von 21 in hohem Maße
sachkundigen Vff. geschriebenen Darstellung über 28 territoriale
Einheiten einschließlich der Niederlande und Lüttichs ist die
starke Konzentration auf das Wesentliche. Diese Fülle der
behandelten Gebiete macht die beiden Bände beinahe zu einem
Nachschlagewerk.

Die Geschichte der Reformation, der Gegenreformation und
der katholischen Reform in Deutschland erhält auf diese Weise
eine sehr genaue landesgeschichtliche Grundlage. Die aus der
allgemeinen „großen" Geschichte der Reformationszeit bekannten
Tatsachen werden nach unten hin verfeinert, vertieft und
damit verständlich gemacht. Gerade die hier ins Auge gefaßte
Mitte Deutschlands bietet mit ihrer territorialen Zersplitterung
einen außerordentlich vielgestaltigen Ablauf der reformationszeitlichen
Ereignisse, in dem das Wirken weltlicher Fürsten und
Herren, ihrer Frauen, ihrer Räte, der Bischöfe und Domkapitel,
der Stadträte und Bürgerschaften und gerade hier auch der Bauern
und alles zusammen im Blick auf die Reichsgewalt die unterschiedlichsten
Ergebnisse brachten. Humanistisch eingestellte
höhere Geistliche neigten mit ihrer kritischen Haltung gegenüber
der römischen Kirche zur Reformation, so daß etwa im
Bistum Eichstätt das Domkapitel neben den Bauern der wichtigste
Träger der lutherischen Bewegung war. Die Reichsritter
entschieden sich keinesfalls durchweg für die Sache Luthers,
erreichten aber schließlich grundsätzlich das ius reformandi in
ihren Zwerggebieten. In den geistlichen Territorien stellte erst
die mit administrativen Mitteln durchgeführte Gegenreformation
die konfessionelle Einheit wieder her. In den Reichsstädten
sorgte die Rücksicht auf den Kaiser für das Fortbestehen altgläubiger
Stifter und Minderheiten in der Bevölkerung. Das
Vordringen des Calvinismus und die Abfolge konfessionsverschiedener
Fürsten in manchen Territorien bis hin zur Konversion
protestantischer Fürsten zum Katholizismus verursachten
eine dauernde Bewegung im konfessionellen Gefüge, wobei
auch die kurze schwedische Besetzung im Dreißigjährigen
Krieg ihre Spuren hinterließ. Die Unsicherheit und der Wechsel
in den konfessionellen Verhältnissen wirkten sich auf die
Gemeinden ungünstig aus, waren sie doch dem Augsburgischen
Religionsfrieden zufolge während der ganzen hier behandelten
Zeit von den persönlichen Entscheidungen ihrer Obrigkeiten
abhängig.

Im Nordwest-Band ist besonders auf die sehr komplizierte
Reformationsgeschichte mit der Abfolge von Luthertum, Calvinismus
und teilweise schließlicher Rekatholisierung hinzuweisen
, wobei im Erzstift Köln der Reformationsversuch des Erzbi-

schofs Hermann von Wied 1542 erwähnenswert ist. Die Rolle
der großen Städte mit ihren Augustinereremitenklöstern wird
als bewegende Kraft für die Durchsetzung der Reformation herausgestellt
. Unterschiede des konfessionellen Verhaltens zwischen
einem Stiftsgebiet und seiner führenden Stadt (Köln, Bremen
) oder einem weltlichen Territorium und seiner „Hauptstadt
" (Ostfriesland/Emden), ebenso auch die hohe Bedeutung
der Stadt Braunschweig im Spannungsverhältnis zu ihrem
katholischen Herzog sind wesentliche Bestandteile der allgemeinen
Reformationsgeschichte. Die europäische Rolle des
Herzogtums Jülich-Kleve-Berg und die unterschiedlichen Entwicklungen
in den geistlichen Fürstentümern Hildesheim, Münster
, Osnabrück und Paderborn sind weitere herausragende Problemfelder
. Mit der Behandlung der gesamten Niederlande im
Umfang der heutigen Benelux-Staaten wird die europäische
Dimension der Reformationsgeschichte erreicht.

Die sehr genauen, kartographisch gut gemachten Territorialkarten
verhelfen dem Text zu noch größerer Anschaulichkeit.
Daß den von verschiedenkonfessionellen Vff. geschriebenen
Texten jede konfessionelle Schärfe fehlt, darf mit besonderer
Genugtuung vermerkt werden.

Friedewald Karlheinz Blaschke

Steinhauf, Bernhard: Giovanni Ludovieo Madruzzo (1532-
1600). Katholische Reformation zwischen Kaiser und Papst:
Das Konzept zur praktischen Gestaltung der Kirche der Neuzeit
im Anschluß an das Konzil von Trient. Münster: Aschendorff
1993. XXXII m. 1 Abb., 269 S. 8« = Reformationsge-
schichtl. Studien und Texte, 132. Kart. DM 94,-. ISBN 3-
402-03794-7.

Nachdem die Erforschung der Selbstbesinnung des römischen
Katholizismus im 16. und 17. Jh. vielfältige Beachtung auf
regionaler Ebene gefunden hat, möchte die vorliegende Arbeit
der Konzeption nachgehen, der die Umsetzung der Inhalte des
Konzils von Trient gefolgt ist und die die Tendenz der Gegenreformation
bestimmt hat. Daß das Buch sich erneut dem Fürstbischof
von Trient, Kardinal Giovanni Ludovieo Madruzzo, zuwendet
, hat gute Gründe. Bietet doch die Quellenlage günstige
Voraussetzungen, anhand des Weges dieser Person genauer
nach den Machtverhältnissen zu fragen, unter denen ein besonders
engagierter Vertreter der Reform agiert hat. So durchmu-
stert der Vf. nochmals den Quellenbefund und entwirft eine
Biographie im Frageinteres.se von Kirchenpolitik und Kirchen-
reform. Familie, Kindheit, Jugend und Bildung von Madruzzo,
politische Bildung und Übernahme des Kardinalats werden beschrieben
. Der sog. Temporalienstreit im Fürstbistum Trient
zwischen Erzherzog Ferdinand IL und Madruzzo als Bischof
zwischen 1567 und 1578 wird in Fortsetzung und Korrektur
von J. Bücking (1972) als Auseinandersetzung zwischen zwei
Rechtsauffassungen verstanden. In ihm vertrat Ferdinand unter
Berufung auf das neue kodifizierte Recht die im frühmodernen
Sinne verstandene „Staatsräson" des autoritativen Herrschers,
der Bischof (und Reichsfürst) eine theologisch begründete unmittelbare
Herrschaft in temporalibus. Madruzzos Sieg in diesem
Streit beruht auf der Festschreibung eines Provisoriums,
das sich bis zur Säkularisation des 19. Jh.s immer wieder bewähren
sollte. Die Bedeutung des Kardinals und Fürstbischofs
als Diplomat an der Kurie sieht St. darin, daß er „der eigentliche
.Architekt' der Gegenreformation genannt werden könnte"
(123), da er unter Verzicht auf spektakuläre Aktionen auf ein
Doppelspiel aus war: die Durchführung der Tridentinischen
Reform im Reich und die politische Sicherung der katholischen
Konfession durch Wahrung des konfessionellen Gleichgewichts
. Dem Vf. liegt daran, darauf durch Beobachtung der