Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1995

Spalte:

634-635

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Titel/Untertitel:

1601 - 1800 1995

Rezensent:

Petzoldt, Martin

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

633

Theologische Literatur/.eitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

634

Leittexte sind Jer 29; Neh 8ff.; Sach 8; Dan 9 und Dtn 30ff.
(171). Die Besonderheiten dieses Abschnittes, vor allem die
Jerusalemproblematik, sind auf das spezielle Interesse der
Heilsaussage zurückzuführen und daher Indiz „für eine überlegte
Gesamtanlage von Bar" (174). Die Jerusalemer sollen sich
•.als Einheit der Zionskinder im Status des Exils verstehen"
(174f.). Dies ist Ausdruck „desselben metahistorischen Geschichtsbildes
, das Bar im ganzen zugrunde liegt" (175). Leittexte
für diese besondere Intention sind Dtn 28-33; Jer 32.36;
Thr; Jes 40-66; Mi; Zeph.

Der zweite Hauptteil des Buches faßt zusammen: Bar ist „in
allen seinen Teilen eine ursprünglich hebräisch abgefaßte
Schrift"; „Unterschiede im griechischen Stil... gehören... auf die
Ebene der Übersetzung" (249). Die Eingangsthese der literarischen
Einheitlichkeit des Bar-Buches konnte durch die Einzel-
untersuchungen bestätigt werden. Die Teile B - D repräsentieren
das von Baruch verfaßte Buch (2601.), zu dem Teil A
ursprünglich hinzugehört, weil er diesen Text einführt (262ff.).
Den ursprünglichen literarischen Ort vermutet S. innerhalb der
Nebiim als ..Resümee innerhalb eines Jeremia- Schriftenkreises
". „Bar ist so gesehen ein eigentümliches Phänomen", insofern
es keine Fortschreibung von Jer ist, sondern als eigenes
Buch beigefügt wurde (270f.). Angezeigt besonders durch die
Heranziehung des Zwölfprophetenbuches (I931T.) wird ein
...Kanon'bewußtsein" (199 u.ö.) festgestellt, „das diese Verfasserschaft
präg) und aktuelle .Sonderoffenbarungen ganz im Sinne
der Nebiim-Formierung de facto abweist" (277). Die Eigenart
der Verfasserschaft beschreibt S. als geprägt von „professioneller
Schriftgelehrsamkeit" mit einer „metahistorische(n)
Basisperspektive dtr.-eschatologischer Prägung" (285; vgl. 306:
»professionelle Theologen"), die er zeitlich aufgrund der verwendeten
Schulten (z.B. Sir 24; Dan 9) und innerer Indizien
(das Herrschergebet in 1,1 If. z.B. ist verständlich unter den
Proisraelitischen Verfügungen Antiochus V. [vgl. 2Makk
11.22-26|) präzise auf die Zeit zwischen 163 und 162 v. Chr.
'vor dem Tod Antiochus- V.) eingrenzen kann (300). Das führt
zu der Vermutung, „die Verfasserschaft in der nun um politischen
Frieden bemühten ovvaywyr) ygap:ixaTE(i)v aus den
•Asidäern' zu suchen" (306), die in Jerusalem, und zwar in
„loyaler Nähe zu Tempel. Tempelkult und Hohenpriester"
(309), tätig sind.

Zwei Anfragen seien erlaubt. Die erste bezieht sich auf die Art des vorausgesetzten
Rezeptionsvorganges, der zum Teil sehr kompliziert vorzustellen
ist. Dies gilt besonders für die Darstellung der Komposition von A
(•.1-15aa) und die Erklärung seiner literarkritischen Probleme. Die auf
zweifache Verwendung (Babylon und Jerusalem) ausgerichtete Komposition
und vor allem die auch von S. gesehenen Spannungen innerhalb der Darstellung
, lassen eine ursprüngliche Einheitlichkeil dieses Teils von Bar nur
schwer einsichtig werden.

Die zweite Anfrage betrifft das Problem der ursprünglichen Sprache, die
S. mit vielen anderen in der hebräischen sieht. Neben der grundsätzlichen
Feststellung, dati keine hebräische Textform überliefert ist, lassen auch einige
inhaltliche Aspekle skeptisch werden. Zum einen schließen eine hebrai-
sierende Sprache (vgl. 139 u.ö.) und die Verwendung hebräischer Vorlagen
eine Abfassung in Griechisch keinesfalls aus. Die Übereinstimmungen mit
der Septuaginta auf die Ebene der Übersetzung zu verlegen, ist mindestens
dann problematisch, wenn S. bei der Verwendung des Jeremiabuches Anzeichen
dafür findet, daß der von der Verfasserschaft verwendete Aufriß
dem der LXX entspricht (252.275). Die Suche nach einem hebräischen Text
mit dieser Reihenfolge (252 Anm. 41) ist auf Vermutungen angewiesen.
Nicht zuletzt weisen die von S. rekonstruierte Zeit der Abfassung und die
Bestimmung der Schrift für „Israel im Exil" eher auf ursprüngliches Griechisch
hin. das für die Verbreitung in der Diaspora (!) notwendig war.
Kanongeschichtlich müßte andernfalls gefragt werden, warum eine ursprünglich
hebräische Schrift keinen Eingang in den hebräischen Kanon
gefunden hat. wohl aber deren Übersetzung in den griechischen.

Unabhängig von diesen Anfragen und einzelnen, hier nicht
zu erörternden Schwierigkeiten im Detail, legt S. einen eindrucksvollen
Versuch der Interpretation von Bar vor, indem er
"ii kritischen und ausgewogenen Nachzeichnen der Textgenese

die Bildung neuer Tradition konkretem Anlaß und Verfasserkreis
zuordnet. Dadurch wird ein den Texten angemessenes
Verstehen ihrer Bedeutung und Intention möglieh: Bar richtet
sich an ganz Israel und versichert dieses im Aufgreifen bekannter
Traditionen der tragenden Grundlagen seines Glaubens (vgl.
312f.). Die Untersuchung von S. ist daher neben ihrer Bedeutung
für das Verständnis von Bar und seiner Zeit auch in methodischer
Hinsicht für die exegetische Arbeit an apokrypher bzw.
„deuterokanonischer" Literatur wegweisend.

Berlin Jens Herzer

Strohm, Stefan: Deutsche Bibeldrucke 1601-1800. beschrieben
unter Mitarb. von P. Amelung. [. Schauffler, E. Zwink.
Teil l: 1601-1700. XXXVI, 338 S.; Teil 2: 1701-1800. VII.
S. 339-380. Teil 3: Anhang. V, S. 881-1395. Stuttgart: Frommann
1993. 4° = Die Bibelsammlung der Württembergischen
Landesbibliothek Stuttgart. 2. Abt. 2. Bd., 1.-3. Teil.
Lw. je DM 677,-. ISBN 3-7728-0845-X.

Die verdienstvolle Herausgabe des außerordentlich aufwendigen
Katalogs der Bibelsammlung der Württembergischen Landesbibliothek
Stuttgart (= WLB), die mit einem Band der 1.
Abteilung (Griechische Bibeldrucke, Stuttgart 1984; in der
ThLZ nicht besprochen) begann, mit Band I der 2. Abteilung
1987 fortgesetzt wurde (Deutsche Bibeldrucke 1466-1600; Rez.
in ThLZ 116, 1991, 495ff.) wird nun mit drei anzuzeigenden
voluminösen Bänden großartig vorangebracht, so daß jetzt auch
alle vorhandenen deutschen Bibeldrucke bis zum Jahr 1800. die
in der Stuttgarter Sammlung vorhanden sind, exakt bibliographisch
und nach individuellen Buchmerkmalen erfaßt und
beschrieben nachsehlagbar sind. Die Bearbeiter sind dieselben
wie in Bd. 1, so daß bereits das Garantie genug ist für die Konstanz
des einmal zugrunde gelegten Standards. Schon der erste
Blick bestätigt diese Konstanz auch inhaltlich.

Einen besonderen Wert hat die Einleitung (Bd. 2,1, IX-
XXXVI) von Stephan Strohm. Hier wird in eindrücklicher und
grundlegender, aber auch äußerst notwendiger Weise das her-
meneutische Problem der „Luther-Bibel" angesprochen, das
sich weder erst im 19. Jh. ergab noch erst im 20. Jh. in Angriff
genommen wurde und schon gleich gar nicht angesichts der
neuesten Revision „zum Abschluß gelangt" ist. wie Begleitworte
neuester Revisionen suggerieren wollen.

Der Vf. der Einleitung kritisiert die theologische Wissenschaft
, „soweit sie sich der Geschichte der deutschen Bibelüberlieferung
annimmt", da sie seiner Meinung nach nicht „mit Kriterien
aus der Sache" arbeite (X). Das veranlaßt ihn, vor allem
Geschichte und Ergebnisse der Revisionen der Lutherbibel und
deren Begründungen kritisch zu behandeln. Dabei kommt er zu
nachdenkenswerten Überlegungen, von denen wesentliche hier
wiedergegeben werden müssen: Der „neu konstituierte und für
verbindlich erklärte Urtext des griechischen Neuen Testaments
[sei] keineswegs gebührend berücksichtigt". Konsequenzen ans
dem Sprachwandel bedingen sich „nicht erst um die Mitte des
vorigen Jahrhunderts", dessen Anforderungen seien bereits
„früher gesehen und teilweise berücksichtigt worden", auch
lägen die Probleme des „Sprachwandels keineswegs ausschließlich
in mangelhafter Verständlichkeit einzelner Wendungen bei
Luther", zudem stehe und falle Luthers Bibel ..nicht mit dem
bloßen Wortlaut der .Übersetzung'". Denn seine Bibel sei „das
Werk mit allen seinen Vorreden und Glossen, mit sorgfältig gestalteter
Druckanordnung und sprechenden Illustrationen" gewesen
. Luthers Vorreden seien „hermeneutisch ausgerichtet
wie die Übersetzung selbst, nicht wissenschaftlich philologisch
..., die Druckgestalt ist Verstehensanleitung". was durch
heutige Ausgaben der „Luther-Bibel" selbstredend ignorier)