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Ausgabe:

1995

Spalte:

632-634

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Steck, Odil Hannes

Titel/Untertitel:

Das apokryphe Baruchbuch 1995

Rezensent:

Herzer, Jens

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

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hinaus gerade im Anschluß an die Vor-Läufigkeit dieses anregenden
Entwurfs (s.o.) vorläufig folgendes fest:

Bis hinein in Terminologisches bleibt er z.T. leider einem
sozusagen negativen Fundamentalismus und also noch in der
durchaus notwendigen Kritik der entsprechenden Gegner diesen
allzu sehr verhaftet. Seine antidogmatischen Grundzüge sind verbunden
mit so etwas wie einer feministischen „Dogmatik" oder
auch Axiomatik, die entsprechend zumindest in Gefahr steht,
trotz aller Vertrautheit mit den Methoden und Problemen der
historischen Kritik sowie deren dogmatischer Relativierung nur
in spezifischer Weise ahistorisch mit historisch Abstandigem zu
verfahren, um sich dabei mit nur partiellem Recht auch auf Bultmanns
Theorie des „Vorverständnisses" zu stützen. Die abstrakte
Opposition von Hermeneutik des „Verdachts" und des „Einverständnisses
" oder der „Horizontverschmelzung" läßt sich - auch
immanent geurteilt - kaum halten. Denn S. F. besetzt und kehrt
gewissermaßen die Pole der Horizontverschmelzung auf folgenreiche
Weise nur um. Im Gegenzug zum post- bis antichristlichen
und antijüdischen Feminismus sowie zu einer Tendenz,
Frauenerfahrungen überhaupt zu verabsolutieren, will sie trotzdem
„das geschlossene patriarchale System" der Kirche und der
von ihr noch immer mitbestimmten westlichen Gesellschaft „von
innen heraus" aufbrechen (152, Anm. 15; Hvbn J.). Ihre Hermeneutik
des Verdachts lebt also durchaus von einem „Einverständnis
", d.h. hier vom Vertrauen darauf, daß es in der „biblischen
Religion" bzw. in den „biblischen Religionen", die sie zum Zeichen
einer tiefen Aporetik zugleich als schon biblisch verstellt
charakterisiert, um „ganzheitliche" Befreiung geht.

Dem ist trotz aller möglichen und wirklichen (vgl. dazu innerfeministisch
neuerdings C. Halkes) Anfragen im Blick auf
feministisch nur verstärkte neuere Ganzheitlichkeitsterminolo-
gie nicht zu widersprechen. Nur bleibt die Quelle dieser Befreiung
theologisch nicht nur etwas formelhaft dünn und der Charakter
der Freiheit trotz alle Ideologiekritik etwas starr und
insofern wiederum ideologisch bestimmt. Angesichts des Insistierens
auf der ganzheitlichen Befreiung „aller" Frauen (XVI
u.ö.) bleibt zumal im Blick auf die Toten auch die Frage, ob hier
nicht die Gegenwart nur in einer spezifischen Weise eschatolo-
gisch überfrachtet wird (vgl. auch o.: „Creating the Future"),
um damit ungewollt so etwas wie Verzweiflung mitzuproduzie-
ren - auch im Blick auf den biblischen Kanon selbst.

Doch haben diese Einwände durchaus nicht die Absicht, den
Patriarchats- und androzentrismuskritischen Impetus dieses
Entwurfes samt seines Vorstoßes zu anderen, auch wissenschaftlich
ernst zu nehmenden Formen von Interpretation und
von Kirche abzuwürgen. Auch soll das sachliche und intellektuelle
Profil dieses gesamttheologisch bedeutsamen Entwurfs
nicht verkleinert werden. Man kann sich an ihm - mindestens! -
deutlich und produktiv reiben. Und man sollte sich durch die
z.T. eindeutig katholischen Bedingungen und Züge dieses
innerfeministisch vieldiskutierten Entwurfs protestantischer-
seits allein schon aus ökumenischen Gründen nicht davon
abhalten lassen, ihn ebenso wie „Zu ihrem Gedächtnis..." bis
hinein in die theologische Ausbildung einer kritischen Würdigung
unterziehen. Im Falle besonders anstößiger Stellen der
deutschen Übersetzung sollte man vorsichtshalber im Original
nachlesen. Denn in jener steht z.B. einmal „Selbstbejahung",
einmal „Selbstbehauptung", wo dort beide Male "self-affirmati-
on" steht; einer „ganz anderen Perspektive und Methode" entspricht
ein leiseres "different..."; der als „unser ureigenstes
feministisches Erbe, als unsere Waffe und unser Lebens-Mittel"
verstandenen Bibel ein bloßes "a feminist heritage and resource".
Auch die „Kampf"- und „Macht"-Terminologie klingt anders
und gröber als die Terminologie von "struggle" und "power",

Tübingen J. Christine Janowski

Steck, Odil Hannes: Das apokryphe Baruchbuch. Studien zu
Rezeption und Konzentration »kanonischer« Überlieferung.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1994. XII, 340 S. gr.8°
= Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen
Testaments, 160. Lw. DM 114-. ISBN 3-525-53842-1

Die Untersuchung „bemüht sich aufzuhellen, aus welchen
Gründen und aufweiche Weise es zum Wortlaut des Baruchbu-
ches und zu dieser Schrift als solcher gekommen ist" (IX) und
beschreibt den „literarischen und theologischen Vorgang"
(ebd.), der zu dem überlieferten Wortlaut mit seinen vier Teilkomplexen
(Einleitung = A, Bußgebet = B, Mahnrede = C, Verheißungsrede
= D) geführt hat.

Ausgehend von dem Konsens hinsichtlich dieser Gliederung,
bietet S. im ersten Hauptteil des Buches (1-242) eine umfassende
Auslegung der Teile, indem er jeweils nach einer Übersetzung
die Stellung im jetzigen Kontext, das Sachanliegen. Aufbau
und Form, Tradition, Einheitlichkeit und Originalsprache
erörtert, um schließlich nach einer ausführlichen Einzelexegese
die Eigenart, die theologiegeschichtliche Prägung und die
Datierung darzustellen. Die Teilergebnisse aufgreifend, handelt
der zweite Hauptteil (243-313) vom Ganzen des Bar hinsichtlich
der ursprünglichen Sprache, der literarischen Einheitlichkeit
, Absicht und Zweck, Datierung, Verfasserschaft sowie der
lokalen Eingrenzung seiner Entstehung.

Im Blick auf die Frage des literarischen Gesamtkonzeptes hat
die Auslegung von Teil A (Kap. 1,1-15acx) besondere Bedeutung
(3-66). S. hegt Zweifel gegenüber literarkritischen Lösungen
der Probleme, die die Einleitung aufgibt (7). Er geht davon
aus, daß der Text in seiner vorliegenden Gestalt Ergebnis einer
absichtsvollen Zusammenstellung bekannter Tradition ist, die
textgenetisch einsichtig gemacht werden kann (ebd.). Vorlagen
sind Jer 29,1-3 unter dem gestaltenden Einfluß von Jer 36 (9),
ferner Jer 24-36 als modellhaft wirkende Leittexte insgesamt
sowie (neben weiteren) Dan 9 und Esr-Neh.

Ohne dies hier im einzelnen vorstellen zu können, wird A als
„literarisch einheitlicher Text" (55) aufgefaßt, der „von vornherein
alles Folgende ... einleiten will" (56) und in der zweifachen
Orientierung (Babylon und Jerusalem) Israel als Ganzes
im Blick hat, das sich in einer anhaltenden Exilssituation befindet
(59f.). Damit wird ein an der Überlieferung orientiertes,
metahistorisches Gesamtbild spätdeuteronomistischer Prägung
entworfen (59; vgl. 81 u.ö.).

Diesem Konzept entspricht das Bußgebet (B = l,15aß-3,8),
das ganz Israel gilt (72ff.). Der in sich einheitliche Text (93ff.)
ist neben Dan 9 (88ff.) u.a. vor allem an Jer 32,16-25 und dessen
Kontext orientiert (86). Gleiches gilt auch für die anderen
Teile: „In Bar haben Einleitung, Bußgebet, Mahnrede, auch Bar
*4f. in Jer 36 eine Grundlage, alle vier Teile von Bar in Jer 29
und das Buch Baruchs mit seinen drei Teilen in Jer 32! ... Abermals
ein textgenetischer Aspekt, der gegen eine völlig separate
Entstehung der Teile von Bar spricht." (88)

Der Stilwechsel zur Poesie in der Mahnrede (C = 3,9-4,4) ist
für S. kein Kriterium für literarische Uneinheitlichkeit, sondern
Ausdruck der Orientierung dieses Abschnittes an poetischen
Leittexten (120). In ihrem Kern eine „Aufforderung an
das exilierte Israel zur Lebensführung nach dem Gesetz", ist C
nach B „folgerichtig und nachgerade zu erwarten" (ebd.). C entspricht
der Mahnrede des Mose (Dtn 4.30-33) und verarbeitet
besonders Hi 28.38; Sir 24; Ps 49.119.147 (133ff.). Die Verbindung
zu Jer allerdings ist in C nicht ohne weiteres offensichtlich
: für S. jedoch durch „Sach- und Sprachkonvergenzen zu
den Baruch-Kapiteln Jer 32.36" gegeben (130). Bar 3,38 ist
Zusatz christlicher Rezeption (138.152ff.; warum 313 auch 3,36
dazu gerechnet wird, ist nicht ersichtlich).

Auch die Verheißungsrede (D = 4,5-5,9) ist „im Textabiaul...
folgerichtig situiert" (169) und ein einheitlicher Text (200ff.).