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Ausgabe:

1995

Spalte:

628-631

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schüssler Fiorenza, Elisabeth

Titel/Untertitel:

Brot statt Steine 1995

Rezensent:

Janowski, Johanna Christine

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

62S

(als eine .Rhetorik der Figuration' gegen eine .Rhetorik der Signifikation
'). Derart konstruierte Alternativen einer falschen
.Sinnkonstitution destruieren jedoch das Problemlösungspotential
einer kritischen Rationalität, die durch Einsicht in ihre eigene
Begrenztheit diese ihre Grenzen beständig zu erweitern versucht
. Beteiligt sich so auch die Postmoderne an der „semantischen
Verschmutzung der geistigen Umwelt des Menschen"
(W. Stegmüller)? Vergeblich sucht man in der vorliegenden
Sammlung eine Auseinandersetzung mit dieser grundlegenden
Kritik (K. W. Hempfer. Poststrukturale Texttheorie und narrati-
ve Praxis. 1976; Ders. Hg., Postsstrukturalismus - Dekonstruk-
tion - Postmoderne, 1992; P. Rusterholz, Poststrukturalistische
Semiotik. In: R. Posner u.a. Hg.. Semiotik 0, 1995; ferner das
Themenheft der Zeitschrift für Semiotik 15, 1933, 211-351).
Statt dessen verwundert es nicht, daß diese Richtung hier nun
umgekehrt den Anschluß an eine nachheideggersche .Neue
Hermeneutik' der .Wahrheit' statt/oder/ohne .Methode' sucht
und natürlich findet (E. McKnight, A Sheep in Wolfs Clothing:
An Option in Contemporary NT Hermeneutics, 326-347). Leider
wird aber auch die Frage danach, ob die feministische
Bibelforschung gut beraten ist, sich in eine so enge Allianz mit
dem (doch eher ,männlichen') Dekonstruktivismus zu begeben
(338. 341), weder gestellt noch beantwortet.

Erhellend ist die forschungsgeschichtliche Beobachtung der
amerikanischen Szene, daß dieser postmoderne "New Literary
Criticism" leider den modernen "Literary Criticism" an den
Rand drängte: "Structuralism had already begun to fade among
literary critics at the time it became the 'guest' of biblical stu-
dies, and reeeived the coup de gräce with the dissemination in
America of the (poststructuralistic) work of J. Derrida" (J. R.
Donahue in seiner vorzüglichen Forschungsgeschichte: Redaktion
Criticism: Has the Hauptstrasse become the Sackgasse '.
27-57. 43). Doch zum Glück gilt: "Most of the essays in this
volume are not radically postmodern or deconstruetive" (18).
So haben wir hier auch eine Reihe von textinternen Analysen
des "Literary Criticism", die vor allem textkommunikative Aspekte
erhellen: A. C. Wire bestimmt Rom 1,16-11,36 auf Grund
der Enthymeme als Digression zwecks argumentativer Begründung
des Rom-Besuchs (Since God is One: Rhetoric as Theolo-
gy and History in Paul's Romans. 210-227). W. A. Beardslee
analysiert IKor 15 textpragmatisch (its intended effect on the
audience) unter der Maxime, daß die Frage nach Sachverhalten
und Wahrheit nicht aus der Interpretation verdrängt werden
kann, der eine pragmatische „Hermeneutik des Experiments"
Rechnung tragen soll (What is it About? Reference in NT Literary
Criticism. 367-386). M. S. Malbon bestimmt die narrative
Rhetorik der bei Mk nur je einmal auftauchenden Erzählfiguren
überzeugend als exemplarische und parallelisierte Charaktere
und damit als Rezeptionsdispositionen (The Major Importance
of the Minor Characters in Mk. 58-86). J. Dewey analysiert die
mk Strategien des intendierten mündlichen Vortrags wie seiner
hörenden Rezeption, so daß die Aspekte der .Mündlichkeit'
primär Indikatoren der Textkommunikation selbst (und nicht
von mündlichen Vorlagen) sind (The Gospel of Mk as an Oral-
Aural Event: Implications for Interpretation, 145-163). J. A.
Darr ('Waten How You Listen' [Lk 8,181: Jesus and the Rhetorik
of Perception in Luke-Acts, 87-107) zeigt, wie "Jesus'
words about perception serve to programm the authorial audien-
ce's hearing/reading of Luke's Störy." Analog dazu Mt 6,22f
"refers to how one comes to understanding or how one fails to
understand" (D. O. Via, Mt' Dark Light and the Human Condi-
tion. 348-366). Vor allem gibt der auch methodisch umfassendste
Beitrag von V. K. Robbins (Soeio-Rhetorieal Criticism:
Mary, Elizabeth and the Magnifical as a Test Case. 164-209)
eine Darstellung seines integralen Programms ("a four-texture
approach"): Innertexture: every reading has a subtext; Intertex-
ture: every comparison has boundaries; Social and Cultural

Texture: every meaning has a context; Ideologieal Texture:
every theology has a politics. Das allein lohnte schon den Band.

Saarbrücken Wolt'gang Schenk

Schüssler Fiorenza, Elisabeth: ßread not Stone. The challen-
ge of Feminist biblical Interpretation. Edinburgh: Clark
1990. XXV. 182 S. 8». Pb. £9.95.

Mit diesem inzwischen auch ins Deutsche übersetzten Buch
(„Brot statt Steine. Die Herausforderung einer feministischen
Interpretation der Bibel") hat die katholische Neutestamentlerin
E. Schüssler Fiorenza den Entwurf einer „kritisch-feministischen
Hermeneutik der Befreiung" von mehr als nur exegetischer
Bedeutung und mit auch innerfeministisch eigenem Profil
vorgelegt. Trotz der Entschiedenheit im Blick auf feministisch-
befreiungstheologische Prämissen handelt es sich bis hinein in
die textliehe Untergliederung (vgl. dreimaliges „Auf dem Wege
zu...") deutlich um einen durch Vor-Läufigkeit gezeichneten
Entwurf, der vor dem Hintergrund einer verharschten kirchlichen
, theologischen und gesellschaftlichen Situation Schneisen
zu schlagen sucht. Dabei führt er zahlreiche Schriften S.F.s, insbesondere
ihr Buch "In Memory of Her. A Feminist Theologi-
cal Reconstruction of Christian Origins" (dt.: „Zu ihrem Gedächtnis
... Eine feministisch-theologische Rekonstruktion der
christlichen Ursprünge"), auf gesamttheologisch bedeutsame
Weise weiter.

Die „Einführung: Brot statt Steine" (IX-XXV) zu den sechs
Kapiteln, in denen es mit der Folge „unvermeidlicher Überschneidungen
" „von verschiedenen Gesichtspunkten aus" um
„ein und dasselbe Problem" geht (XXII): um die Einforderung
der „Bibel als ein feministisches Erbe und Mittel (resource)" im
Befreiungskampf (XIII). annonciert in drei Schritten die Grundvoraussetzungen
, -ziele und -Charakteristika dieser Hermeneutik
:

I. (IXff) Im Gegenzug zu vor- und außerfeministischen Reduktionen
der Frage nach der Stellung von Frauen im .luden-
und Christentum auf eine bloß sozial-politische, wird speziell
im zeichenhaften Anschluß an die jüdische Feministin .1. Plas-
kow darauf insistiert, daß es um „eine theologische Frage im
strengsten Sinne" geht: Sie betrifft das Verständnis von Bibel.
Offenbarung, Gott und Kirche. Entsprechend wird die Bibel
gerade aufgrund ihrer „Macht des Wortes" nicht nur als „religiöses
", sondern auch als „zutiefst politisches Buch" verstanden
, und zwar in einem durchaus ambivalenten Sinn. Denn
einerseits hat sie insbesondere zur Frauenunterdrückung beigetragen
und wird sie auch außertheologisch noch immer dazu
gebraucht: andererseits enthält sie aufgrund ihrer „Visionen von
Gerechtigkeit, Freiheit und Heilsein (wholeness)" ein nicht erst
heute wirksames „Potential an Befreiung" im auch sozial-politisch
bedeutsamen Sinn. Entgegen auch innerfeministischen
Tendenzen aber ist dieser Ambivalenz, nach S. F. nicht beizu-
kommen durch eine Apologetik der Bibel und eine Kritik nur
von deren Interpretationsgeschichte bis hinein in die Dogmatik.
Gegen eine solche Lösung sprechen nicht nur „gewisse Schrifttexte
", die gegen Frauen verwendet weiden konnten und noch
immer verwendet werden (können), weil sie „in ihrer ursprünglichen
Funktion und Intention" patriarchal „sind". Gegen sie
spricht darüber hinaus - in Widerspruch zu einem gelegentlich
vorsichtigeren „auch" bei S. F. - der „durch und durch" patriar
chale Charakter der Bibel samt ihrer androzentrischen Sprache.
„Am Anfang feministischer Bibelinterpretation" hat daher eine
„Hermeneutik des Verdachts" auch in beziig auf die Bibel
selbst zu stehen, damit „die biblische Religion... als unser Erbe
(Hvbn J.) und „unsere Macht" „im Kampf gegen Unrecht und
Unterdrückung" in einem „kritisch-dialektischen" Prozeß des