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Ausgabe:

1995

Spalte:

625-628

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Titel/Untertitel:

New literary criticism and the New Testament 1995

Rezensent:

Schenk, Wolfgang

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625

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

626

Mowsky, Mas alla de la tradiciön y la modernidad. Religiones
cambiantes en un mundo cambiante. Mexico 1981.

Welch ein großes Werk!, seufzt der Rez. J. Trebolle Barrera
hat eine gewaltige Sammlung von Durchblicken und Einblik-
ken, stets garniert mit wimmelnden Mengen von kleinen Einzelbeispielen
, geschafffeil, die durch die Gesamtschau der
kanonischen und apokryphen Schrillen und der immanenten,
fortwährenden Interpretation, durch gute Ansätze zur Unterscheidung
von Religionsgemeinschaften, welche sieh in diesen
Schriften auslegen, durch die Einbettung in die verschiedenen
Kulturräume und die Betonung der hermeneutischen Diskussion
besticht.

Marburg Erhard S. Gerstenberger

Malbon, Elizabeth Struthers. and Edgar V. McKnight [Ed.]:
The New Literary Criticism and the New Testament.

Sheffield: Sheffield Aeademic Press 1994. 399 S. 8» = Journal
for the Study of the New Testament. Suppl.Series 109.
Lw. £ 31.50. ISBN 1-85075-510-8.

Die Richtung dieses Arnos N. Wilder (1895-1993) gewidmeten
Sammelbandes ist klar; er klinkt sich in die Dialektik von
Modernismus und Postmodernismus ein: "This turn in literary
criticism is the move from a dominance of epistemological con-
cerns (modern) to a dominance of ontological coneerns (postmodern
)" (17. 45. 125. 210). Die 14 Beiträge stellen eine Parallele
zur analogen Sammlung für die "Hebrew Bible" dar (J. C.
Exum/D. J. A. Clines ed. 1993) als "an open-ended invitation to
challenge and affirm" (19). Die Verortung in Raum und Zeit ist
deutlich: "America with its 'Post-'Agc Stamp" (E. A. Castelli,
Allegories of Hagar: Reading Gal 4.21-31 with Postmodern
Feminist Eyes. 228-250. 228 mit S. D. Moore, der in seiner
Collage "flow Jesus' Risen Body became a Cadaver", 269-282,
nicht nur die joh Literarkritik als "Embryology or Developments
Anatomy" bestimmt, sondern auch deren Überwindung mit
A. Culpepper's Verwendung der medizinischen Metapher für
die Analyse der Funktionen der Textkonstituenten, "Anatomy
of the Fourth Gospel", dazu benutzt, ihn der anatomischen
"organology" zu bezichtigen). Postmoderne signalisiert Krise:
Es gibt kein Zentrum, kein Fundament, keine Prioritäten mehr
(252. 2581"). Doch es handelt sich um weit mehr als um den Ver-
hisl der Eindeutigkeit: Jede Geordnetheil. Methode oder gar ein
S(,la scriptum, Solus Christus wird als Fundamenialisnuis
denunziert (2361).

So kann T. Pippin ihren Ansatz so begründen: "As a postmo-
dern reader of the Apocalypse 1 want to locate myself at the
Point on the textual map labelled ABYSS and enter the text
from this place": denn: "the abyss represents what in postmo-
dernism is the unrepresentable, the indeterminate, the fragmen-
ted, the self-less, the depth-less" (Peering into Abyss: A Postmodern
Reading of the Biblical Bottomless Pit, 251-267. 252,
mit der l'hese 259: "Chaos represents Otherness [difftrance],
and chaos, like the abyss in the Apc, is a female coneept"). J. C.
Anderson stellt ihre Sammlung von realen "reader-responses"
(Reading Tabitha: A Feminist Reception History, 108-144)
unter die Kriterien eines "feminist reader-response-criticism":
(a) "hermeneutics of suspicion (its recognition of imrnasculati-
°n)": (b) "hermeneutics of re-vision (its reading against the
grain and/or reading for utopian moments)", ergänzt (c) durch
Postmoderne dekonstruktivistische "hermeneutics of indetermi
"aey (the necessity for plural readings)".

Der Dekonstruktivismus dominiert so stark, daß die Rezeptions
-Geschichte hier nicht einmal im Ansatz der doch ausgearbeitet
vorhandenen Rezeptions-Theorie (und der notwendigen
Unterscheidung von Modellen der Interpretation. Bewertung.

Anwendung oder Verwendung) unterstellt wird (was aber ein
typisches Kennzeichen für den Postmodernismus Uberhaupt
ist). Die grundlegenden Probleme dieses Projekts des Dekonstruktivismus
werden am deutlichsten in der betonten Verteidigung
, die G. A. Phillips ihm angedeihen läßt (The Ethics of
Reading Deconstructively, or Speaking Face-to Face: The
Samaritan Woman Meets Derrida at the Well, 283-325). Der
zurückgelassene Wasserkrug (Jo 4,28a) wird bei ihr zum
Schlüssel (293. 305f "her jar thal remains a sign of her ab-
sence"), da ja immer die .konstruktive Lücke' (die 'diffirance'
J. Derridas) der Angelpunkt der Bedeutungsbewegung jedes
.destruktiven Lesens' ist:

"The Samaritan woman is encrypted in the text with the water jar as her
head stone... The Samaritan text signals an other water and bread oflife lliat
neither the literal water of the Samaritan well nur the figurative 'water' that
Jesus proposes. The Samaritan woman' jar is a sign of that other textual
'living water' that displaces Jesus' very logoi and soma" (307).

Prinzipiell wird Derrida (obwohl er diesbezüglich nicht immer
eindeutig ist) gegen die Behauptung in Schutz, genommen:
"Deconstruction is postmodernism raised to method"; denn eine
solche Erhöhung des dekonstruktiven Lesens zum Status einer
Methode wäre in den Augen ihrer Vertreter ja im Gegenteil eine
böse Reduktion (288). Schließlich hat es .Methode', immer
.hui " mit dem Allgemeinen zu tun zu haben und nicht mit dem
Besonderen, das das Anliegen der Dekonstruktion ist (306):

"Deconstructive reading works in the text to keep differenee resonating
and meaning proliferating. It works to disrupt the smooth (low of methodo-
logical reading that has difficulty making sense of the Samaritan woman's
left behind jar" (300 vgl. 28K: "Critical methods prove incapable ot'doing
justice to the texl because they miss something fundamental ahout the event
of the biblical text as an encounter with the Other. Method is insufficient in
this rtspect for complex reasons that bave to do with the ways the metaphy-
sical tradition binds our language and shapes our comprehension of the lex-
tuality of the text in terms of füll presence of meaning. In the relentless
drive toward universality and generalizability, method has difficult time
aecounting for the partieularity of the text and the Obligation to read for the
Other").

.Dekonstruktives Lesen' beansprucht, damit eine höhere Verantwortung
(für jenes .Mehr' der abwesenden .Andersheit') zu
haben als das als defizient deklarierte bloß .methodische
l esen'; "this means an embracing - not rejection - of historie-
critical and traditional literary readings. The deconstructive reader
... does not duplicate the critical commentary" (289); das
wäre ja geradezu seine/ihre Schändung, denn "commentary
suppresses readers' response", zu deren Befreiung sich der/die
'deconstructive reader' gerade erheben. Wie kann man diesem
hermetischen Anspruch angemessen begegnen, ohne sich ihm
gegenüber seinerseits auf eine bloß negative „Hermeneutik des
Verdachts" auf Willkür oder die Anklage eines Verdachts einer
„Hermeneutik des Wunschdenkens" (man findet im Text, was
man selbst zu behaupten wünscht) zu beschränken? (was Phillips
282f abweist).

Dekomposition als eine nicht beliebige, sondern durchaus
Verbindlichkeit beanspruchende Vorgehensweise (aber ohne
Methode) will (was hier viel zu wenig in den Blick kommt) mit
Derridas psychoanalytisch determiniertem Blick das (angeblich
) .Verdrängle' in den Texten entdecken (eine Art psyeholo-
gisierter negativer Theologie). Darum ist sie ein unaufhörliches
Supplementieren von Texten. Die sprachlichen Zeichen werden
dabei nicht mehr als Elemente des Sprachsystems beschrieben,
sondern nur noch als Teil literarischer Werke. Den Platz der
Semiotik nimmt (bei J. Derrida wie bei P. de Man) die ästhetische
Poetik ein. Wenn (und insofern) nun ein .Zeichen ohne
Bedeutung' (selbstwidersprüchlich) nur noch auf sich selbst
verweisen soll, so widerspricht eine solche Verkürzung der
Poetizität selbst (als einer Zeichen-Verwendung, die wohl
Mehrdeutigkeiten erzeugt, aber nie nur auf sich selbsi verweis) i
Die Dekomposition (als eine Selbstreflexion der Interpreten)
besteht im wesentlichen in einer Umkehrung der Perspektive