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Ausgabe:

1995

Spalte:

620-622

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Geschichte und Geist 1995

Rezensent:

Amberg, Ernst-Heinz

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

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direkten Einfluß der reformatorischen Bewegung: ..Der geistliche
Personalbestand der Pfarren und Klöster von 1523/25 bis
1563 in der Steiermark" (221-241). Der Salzburger Kirchenhi-
storiker Gerhard B. Winkler untersucht und ediert (mit Übersetzung
) eine Synodalpredigt über Apg 20.28-35, in der das Trien-
ter Seelsorge- und Bischofsideal vertreten wird: „Der Seckauer
Bischof Dr. Georg Agricola als mutmaßlicher Verfasser einer
anonymen Salzburger Synodalpredigt und als Propagator der
Tridentinischen Reform" (405-430). Über einen bedeutenden
Quellenfund, 14 Bände der Kopialbücher, die durch Entschluß
der oberösterreichischen Stande für die Religions- und Kirchenfragen
von ca. 1599 an für die Zeit von 1571 bis 1617 angelegt
worden sind, informiert Johannes Weissensteiner/ Wien: „Die
Religionsbücher der Stände des Landes ob der Ems in der Wiener
Erzbischöflichen Bibliothek. Eine verschollen geglaubte
Hauptquelle zur Geschichte der Reformation und Gegenreformation
, besonders in Oberösterreich" (389-403). Gustav Rein-
grabner/Wien stellt in einem instruktiven Überblick heraus, daß
die Verdrängung des Protestantismus aus den habsburgischen
Donau- und Alpenländern im 17. Jh. weithin „durch Gewaltmittel
und vorwiegend landesfürstliche Maßnahmen erfolgt ist":
„Bemerkungen zu den Methoden der Gegenreformation in
Österreich" (317-340). Einem anderen Mittel der Rekatholisie-
rung, der intensivierten Heiligenverehrung, wendet sich Flori-
dus Röhrig/Klosterneuenburg zu: „Der Kult des heiligen Leopold
im Dienste der Gegenreformation" (351-354). Heinz
Frankl/Wien stellt in seiner Skizze zur Historiographie, „Objektivität
und Mitgefühl. Über den Wandel kirchengeschichtlicher
Deutungen" (109-124) exemplarisch die Deutung der Gegenreformation
durch Ernst Tomek (1949) der durch Karl Amon
(1993) gegenüber. Während Tomek der „Lebenswelt" der
ersten Republik verbunden ist, ist Amons Neubewertung im
Kontext des postkonziliaren Wandels der „Lebenswelt Kirche"
zu sehen. Frankls Beitrag markiert zugleich die Nahtstelle zum
zweiten thematischen Schwerpunkt, der auch Probleme der Gegenwart
mit umfaßt (Rudolf Zinnhobler/Linz: „Libertas eccle-
siae am Beispiel der Pfarre. Vom Investiturstreit zur Gegenwart
", 477-495; Josef Gelmi/ Brixen: „Das italienische Modell
des Kirchenbeitrags mit besonderer Berücksichtigung der Diözese
Bozen-Brixen. 141-156; Klaus Wittstadt/Würzburg: „Die
Erwartungen der Österreichischen Bischöfe an das Zweite Vatikanische
Konzil nach ihren Consilia et Vota", 431-441).

Die Mehrzahl der Aufsätze zum zweiten Schwerpunkt betrifft
die NS-Zeit, an die Michaela Kronthalers/Graz Untersuchung
„Ambivalente politische Zielsetzungen der Katholischen
Frauenbewegung. Österreich in der Zwischenkriegszeit" (263-
285) anschließt. Der Beitrag von Friedhelm Jürgensmeier/Osnabrück
„Katholische Theologen im Exil (1933-1945)" ist ein
Nachdruck aus einer Exilpublikation von 1992. Von dem „doch
sehr schillernden Bischof" Alois Hudal, der längere Zeit „von
der Verblendung" erfüllt war, „daß der Nationalsozialismus
.getauft' werden könne" und der wohl Eichmann zur Flucht
nach Südamerika verhalf, handelt u.a. das Interview des Jubilars
mit Josef Lenzen weger/Wien: „Notizen zu einem bewegten
Priesterleben" (287-303). Mehr auf die Verdienste Hudals konzentriert
sich Johann Rainer/Innsbruck in seinem Aufsatz
„Bischof Hudal und das Wiedererwachcn Österreichs 1944 in
Rom" (303-316). Interessant ist die Wiedergabe einer Kartenskizze
des italienischen militärischen Nachrichtendienstes über
Pläne zur Aufteilung Deutschlands von Ende Januar 1945. die
vom Vatikan gefördert worden sein sollen (Wiedererrichtung
der Habsburger Monarchie mit dem Katholischen Süddeutschen
Block, der auch Thüringen und Sachsen einschloß, vgl. 3 16 und
311). Für eine differenzierte Beurteilung des österreichischen
Protestantismus .zwischen Kruckenkreuz und Hakenkreuz' tritt
Karl Schwarz/Wien in seiner Untersuchung „Der Anti-Rosenberg
-Hirtenbrief 1937/38 des evangelischen Superintendenten

D. Johannes Heinzelmann" (355-368) ein. Das klare christolo-
gische Bekenntnis des Vertrauensmannes der Superintendenten
A. B., das in einflußreichen protestantischen Kreisen Österreichs
Kritik erfuhr, führte zum erzwungenen Rücktritt. Obgleich
sich der Beitrag von Karl Hausberger/Regensburg.
...Dolorosissimanente agitata nel mioeuore cattolico'. Vatikanische
Quellen zum ,Fall' Handel-Manzetti (1910) und zur Indizierung
der Kulturzeitschrift .Hochland' (191 I). ausschließlich
dem Kampf gegen den Modernismus zuwendet (189-220). soll
er wegen der Ergebenheitserklärung der bekannten Autorin in
diesem Zusammenhang erwähnt werden. Am 23. September
1910 veröffentlichte Handel-Manzetti ihre Bereitschaft, „immerdar
den Befehlen und Wünschen des Heiligen Vaters" nachzukommen
und bezog ausdrücklich ihre Kunst mit ein. Deutete
sich hier bereits eine Haltung an, mit der auch der Austritt aus
dem NS-kritischcn Wiener PEN im Juli 1933 in Verbindung zu
bringen ist1'

Den Eindruck einer bunten Palette, der beim Leser der Festschrift
hervorgerufen wird, verstärkt die bereits erwähnte alphabetische
Anordnung der Autoren. Mit der Liste der Förderer aul
separater Seite, der Tabula Gratulatoria (11-15), aber auch der
nach dem Prinzip der Extensität erarbeiteten Publikationsliste
des Jubilars (DoppelVerzeichnung von Titeln, da die Herausgebertätigkeit
nicht von den Monographien getrennt wird, kurze
Zeitungsartikel unter den wissenschaftlichen Beiträgen) repräsentiert
die vorliegende Publikation eher den Typ der altvaterischen
Festschrift. Die Frage des Rez., ob diese Anlage angesichts
der gegenwärtigen Sparprogramme noch zeitgemäß ist, soll nicht
verschwiegen werden. Bei diesem Aufwand wiegt ein Defizit um
so schwerer: Dem voluminösen Band fehlt ein Register.

Berlin Siegfried Brauer

Lucas. Franz D. |Hrsg.|: Geschichte und Geist. Fünf Essays
zum Verständnis des Judentums. Zum Gedenken an den fünfzigsten
Todestag von Rabbiner Dr. Leopold Lucas. Berlin:
Duncker & Humblot 1995. 126 S„ 1 Taf. 8«. Lw. DM 28,-.
ISBN 3-428-08168-4.

Die fünf Essays gehen zurück aul eine Ringvorlesung der Evangelisch
-theologischen Fakultät Tübingen zum Gedenken an den
fünfzigsten Todestag des Rabbiners Dr. Leopold Lucas. Im
Vorwort des Dekans Prof. Dr. Jüngel wird der Lebensweg von
Lucas skizziert und dabei besonders dessen Beilrag zur Förde
rung der Wissenschaft des Judentums gewürdigt. Der zuletzt an
der Berliner Hochschule für die Wissensehalt des Judentums
Lehrende wurde 1942 zusammen mit seiner Frau ins Konzentrationslager
Theresienstadt deportiert und starb dort am
13.9.1943. Ein reichliches Jahr später wurde seine Frau in
Auschwitz ermordet.

Ein Beitrag der vorliegenden Veröffentlichung beschäftigt
sich direkt mit Lucas: Stefan Schreiner. L. Lucas' Interpretation
lies jüdisch-christlichen Schismas (55-76). Lucas sah den Gegensatz
zwischen Christen und Juden „tatsächlich durch das
christologische Dogma, wenn auch nicht ausgelöst, so doch
geprägt" (69). Ein weiterer Gegensatz lag in der unterschiedlichen
„Einstellung zum diesseitigen Leben" (70). Seine endgültige
Zementierung fand das Schisma zwischen Christen und
Juden in der Idee des christlichen Staates (71). Lucas' hauptsächlich
aus den Kirchenvätern erhobene Interpretation kommt
u.a. zu dem Ergebnis: „Heidentum und Häresie mußten aus dem
christlichen Staat eliminiert werden; das Judentum aber, die
jüdische Gemeinschaft, ihr Gottesdienst und das jüdische Gesetz
blieben erlaubt, sofern sie den christlichen Lebensbereich
nicht berührten" (75). denn: das Christentum bedurfte ..der Existenz
der Juden, um seiner selbst sicher zu sein" (74).