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Ausgabe:

1995

Spalte:

618-620

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Kirche in bewegter Zeit 1995

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

618

Allgemeines, Festschriften

Hürten, Hein/: Katholiken, Kirche und Staat als Problem
der Historie. Ausgewählte Aufsätze 1963-1992. Hrsg. von
H. Gruber. Festschrift. Paderborn-München-Wien-Zürich:
Schöningh 1994. VIII. 342 S. gr.8<>. ISBN 3-506-73964-6.

Die Aufsatzsammlung ist eine Fest- und Dankesgabe zum 65.
Geburtstag des bekannten Ordinarius für Neuere und Neueste
Geschichte an der katholischen Universität Eichstätt. Bei ihrem
leicht verzögerten Erscheinen war Hürten bereits in Ehren entpflichtet
. Der Hg.. Hubert Gruber, hatte die Aufgabe übernommen
, aus den mehr als 100 Aufsätzen und Abhandlungen des
Jubilars eine repräsentative Auswahl zu treffen. Er schreibt:
-Ich .löste' dieses Problem letztlich ilahingehend, daß ich
schließlich meinen persönlichen Vorlieben für die eine oder
andere Abhandlung nachgab" (VII). Gleichwohl hegt er die
Überzeugung, ein ..aussagekräftiges Bild" von H.s weitgefächertem
(Eeuvre vermitteln zu können (ebd.). Der Rez.
stimmt dem Hg. hierin gern zu. Die knapp zwei Dutzend Beiträge
- allesamt schon an anderer Stelle gedruckt und deshalb dem
Kenner der Materie nicht unbekannt - bieten im Medium des
wissenschaftlichen Aufsatzes oder Vortrags einen guten Einblick
in H.s langjährige Forschungs- und Publikationstätigkeit.

Wie in Anbetracht jener schwerpunktbildenden Themen,
deren Erforschung dem Jubilar einen hervorgehobenen Platz in
der Geschichtsschreibung des neueren und neuesten Katholizismus
gesichert hat. nicht anders zu erwarten war. stehen die Jahre
19 IX-1945 im Mittelpunkt. Mit der Novemberrevolution, der
Weimarer Republik und dem NS-Regime hat sich H. seit Beginn
der 1970er Jahre nahezu ausschließlich befaßt. Als Summe
dieser Beschäftigung erschien 1992 sein opus magnum im gleichen
Verlag wie jetzt die Aufsatzsammlung (Deutsche Katholiken
1918-1945) Ausschließlich Kalholizisinusloi scher war und
•st H. nicht. Seine Interessen galten beispielsweise auch der
Militärgeschichte (wovon in der vorliegenden Sammlung der
Aufsatz „Das Offizierskorps des Reichsheeres", I77ff. zeugt),
und der politischen Ideengeschichte („Der Topos vom christlichen
Abendland in Literatur und Publizistik nach den beiden
Weltkriegen", 282ff.). Die Beiträge über Maritain („Der Einfluß
Jacques Maritains auf das politische Denken in Deutsehland".
3081t.) sowie über Karl Forster. den einstigen Direktor der
Katholischen Akademie in Bayern (..Zeitkritisches im Werk
v°n Karl Forster", 323ff.) belegen zusätzlich, wie weit H.s
Horizont ausgespannt ist. Für ein gewisse Überraschung sorgt
die Bekanntsehall bzw. neuerliche Erinnerung an H. als Historiker
des Mittelalters („Die Verbindung von geistlicher und wehlicher
Gewalt in der Amtsführung des mittelalterlichen deutschen
Bischofs". III.; „Zur Ekklesiologie der Konzilen von
Konstanz und Basel". I7IT ).

Als Historiker verfügt H. neben der für ihn selbstverständlichen
akribischen Rekonstruktion von Quellen- und Ereigniszu
sammenhängen über die Gabe des konzeptbildenden Denkens.
Hervorgehoben sei in diesem Zusammenhang der Aufsatz „Die
Novemberrevolution - Fragen an die Forschung" (51 ff.). Da der
Hg. auf bibliographische und sonstige Begleitnotizen verzichtet
hat, andererseits der Autor selber wegen der „konspirativen"
Unistände, unter denen die Festgabe entstand, nicht zur Aktualisierung
der den Aufsätzen beigegebenen Apparate aufgefordert
werden konnte, erfährt der Leser nicht, daß H. diesen 1979
erschienenen Aufsatz, einige Jahre später durch Überlegungen
z"r Anatomie der Revolution anhand der Kirchenpolitik 1918/19
erweiterte (Die Kirchen in der Novemberrevolution. Eine Untersuchung
zur Geschichte der Deutschen Revolution 1918/19.
Regensburg 1984). Auch sonst, findet der Rez... hätte der Hg.

den Lesern den Dienst tun können, noch einige Hinweise zu
geben. Sehr nahe hätte das z.B. bei dem Beitrag „Zehn Thesen
eines profanen Historikers zur Diskussion um den Widerstand
der Kirchen in der nationalsozialistischen Zeit" (I32ff.)
gelegen. Der Hinweis auf die selbständige Veröffentlichung
(Verfolgung. Widerstand und Zeugnis. Kirche im Nationalsozialismus
. Fragen eines Historikers. Mainz. 1987) hätte die
„Zehn Thesen" in den Kontext eines größeren Reflexionsprozesses
rücken können, zumal auch weitere Aufsätze um das
Widerstandsthema kreisen („Die katholische Kirche /wischen
Nationalsozialismus und Widerstand". I4lff.; „Selbstbehauptung
und Widerstand der katholischen Kirche". I59ff.; „Widerstand
und Protest. Gedanken zum 40. Jahrestau des 20. Juli
1944", 225ff.).

Traditionelle Festgaben, in denen sich die Aufsätze vieler
Autoren mit unterschiedlichem Themenspektrum vereinen, gestalten
sich in aller Kegel ZU Horilegien, die dem Geehrten /in
Genugtuung gereichen, aber wenig Leser finden. Anders verhält
es sieh mit Sammelbänden wie diesem. Ein gehaltvolles Lebenswerk
bietet allemal gute Gründe, das Verstreute zu sammeln
und gleichsam en bloe zu präsentieren. Der Sammelband
lädt zu vertiefter Bekanntschaft mit den Schriften H.s ein, der-
nebenher sei es noch erwähnt - auch als Editor erhebliche Verdienste
besitzt. Ganz gewiß kann die Festgabe nicht die Ge-
samtwürdigung von H.s Lebenswerk ersetzen. Doch sie eröffnet
die Möglichkeit, auch jenen Lesern, die vielleicht noch wenig
von H.s Bedeutung für die Geschichtsschreibung des deutschen
Katholizismus im 20. Jh. wissen, auf ansprechende Art mit
Stücken aus seiner Feder bekannt zu machen.

Leipzig Kurt Nowak

|Liehmann. Maximilian:] Kirche in bewegter Zeit. Beiträge
zur Geschichte der Kirche in der Zeit der Reformation und
des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Maximilian Liebmann
zum 60. Geburtstag, hrsg. von R. Zinnhobler. D. A. Binder.
R. Höfer u. M. Kronthaler. Graz: Styria Medienservice. Verlag
Ulrich Moser 1994. 495 S., I Porträt gr.8°. Lw. ö.S.
590.-. ISBN 3-7012-0028-9.

Die Arbeitsgebiete des geehrten Grazer Kirchenhistorikers, Reformationsgeschichte
und jüngere Kirchengeschichte Österreichs
, spiegeln sich in den Beiträgen der 25 Autoren wider. Zu
ihnen gehören auch zwei evangelische Hochschullehrer (G.
Reingrabner, K. Schwarz). Bedingt durch die alphabetische
Ordnung, beginnt der Band mit dem Schwerpunkt Reformation/
Gegenreformation (die Begriffe werden weithin nicht proble-
matisiert):

Gabriel Adrianyi/Bonn: „Religiöse Minderheiten im Königreich
Ungarn im Zeitalter der Reformation" (35-44). Als „echte
religiöse Minderheiten" werden die Anabaptisten, Antitrinitari-
er und Sabbatarier verstanden. Karl Amon/Graz stellt „Die
Bildkomposition .(iesetz und Gnade' von Lukas danach d.Ä."
(45-62) auf Grund des bislang oft übersehenen Holzschnittes
eines unbekannten Künstlers aus der Sakramentsflugschrift des
Urbanus Rhegins von 1525 dar. Nicht 1529. wie allgemein
angenommen, sondern schon 1522-1525 entstand, angeregt
durch Luthers Predigt vom Johannestag 1522. die reformatorische
Bildidee. Die Arbeiten von Carl C. Christensen ( An and
the Reformation in Germany. Ohio/Detroit 1979) und Elfriede
Starke (Luthers Beziehungen zu Kunst und Künstlern. In: Hel-
mar Junghans. Hrsg.: Leben und Werk Martin Luthers 1526-
1546. Berlin I9852) zum Thema sind dem Autor entgangen. Für
den Rückgang beim geistlichen Stand der Steiermark im 16. Jh.
kann Rudolf K. Höfer/Graz vor allem wirtschaftliche Gründe
ermitteln. Im monastischen Bereich lagen die Gründe eher im