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Ausgabe:

1995

Spalte:

595-612

Autor/Hrsg.:

Krieg, Gustav A.

Titel/Untertitel:

Pragmatismus als Nota Eccleasiae? 1995

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595

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 7/8

596

Hünermann, P.: Jesus Christus (G. Wenz) . 706
Macquarrie. J.: Jesus Christ in Modern

Thought. 2nd Ed. (U. Link-Wieczorek) . 708
Stein, E.: Was ist der Mensch? (Claudia

Wulf)...................711

Timm, H.: Wahr-Zeichen (K. Lüthi) .... 713
Titel- und Zeitschriftenschau........714

Praktische Theologie: Homiletik

Daiber, K.-F.: Predigt als religiöse Rede (H.

M. Gutmann)...............715

Theißen, G.: Zeichensprache des Glaubens

(J. Hermelink)...............718

Ökumene: Ostkirche

Burchard, Ch. [Ed.J: Armenia and the Bible
(A. Meißner)...............720

Heitz, S. [Hrsg.]: Christus in euch: Hoffnung
auf Herrlichkeit (H.-D. Döpmann) 722

Rexhäuser, A.: Geistliche Freunde und
geistliche Kinder (H.-D. Döpmann) . . . 723

Witte. B.: Das Ophitendiagramm nach Ori-
genes' Contra Celsum VI 22-38 (M. Westerhoff
) ..................725

Kurzanazeige

Zeitschrifteninhaltsdienst Theologie .... 622

Von Personen

Hans Ulrich Delius zum 65. Geburtstag
(Christof Hardmeier).......... 727

Bibliographie Hans-Ulrich Delius (V.Gum-
melt) 728

Berichte und Mitteilungen

Texteditionen zum früheren Mittelalter in
der Reihe Monumenta Germaniae Histori-
ca 1993/94 (G. Haendler)........ 732

Kongreßberichte

Stand und Aufgaben der Hemeneutik in
Europa (W. Sparn).............741

5. Symposium des Vereins zur Förderung
der Erforschung freikirchlicher Geschichte
und Theologie (VEfGT) in Bremerhaven
(F. Fornacon)............. 746

Von theologischen Fakultäten und
kirchlichen Hochschulen........ 747

Zum Herausgeberwechsel

Noch einmal: Die Bücher der Anderen (M.
Petzoldt).................. 752

Zur Verabschiedung von E.-H. Amberg
als Herausgeber der ThLZ am 7. Juni 1995
(U. Kühn)................. 755

Kultur des theologischen Urteilens (H.
Weder)...................758

Gustav A. Krieg
Pragmatismus als Nota Ecclesiae?

Zum Identitätsproblem gemeindlicher Praxis

I. Im Pluralismus der Handlungsfelder

Bunt ist das Bild, das der Gemeindebrief mancher deutschen -
vornehmlich „west"-deutschen - Gemeinden bietet: Abgesehen
von den Informationen über den Gottesdienst und die gängigen
Gruppen reicht das Angebot in den sozialen und therapeutischen
Bereich; es finden sich Diavorträge, Kammermusikreihen
, Sprach-, Koch-, Töpferkurse, Gemeindewanderungen, gesellige
Abende. Das Bild ist so bunt wie zwiespältig. Man fühlt
sich bei manchen Veranstaltungsangeboten eher an ein Volkshochschulprogramm
erinnert.

Zweifellos: Auch Gemeindeglieder leben nicht in zwei Welten
. Eine junge Gemeinde braucht Mutter-Kind-Gruppen, eine
überalterte Gemeinde verstärkte Seniorenbetreuung. Jugendliche
wollen ihren Treff. Ebenso haben Kirchenvorstände für solche
Aktivitäten Gründe: Diakonie - über die konfessionellen
Grenzen hinaus - ist ein Kennzeichen von Gemeinde seit jeher.
Und wird nicht der, der das Kulturangebot annimmt, irgendwann
für den Gottesdienst ansprechbar sein?

Dennoch bleibt das zwiespältige Gefühl. Es ist ja bisweilen
nicht auszumachen, an welcher Stelle sich eine Gemeinde zwischen
Kultgemeinschaft und Freizeitbetrieb angesiedelt sieht
und wie sie von ihren eigenen Mitgliedern und der „säkularen"
Gesellschaft wahrgenommen werden will. Ist es die „christliche
" Motivation, von der sie in allen Aktivitäten bestimmt sein
will? Doch wo wird diese an der Praxis deutlich? Am Gottesdienst
oder Bibelkreis? Aber ist nicht all dies auch für viele Gemeindeglieder
umgekehrt ein „zusätzliches" Angebot, das
unverbindlich mitgeliefert wird? Oder sollte es sich in der Buntheit
der Aktivitäten nur um die Widerspiegelung jener radikal
pluralistischen Beliebigkeit in Bedürfnis und Bedürfnisbefriedigung
handeln, die die gegenwärtige Gesellschaft charakterisiert,
um ekklesialen Pragmatismus, vermittels dessen sich Gemeinde
in dieser Gesellschaft zu bewähren hofft'?

Das hieße: Nicht immer wäre erkennbar, was eine Gemeinde
in die säkulare Gesellschaft einzubringen hat, das nicht durch
diese selbst ohnehin eingebracht würde. Ihr Daseinsrecht wäre
auch seitens vieler ihrer Mitglieder soziologisch zureichend
definiert und die „religiöse Motivation" von Gemeindearbeit
Privatsache, eingebettet in die Vielzahl weltanschaulicher Begründungen
gesellschaftlicher Praxis. Damit sind die Fragen an
die Theologie zurückgegeben.

II. Motive

Daß alles theologische Nachdenken über die Identität von Kirche
und Gemeinde schon an sich selbst eine Öffnung von Kirche und
Gemeinde auf die säkulare Gesellschaft hin anzeigt, dürfte ein
Wesenszug des Protestantismus in seiner Dialektik von „Glauben
" und seiner immer auch mit dem säkularen „Denken"
zusammenschauenden „wissenschaftlichen" Selbstvergewissc-
rung sein2: So sehr sich Kirche und Gemeinde in ihrer Identität
als von außen her gestiftet erfahren, von der Offenbarung des
sich in der Gestalt Jesu selbst in Gestalt und Sprache einbringenden
unsichtbaren Gottes, so haben sie sich doch im Horizont
einer den christlichen Glauben und gesellschaftliche Überzeugungen
verbindenden Hermeneutik explizit zu machen, wollen
sie nicht im Ghetto leben. Die Bibel ist auch ein zu exegesieren-
der „Text" und Kirche Teil der „Kultur" und „Bildung".

Es ist allerdings ein Problem, wie das Vonwoher des in
Gestalten sich anzeigenden Glaubens zu bestimmen ist, das
„Wort Gottes", das allen Gestalten voraufgeht, um doch „in"
Kirche und Gemeinde wahrnehmbar zu sein. Volkskirchlich ist
die überlieferte Ekklesiologie ja kaum noch relevant.

Die Lösung der Dialektischen Theologie, gemeindliche Identität
von einer Offenbarungstheologie her zu bestimmen, gemäß
welcher christliche „Verkündigung" als „Bezeugung" des
„Wortes Gottes" im (durch die „Dogmatik" interpretatorisch
umgrenzten) biblischen Text die weltanschaulichen Strömungen
in der Volkskirche gegenüber der „Sache" von Theologie
und Kirche für irrelevant erklärt, wird in einer hermeneutisch
pluralen Volkskirche als klerikalistisch empfunden und nicht
mehr verstanden3. Infolgedessen bleibt die Frage nach einem
„Anknüpfungspunkt" zwischen „Wort Gottes" und „Welt"
essentiell für den Dialog mit der Gesellschaft, damit allerdings

' So W. Welsch; vgl. dazu P. Tepe, Postmoderne/Poststrukturalismus,
Wien 1992, 23ff. Zur Bedeutung von Kirche auf dem pluralistischen Markt
von Angebot und Nachfrage vgl. auch „Minderheit mit Zukunft". Zu Auttrag
und Gestali der ostdeutschen Kirchen in der pluralistischen Gesellschaft
. Überlegungen und Vorschläge des Arbeitskreises „Kirche von morgen
": epd-Dokumentation Nr. 3a/95, bes. 4f.

- Vgl. K. E. Nipkow, Bildung als Lebensbegleitung und Erneuerung-
Kirchliche Bildlingsverantwortung in Gemeinde, Schule und Gesellschall.
Gütersloh 1990, 173f.

S. Chr. Meier, Kirchliche Erwachsenenbildung, Stuttgart u.a. 1979. 8111.