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Ausgabe:

1995

Spalte:

586-588

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Nairobi 1975 1995

Rezensent:

Geldbach, Erich

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 6

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kratischerj und allgemeinen Wahlen wurden kaum wahrgenommen
. Nur für kurze Zeit - während der Wahlen im April 1994 -
war Südafrika ein Medienschwerpunkt.

In Zukunft wird die Zeit der Apartheid wohl datiert werden
his 1989. die neue Ära ab 1994. Die unglaublich aufregenden,
von vielen Rückschlägen bedrohten Übergangsjahre von 1990
bis 1994 könnten leicht in Vergessenheil geraten. Das vorlie-
gende Buch leistet deshalb einen wichtigen Beitrag zur Geschichtsschreibung
Südafrikas. Aus der Sicht und Erfahrung
zahlreicher, meist südafrikanischer Autoren werden Herausforderungen
und Hoffnungen beschrieben, denen sich Kirchen und
ihre Mitglieder in dieser Übergangszeil stellten. Aufgaben und
Ziele in der Nachapartheids-Zeit werden definiert. In vielen
Beiträgen wird deutlich, wo Kirchen und ihre Mitglieder als
Friedensstifter, als Vermittler, als Organisatoren von schwierigen
Aufgabengebieten gewirkt haben. Ihre Rolle hat sich zum
Teil verändert: In den achtziger Jahren, als oppositionelle Gruppen
brutal zum Schweigen gebracht wurden, waren sie „Mund
der Stummen". In der schwierigen Phase des Um- und Aufbaus,
in der Schwächere leicht an den Rand gedrückt werden, sind sie
als Anwälte für Gerechtigkeit weiterhin sehr nötig und bei der
schwierigen Aufgabe der Versöhnung unentbehrlich.

Wer aus den Beiträgen dieses Bandes und aus persönlichen Begegnungen
die gewaltige Mühe kennt, die in den letzten Jahren geleistet wurde, der
oder die ärgert sich üher manches geringschätzige Reden hei uns. das öfter
über den Südafrikanischen Kirchenrat (SACC) zu hören war. Einige Autoren
beschreiben den Beitrag des SACC bei der Wiedereingliederung der
Flüchtlinge, verschweigen auch nicht Probleme, die auftraten: beim Widerstand
gegen die schrecklich um sich greifende Gewalt, u.a. mit der Organisation
des Internationalen Beohachterprogramms. Bei der Vorhereilung der
Wahlen und ganz besonders hei der Wählerschulung haben sich Kirchen
und kirchliche Organisationen stark engagiert. Die weitgehend erfolgreich
verlaufenen Wahlen, vor allem die geringe Zahl von ungültigen Stimmen,
sind diesem Einsatz zu verdanken.

Die schwere Hypothek für die neue Regierung wie die
Homelandpolitik, Zwangsumsiedlungen, Ghettoisierung wird in
verschiedenen Kapiteln dargestellt. Das Thema Gewalt, in den
Jahren 1992 und 1993 allgegenwärtig, zieht sieh wie ein roter
Faden durch die Beiträge zahlreicher Autoren. Es gewinnt
besonders deutlieh Gestalt in dem bewegenden Berieht des jungen
Gemeindepfarrers Trevor Sibanda in Alexandra mit dem
Titel ..Die Menschlichkeit wiedergewinnen". Die heilende und
versöhnende Botschaft der Kirchen ist hier herausgefordert -
das beschreiben auch Autoren wie Pfarrer Wolfram Kistner,
Bischof Manas Buthelezi. Pfarrer Frank Chikane - letzterer
spricht auch das Thema ..Wiedergutmachung" deutlieh an.

Erzbischof Desmond Tutu sieht die Funktion der Kirchen darin
, „einerseits die Erwartungen auf raschen materiellen Fortschritt
unter einer demokratischen Regierung zu dämpfen, andererseits
die Vision einer mitfühlenden und sorgenden Gesellschaft
aufrechtzuerhalten, in der Menschen mehr zählen als
Besitz, wo das Miteinanderteilen höher geschätzt wird als das
Anhäufen von Gütern, in der wir die Würde der Menschen aufrechterhalten
, die vor Gott etwas Besonderes und Kostbares ist."

Charles Villa-Viccneio beschreibt zum Thema „von der Revolution
zum Wiederaubau" die Herausforderung an die südafrikanische
Theologie. Er fragt nach dem positiven und befreienden
Beitrag der Christen in einer Gesellschaft, die seit Generationen
durch Trennung. Gewalt und Unterdrückung bestimmt war, in
der auch Kirchenfamilien getrennt waren - und noch sind!

Villa-Vieencio fordert, wie auch Kistner. ein Schuldbekenntnis auf breiter
Basis, in dem die systematische Zerstörung des Menschseins eingestanden
und damit ein neues hoffnungsvolles Zusammenlehen möglich wird. Er
meint: ..Aus religiöser Sicht gibt es keinen anderen Weg zur nationalen
Erneuerung, der nicht üher die Buße führt." Daraus folgt für ihn und andere
Autoren der Einsatz für die menschlichen Grundrechte, für eine gerechte
sozio-politische Ordnung und neue Wirtschaftsstrukturen, für die Bewahrung
der Schöpfung. Einen breiten Teil in Texte 54 nehmen die Stimmen aus
vielen Kirchen ein - von der katholischen Kirche üher die niederländischreformierten
Kirchen mit ihrem mühsamen Weg zur Vereinigung his hin zu

den Unabhängigen Kirchen, die zahlenmäßig die größte Gruppe sind: 4000
Kirchen mit mehr als 7 Millionen Mitgliedern. Einen guten Überblick über
die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften vermitteln die Beiträge
von Rainer Kiefer und Wolfram Kistner. Als wichtige Herausforderung und
Aufgabe wird von mehreren Autoren die Ökumenische Zusammenarbeit
unter den Christen, aber auch mit anderen Religionsgemeinschaften wie
Juden. Moslems. Hindus beschrieben, vor allem mit dem Ziel, zur Verwirklichung
von Frieden und Gerechtigkeit beizutragen.

Die Autoren des Bandes laden auch uns ein zum weiteren ökumenischen
Dialog und Austausch unserer Erfahrungen in einem veränderten Deutschland
und veränderten Südafrika. Auch bei uns sind Kirchen, sind Christen
zunehmend als Anwälte für Gerechtigkeit und ein friedliches Zusammenleben
gefordert.

Die Hgg. weisen in der Einleitung zum vorliegenden Band
darauf hin, daß einige angefragte Autoren und Autorinnen wegen
dringender anderer Verpflichtungen keinen Artikel schreiben
konnten. Ich vermisse vor allem mehr Beiträge von Frauen
und bedaure, daß nicht mehr Frauen aus ihren großen Erfahrungen
in wichtigen Arbeitsbereichen berichten. Die „Mischung"
aus bekannten und unbekannten Autoren und vielen Bereichen
ist sonst sehr hilfreich und anregend. Weitere Texte wie Gebete,
10 Gebote für Wähler und Wählerinnen und ein südafrikanischer
Psalm geben auch uns Hinweise auf Defizite im Umgang
miteinander, zeigen aber auch Hoffnungen und Visionen auf.
Die südafrikanischen Partner halten uns einen Spiegel vor - sie
teilen die Sorge um die Bewältigung ähnlicher, wenn auch in
Südafrika ungleich schwierigerer Probleme mit uns - und hoffentlieh
auch Visionen! Deshalb ist diesem Buch eine zahlreiche
Leserschaft zu wünschen, vor allem unter denen, die in
Südafrika einen wichtigen Partner in der Bewältigung der Konflikte
in der einen Welt sehen.

Frankfurt Ursula Trautwein

Von Nairobi nach Canberra. Evangelische Kirche in Deutschland
und Ökumenischer Rat der Kirchen im Dialog. Teil I:
Nairobi 1975. Von B. Hildebrand u. A. von Oeningen, unter
Mitwirk, von H. J. Held. XI. 81 S. II: Von Nairobi 1975 nach
Vancouver 1983. Von H. J. Held. XI. 177 S. Gütersloh:
Gütersloher Verlagshaus 1990/94. 8° = Kirchliches Jahrbuch
1988 u. 1990/91. ISBN 3-579-00310-0 u. 3-579-00316-X.

Die beiden Jahrbücher gehören thematisch zusammen. Sie wollen
zwar nicht vollständig die Programme und Aktivitäten des
Ökumenischen Rates der Kirchen (ORK) und ihre Auswirkungen
in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) darbieten
, wohl aber doch die w echselseitigen Impulse nachzeichnen
und die strittigen Punkte aufzeigen (so Hans Joachim Hehl im
Vorwort des l. Bandes) bzw. die „großen Linien im Verhältnis
von EKD und ORK in ihrem Spannungsreichtum" und „ihrem
Gemeinschaftswillen" darbieten (so ders. im Vorwort des 2.
Bandes). Wo genau die Grenzen verlaufen, was man ausgespart
hat bzw. worauf man nicht verzichten wollte und konnte, wird
leider nicht gesagt. Man hätte eigentlich von Anfang an gern
gewußt, welche Maßstäbe angelegt sind, dies um so mehr, als
seil einigen Jahren die Kirchlichen Jahrbücher nicht mehr alle
Entwicklungen nachzeichnen, sondern thematische Schwerpunkte
setzen und damit Auswahl bieten.

Als eine „Hilfe zur Orientierung und Vorbereitung" für die
Vollversammlung des ORK in Canberra waren die Bände gedacht
, doch erschien der 2. Band erst nach Canberra und ein 3.
Band, der den Weg von Vancouver nach Canberra nachzeichnen
soll, ist noch gar nicht erschienen, sollte, gemäß dem Anfang 1994
geschriebenen Vorwort des 2. Bandes, „nun aber bald folgen". Es
bleibt festzuhalten: Die Wegbeschreibung des Dialogs /wischen
FKD und ORK erscheint mit erheblicher Zeitverzögerung,

Das kann man zwar für ein Jahrbuch, das einer späteren
Generation Einblick in Aktivitäten verschaffen soll, möglicher-