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Ausgabe:

1995

Spalte:

583-584

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Santiago de Compostela 1993 1995

Rezensent:

Althausen, Johannes

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583

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 6

584

Ökumene: Allgemeines

Gaßmann, Günter, u. Dagmar Heller [Hrsg.]: Santiago de
Compostela 1993. Fünfte Weltkonferenz für Glauben und
Kirchenverfassung 3. bis 14. August 1993. Berichte, Referate
, Dokumente. Frankfurt/M.: Lembeck 1994. 272 S. 8° =
Beiheft zur Ökumenischen Rundschau, 67. Kart. M 32,-.
ISBN 3-87476-295-5.

Ein Rez., der weder an der dokumentierten Konferenz selbst
noch an der Nacharbeit in Gremien der Kirchen richtig teilgenommen
hat, empfindet bei der Lektüre des Berichtsbandes
manchen Frust. Vielleicht hat er aber auch die Chance, Entdeckungen
in den Texten zu machen, die dem Beteiligten leichter
entgehen. Er muß natürlich berücksichtigen, daß sie nur so
etwas wie eine Landkarte sind, auf der der Flußlauf erkennbar,
aber das Fließen des Flusses selbst nicht zu sehen ist. Eine Konferenz
lebt doch eigentlich sehr vom Gespräch. Das kann und
will ein Berichtsband nicht wiedergeben. Die Sektionsberichte
sind Gesprächsergebnisse. Darum muß man eigentlich zwischen
den Zeilen lesen können. Manche Vorträge sind offensichtlich
erst nachträglich aufgeschrieben worden. Als sie vorgetragen
wurden, ist manches mit Sicherheit anders angekommen
, als es der Leser der Nachschrift wahrnimmt. Ob auf der
Tagung wirklich gestritten wurde, bleibt offen. Da gibt es zum
Beispiel einen außergewöhnlichen pfingstlerischen Beitrag
(Simon Chan, Teilhabe am trinitarischen Leben. Jo 17,20-26;
Uo 1,1-4. S. 87-93). Wie ist der aufgenommen worden? Hat
man überhaupt gemerkt, welche Sprengkraft in ihm liegt? Oder:
Da gibt es heftige grundsätzliche Kritik am Ökumenischen Rat
der Kirchen. Erzbischof Jakovos aus Nordamerika wirft ihm
falsche „ideologische" Ausrichtung vor (153). Ist das damit abgetan
, daß eine andere alte Ökumenikerin, Rena Karefa-Smart -
auch aus Amerika, die Anschuldigung zurückweist (166)? Oder
wie ist das mit dem Hauptthema? Das Grundsatzreferat (John
Reuman, Koinonia in der Bibel, 37-69) ist so lang und dicht,
daß es schon beim Lesen kaum zu erfassen ist. Wie hat man das
beim Zuhören bewältigt? So viel ist klar: Mancher geht in Sachen
koinonia doch ganz andere Wege, z.B. hinsichtlich der
An-wendung des Begriffs auf die Trinität Gottes, was nach
Reumann im NT nicht gedeckt ist (64). Immerhin hat das der
Sektionsbericht I so nicht getan.

Außer den offiziellen Texten der Konferenz (Botschaft, Sektionsberichte
, Grußworte), der Teilnehmer- und der Referentenliste
werden 25 Beiträge in fünf Abschnitten auf 212 Seiten dokumentiert
. Es gab offensichtlich viel zu hören. Der Abschnitt I
über „Glauben und Kirchenverfassung: Rückblick und Ausblick
" korrespondiert mit IV „Die Zukunft der ökumenischen
Bewegung" und V „Der ökumenische Rat der Kirchen und
Glauben und Kirchenverfassung". Santiago de Compostela war
eine Station in der ökumenischen Geschichte. So gibt es ausführliche
Rückblicke auf die lange Zeit von 30 Jahren zwischen
der 4. und 5. Vollversammlung von Faith and Order seit Montreal
(besonders wichtig natürlich der Bericht des Direktors
Gaßmann, 9-16), aber auch erwähnenswerte thematische und
methodische Vorschläge für das nächste Stück Weges, nicht nur
bei Faith and Order, sondern im ORK überhaupt und darüber
hinaus. Das reicht von einer Ekklesiologiestudie (z.B. von
Yemba Kekumba/Zimbabwe, 198) über ein Kirchenführertref-
fen in Jerusalem zum gemeinsamen Sprechen des Bekenntnisses
, d.h. des Nizeno-Konstantinopolitanums (J. M. Tillard, 209)
oder Raisers Vorschlag eines Erlaßjahres 1998 mit feierlicher
Aufhebung von gegenseitigen Lehrverurteilungen (193) bis hin
zu der Aufgabe, eine „ökumenisch-interkulturelle Hermeneutik
" zu entwerfen (Raiser, 191 bzw. Tarasar, 199f), eine „unity
in steps" zu versuchen (Tillard/Kanada als katholischer Reflektor
und Mit-Vorsitzender von Faith and Order, 206) oder mehr
„Ökumeneapologetik" zu betreiben (Templeton, 124).

Der Begriff „Koinonia", der seit Canberra 1991 helfen soll,
die Einheit der Kirchen zu beschreiben, wird in den Abschnitten
II „Koinonia in der Bibel" und III „Koinonia im Glauben, Leben
und Zeugnis" ausführlich behandelt. Mir scheint der entsprechende
Sektionsbericht (217-225) eine gute Zusammenfassung
zu sein, an sich auch schon eine harte Nuß beim Versuch
einer Rezeption, und das obwohl der sachliche Fortschritt gegenüber
bisherigen Einheitskonzepten oder begrifflichen Zusammenfassungen
dieser Konzepte vergleichsweise nicht sehr
groß ist. Aber es wäre schon gut, wenn der Westen das „kleine
Geschenk aus Afrika" annehmen würde, das Desmond Tutu
(115) dargereicht hat:

„Die Idee des ubuntu. Es ist nicht leicht, diesen Begriff in westliche Sprachen
zu übersetzen. Er bezeichnet das Wesen des Menschseins: Mein
Menschsein ist eingebunden in das Menschsein meines Nächsten und bleibt
unlösbar mit ihm verbunden. Das Alte Testament spricht vom „Bündlein der
Lebendigen". Ich bin, weil ich dazugehöre. Mein Menschsein hangt nicht ab
von äußerlichen Dingen, sondern es ist in mir. Ich habe einen Wert, weil ich
ein Mensch bin, und ich bin nicht zu beurteilen nach materiellem Besitz, sondern
nach spirituellen Fähigkeiten oder Eigenschaften wie Mitleiden, Gastfreundschaft
, Wärme, Eingehen auf meine Mitmenschen." (I 15)

Die Annahme dieses Geschenks würde auch andere Desiderate
der Redner von Santiago de Compostela auffangen, wenn
es um die Verwirklichung der Koinonia geht.

Dokumentationen von ökumenischen Konferenzen sind eine
Voraussetzung für die angemessene Rezeption des Geschehens,
das hinter den Texten steht. Aber sie sind nicht die Rezeption
selbst. Der Verlag Otto Lembeck und das Büro von Faith and
Order in Genf garantieren seit langem eine solide Arbeit bei der
Dokumentation. Das ist auch an diesem Bande deutlich erkennbar
. Gut, daß es ihn gibt. Die ökumenische Bewegung ist eine
Pilgerreise. Der Tagungsort der fünften Wellkonlerenz für
Glauben und Kirchenverfassung, dessen genius ihre Vorsitzende
, Mary Tanner, zu Beginn und zum Schluß der Konferenz
beschwor, erinnert einmal mehr daran. Die Texte lassen es
immerhin ahnen, wenn man sie lesen kann. Faith and Order war
einst eine Art Wanderführer oder Pilgervater. Künftig wird viel
davon abhängen, daß der nicht müde wird, sondern lebendig
mitgeht, eben nicht nur mit den Texten.

Berlin Johannes Althausen

Hinz, Rudolf, u. Rainer Kiefer [Bearb.]: Südafrika - die Konflikte
der Welt in einem Land. Kirchen - Anwälte für
Gerechtigkeit und Versöhnung. Hamburg: Verlag Dienste in
Übersee 1994. 272 S. 8° = Texte zum Kirchlichen Entwicklungsdienst
, 54. Kart. DM 29,50. ISBN 3-921314-31-3.

Mit dem vorliegenden Band legt der Verlag seit 1972 das 10.
Buch zum Schwerpunkt Südafrika vor. Dies weist hin auf den
umfangreichen Dialog mit Kirchen und gesellschaftlichen
Gruppen in Südafrika, der auch Streitfragen nicht ausklammerte
. Die Apartheidspolitik der südafrikanischen Regierung hat
viele Christinnen und Christen herausgefordert, sich Themen zu
stellen, die so bisher nicht auf ihrer Tagesordnung waren: Recht
auf Widerstand, Sanktionen und Boykott, Gewalt und gewaltfreies
Handeln. Und sie haben in der Auseinandersetzung mit
diesen Fragen viel von den Geschwistern in Südafrika gelernt -
auch Mut zu unpopulärem Handeln und Reden!

Daß die Wende in Südafrika zur selben Seit eine dramatische
Entwicklung nahm, als sich in Europa und vor allem in
Deutschland entscheidende Veränderungen vollzogen, hat Südafrika
für viele in den Hintergrund gerückt, bei andern den Eindruck
erweckt: „da läuft ja jetzt alles." Die schwierigen Prozesse
auf dem Weg zu einer Übergangsverfassung und zu demo-