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Ausgabe:

1995

Spalte:

581-582

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Wegenast, Klaus

Titel/Untertitel:

Gemeindepädagogik 1995

Rezensent:

Grethlein, Christian

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Seite 1

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5X1

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 6

582

Wegenast. Klaus, u. Godwin Lämmermann: Gemeindepädagogik
. Kirchliche Bildungsarbeit als Herausforderung.
Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1994. IV. 196 S. gr.8° =
Praktische Theologie heute, 18. Kart. DM 39,80. ISBN 3-17-
013175-3.

Angesichts der offenkundigen Bedeutung des Themas und der
Tatsache, daß sich bisher nur wenige an Universitäten lehrende
Praktische Theologen hierzu äußerten, greift man erwartungsvoll
nach dem hier zu besprechenden Buch. Entgegen dem
ersten Anschein handelt es sich aber nicht um eine systematische
Darstellung des Gegenstandes, sondern offensichtlich in
wesentlichen Teilen um eine Zusammenstellung von eigenständigen
Beiträgen. Inwieweit die Autoren sich gegenseitig dabei
besprochen und korrigiert haben, ist nicht /.u erkennen. Die an
verschiedenen Stellen auffallenden Unausgeglichenheiten gehen
bis in den stilistischen Bereich (so schreibt z.B. 160 ein
..ich", auf 161 fahren aber ..w ir" weiter). Dementsprechend sind
Autbau und Durchführung der einzelnen Kapitel unterschiedlich
. Manche Beiträge informieren stärker über die vorliegende
Diskussion, andere sind eher ein engagiertes Plädoyer für bestimmte
Positionen. Angesichts der noch mangelhaften konzeptionellen
Klärung von Gemeindepädagogik werde ich im folgenden
die beiden einleitenden Kapitel näher besprechen. Die
Vorstellung einzelner (auf Grund welcher Kriterien?) ausgewählter
Handlungsfelder zeige ich dagegen nur knapp an.

Im ersten Kapitel wird ..Gemeinde' als theologisches und
soziologisches Problem" behandelt. Zu Recht weist der Autor
(wohl G. Lämmermann) daraufhin, daß diese Thematik bisher
zu selten in gemeindepädagogischen Reflexionen angemessen
berücksichtigt wird. Dabei erscheint die Selbstbeschränkung
zuerst als sympathisches Understatement: ..Praktische Theologie
wird mit theologischen Gehalten fragmentarischer, spielerischer
, thesenhafter und vor allem eben elementarisierender umgehen
müssen" (10). Ja, es wird eingeräumt, daß „Praktische
Theologie den Mut zum Vagabundieren und Dilettieren haben
(muß)" (10). Nach sehr knappen Hinweisen zu religionssoziologischen
Einsichten und Problemen wird „Gemeinde als theologisches
Programm" (17-3 11 entfaltet. Und hier geht es wirklich
„fragmentarisch" und „thesenhaft" (und leider z. T. auch „dilettantisch
") zu.

Der Autor des /weilen Kapitels (wohl K. Wegenasl) versucht
diese Überlegungen zusammenzufassen (35). muß aber selbst
eine Frage zu dem vorher Geschriebenen stellen (.35). Es bleibt
offensichtlich auch für ihn als Koautor undeutlich, welches Gewicht
Jesus und seine Verkündigung bzw. die reformatorischen
Einsichten für die gemeindepädagogische Theoriebildung haben
. Systematisch soll „Gemeinde aus ihrem .Wesen' heraus"
(21) begriffen werden, was - „wieder" - nicht ohne „Gedankenarbeit
" abgehe. Deren Durchführung bleibt aber für den Rez. undurchsichtig
. Auf der einen Seite nimmt der Autor „das Bekenntnis
zum dreieinigen Gott" als das an. „was christliche
Gemeinde von anderen Gemeinschaftsformen konstitutiv unterscheitlet
", auf der anderen Seile betont er seine Absicht, „nicht
nach dem formulierten, sondern nach dem gelebten Bekenntnis
" (21) zu fragen. Die Trinitätslehre ist aber - nach einschlägigen
Untersuchungen - keineswegs ein von den meisten Kirchenmitgliedern
geteilter Glaubenssatz. Die u.a. auch vom Rez.
vertretende Position. „Gemeinde als die im Gottesdienst versammelte
Gemeinschaft" zu definieren, wird - ohne nähere
Gründe - als „eine recht äußerliche, formale und innovationsre-
sistente Bestimmung" (21) abgetan. Die weitere Argumentation
läßt darauf schließen, daß dies nicht zuletzt daran liegt, daß der
Autor „Gottesdienst" ausschließlich mit der Veranstaltung am
Sonntagmorgen identifiziert, also bewußt die neuere liturgische
Diskussion und entsprechende Aussagen des Neuen Testaments
ausblendet. Für die weiteren Überlegungen (21-31) muß der

Rez. gestehen, daß er offensichtlich ein „Laie" ist. Im Eingangsteil
merkt nämlich K. Wegenast an, daß der Beitrag des ersten
Kapitels „zur theologischen... Bestimmung von Gemeinde mit
seinen strukturellen und innertrinitarisehen Erwägungen... für
die uns vorschwebenden Leser (sc. eben Laien, C. G.) kaum
nachvollziebar" sein dürfte (8). Allerdings unterscheide ich
mich von Laien wohl dadurch, daß ich kritische Nachfrage
wage, ob die Unverständlichkeit vielleicht kein Ausdruck einer
„logischen Stringenz" (so W., 8) ist. sondern Resultat einer
Mischung von spekulativen Hegeischen Denkformen. Metaphern
(weitgehend aus der jüngeren dogmatischen Diskussion
entlehnt) und ohne Klärung eingeführten Begriffen (wie z.B.
Identitätskern, 27, Gemeindeaufbau, 28). Eine Rückbindung auf
die eingangs referierten gemeinde- und religionssoziologischen
Erkenntnisse fehlt. So bleibt die „Gemeinde nach trinitarischem
Modell" (26-31) ein Programm, das wohl nicht von ungefähr in
den folgenden materialen Ausführungen kaum mehr auftaucht.

Mehr Zusammenhang mit der gegenwärtigen Diskussion hat
dann das zweite, offensichtlich von W. verfaßte Kapitel ..Gemeindepädagogik
" (32-56). Nach einer kurzen Einleitung klärt
er noch einmal „Gemeinde" begrifflich, jetzt aber in Auseinandersetzung
mit praktisch-theologischen Publikationen und in
Entwicklung des Begriffs „offene Volkskirche". Kurz kommt
danach „Pädagogik als gemeindepädagogische Bezugswissenschaft
" in den Blick, bevor wichtige gemeindepädagogische
Konzeptionen dargestellt werden. Nach der Behandlung von
weiteren Einzelfragen bilden „Zehn Thesen zum Programm
einer .Gemeindepädagogik'" (54-56) den Abschluß dieses einleitenden
Teils. Nur zum Teil sind hier Bezüge auf das vorher
Entwickelte (und das später Geschriebene) zu entdecken.

Ohne erkennbaren Zusammenhang mit den vorausgehenden
Überlegungen wird im dritten Abschnitt „Evangelischer Kindergarten
- Bedingungen und Aufgaben" (57-78) dargestellt.
Besonders beeindruckt hier die differenzierte Rekonstruktion
von „Kindsein heute" (64-71). Gut gelungen sind auch die
Überlegungen zu „Methoden der Kindergartenarbeit" (75-78).
die wichtige Methoden kurz vorstellen und in ihrer Bedeutung
erläutern.

Anschließend wird „Der kirchliche Unterricht" (79-108) behandelt
. Besonders wird hier dem Verhältnis von Glauben und
Lernen nachgedacht, allerdings ohne Bezug auf das in den Eingangskapiteln
entwickelte Verständnis von Gemeindepädagogik.

Der Abschnitt zur Jugendarbeit (109-132) ist ein Plädoyer für
die „offene Jugendarbeit". Theologisch wird sie von Gottes-
ebenbildlichkeil des Menschen und vor allem der paulinischen
Rechtfertigungslehre her begründet.

Stärker verschiedene Positionen, darunter vor allem die von
E. Lange, stellt der Abschnitt „Kirchliche Erwachsenenbildung
in Gemeinde und Gesellschaft" (133-162) dar.

Abgeschlossen wird das Buch durch eine Betrachtung von
„Kirchlicher Bildungsarbcil mit alten Menschen (162-179). der
sich vor allem kritisch mit dem Defizitmodell des Alterns auseinandersetzt
.

Insgesamt kann der Rez. seine Enttäuschung über das Buch nicht verhehlen
. Gewiß liesl man in einzelnen Kapiteln viel Interessantes, vor allem in
den Ausführungen zum Kindergarten. Doch ist eine Verbindung der konzeptionellen
Überlegungen in den Eingangskapiteln mit anschließenden
Ausführungen zu einzelnen Handlungsfeldern nicht einmal ansatzweise
versucht worden. Ein Resultat hiervon ist. daß ein wichtiges gemeinde-
padagogisches Problem der Gegenwart, die Versaulung der einzelnen
Handlungsfelder, unbearbeitet bleibt. Positiv ist noch auf das ausführliche
Literaturverzeichnis am Ende des Bandes hinzuweisen (180*196). Doch
auch hier muß Kritisches angemerkt werden, weil die l.iteraturangaben im
Text (Namen. Jahreszahl. Seitenzahl) in über der Hälfte der Fälle nicht mit
den Angaben des Literaturverzeichnisses Übereinstimmen. So wird für die
meisten Studierenden ein vertieftes Weiterstudium zumindest erheblich
erschwert.

Halle/Saale Christian Grethlein