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Ausgabe:

1995

Spalte:

578-580

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Koerrenz, Ralf

Titel/Untertitel:

Ökumenisches Lernen 1995

Rezensent:

Orth, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 6

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Herrenmahl und liturgischen Vollzügen zur ..konzentriertesten
Form" der Gemeindepädagogik werden (40), wobei der gottesdienstlichen
Predigt durchgängig keine Beachtung geschenkt
wird. G. vertritt dieses Konzept gleichsam konfrontativ; denn er
ist sich der entgegenstehenden „empirisch vorf'indlichen Realität
- z.B. geringer Gottesdienstbesuch, kein Unterschied zwischen
Getauften und Ungetauften in ethischer Hinsicht, geringe
Abendmahlsteilnahme u.s.w." wohl bewußt: Hoffnungsfroh
konfrontiert er diese „Defizite und Defekte mit den durch die
Heilige Schrift bezeugten und in den Sakramenten vorgriffsweise
erfahrbaren Perspektiven" und versucht, „pädagogisch durch
die Bearbeitung dieser Spannung einen Beitrag zu den Bildungsbemühungen
der Gesellschaft zu leisten" (27)!? Dabei
setzt G. „auf die konstitutive Bedeutung pädagogischer Prozesse
für den Bestand von Kirche und Theologie" (291.), womit er
das zweite, ein wenig kürzer geratene Standbein seiner Gemeindepädagogik
anspricht. In Anlehnung an K. E. Nipkow wird ihm
hier Bildung zum pädagogischen „Zentralbegriff", der sich deshalb
besonders für die Gemeindepädagogik eignet, weil er eine
„vermittelnde Kategorie /wischen objektiver Welt und dem
Recht auf das Selbstsein des Subjekts" darstellt (341.). Im ge-
meindepädagogischen Kriterium der „Subjektivität" Findel solcher
Bildungsanspruch seinen ausweisbaren Niederschlag,
während die anderen gemeindepädagogischen Kriterien -
..Sozialraum Gemeinde". „Bedeutung von Taufe und Herren
mahl". ..örtliche, regionale und ökumenische Dimension von
Gemeinde". „Verhältnis der Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen untereinander
", „finanzielle Grenzen" (40ff.) - keinen direkten pädagogischen
Bezug verraten.

Die erarbeiteten Kriterien dienen G. bei der Darstellung der
acht gemeindepädagogischen Handlungsfelder als brauchbares
Instrumentarium, um sich jeweils mit diesen „in kritischer
gemeindepädagogischer Sicht" auseinanderzusetzen. Das geschieht
für jedes Handlungsfeld im 3. Abschnitt, dem - bei stets
gleichbleibendem Aufhau - ein I. Abschnitt „in historischer Perspektive
" und ein 2. Abschnitt „in der Gegenwart" vorangestellt
sind; abgeschlossen wird die Darstellung jedes Handlungsfeldes
durch „handlungsorientierende Anregungen (4)". So gegliedert
werden dem Leser acht mit flüssiger und schneller Feder
geschriebene, gut lesbare Kapitel präsentiert, die wertvolle und
interessante Einsichten in die beschriebenen Handlungsfelder
vermitteln, ohne in diesem beschränkten Rahmen Vollständigkeit
und ausführliche Gründlichkeit beanspruchen zu können.
Wie bereits angedeutet, ist dabei das „2. Kapitel. Bildung im
Umfeld der Taufe" besonders typisch für G.s gemeindepädagogisches
Konzept. Es bleibt - wie bei dem Taufexperten G. nicht
verwunderlich - eng fixiert auf die Taufe und das unmittelbare
kirchliche Handlungsfeld und Handeln; entsprechend bleibt die
Familie als Ort religiöser Früherziehung ausgespart, bzw. kommt
nur taufbezogen ins Blickfeld. Realistisch schildert G. „die heutige
Taufvergessenheit", die Tendenz zur „Taufnegierung", die
„geringe Bedeutung der Taufe im Gesamtleben der Gemeinde"
(49). ihre „marginale Rolle im Alltags- und Wertbewußtsein der
meisten Protestanten" (52). um dann scheinbar unbeeindruckt
von diesem gesellschaftlichen und gemeindlichen Befund, der -
was für den gesamten Band positiv hervorzuheben ist - die Lage
in den neuen Bundesländern kundig mit einbezogen hat. seine
gemeindepädagogischen Hoffnungen auf eine Änderung der
gegenwärtigen Taufpraxis zu setzen. Die drei von G. referierten
„weiterführende(n). praktische(n) Ansätze zur Bildung im
Umfeld der l aufe" enthalten sowohl tauftheologisch wie taufpraktisch
wertvolle und bemerkenswerte Anregungen, denen
man nur allzugerne größtmögliche Beachtung im gemeindlichen
Leben wünscht. Aber reicht dieser sakramental tauffixierte
Ansatz mit seinen geringen genuin gemeindepädagogischen
Anteilen aus. um der „Kommunikation des Evangeliums" in
unserer säkular-pluralistischen Welt über die kirchliche Kerngemeinde
hinaus grenzüberschreitende attraktive Wirksamkeit und
Wirkkraft zu erschließen? Das ist die mich ernsthaft bewegende
grundsätzliche Anfrage an den vorliegenden gemeindepädagogischen
Entwurf, die sich im vorletzten Kapitel noch einmal konzentriert
und fokussiert.

Dieses 10. Kapitel, ergänzt durch die abschließenden Ausführungen
zur „Mitarbeit als Dienst", erklärt „den Gottesdienst
als vorzüglichen Ort der Integration der verschiedenen gemein-
depädagogischen Bemühungen" (326). Wie gehabt werden
dazu zunächst wieder die „Probleme heutiger gottesdienstlicher
Praxis artikuliert" (327ff.). Ihnen will G. begegnen mit dem
paulinisch-biblischen Konzept des „vernünftigen Gottesdienstes
", ohne daß darüber „die Bedeutung der traditionellen Gottesdienste
" gering geschätzt werden dürfe. Dies soll dadurch
erreicht werden, daß „das in ihnen verborgene gemeindepädagogische
Potential" aufgedeckt wird, was im Umkehrschluß
dazu führt, daß „gemeindepädagogische Reflexion, die sich der
Integrationsproblematik stellt", ihre „liturgische Dimension"
entdeckt (332f.).

Das ist zweifelsohne eine bereichernde Perspektivierung der gemeindepädagogischen
Diskussion, die durch ein schönes. R. Hoenen nachempfundenes
Beispiel von ..Rüstzeiten in einer Gemeinde" erhellend konkretisiert
wird. Für G. wird dieses Beispiel zum deutliehen Beleg dafür. ..daß gemeindepädagogische
Handlungen und Kult untrennbar miteinander verbunden
sind". Insofern ist - und hier schlagt G.s .Liturgenherz' laut und vernehmlich
- ..die gesamte Rüstzeit... in biblischer Perspektive ein Gottesdienst
". Durch solche .Panliturgisicrung' erhalten alle von G. behandelten
..gemeindepädagogischen Praxisfelder eine neue Ausrichtung", durch die
„die traditionellen Versäulungen der Gemeindearbeit überwunden" werden
(335).

Nicht das Pädagogische oder Religionspädagogische macht
hier das Verbindende. Integrierende und letztlich auch Dominierende
der „Gemeindepädagogik" aus, sondern ein weit gefaßtes
.Liturgisch-Gottesdienstliches', das der verbal gedanklichen
Kommunikation des Gottesdienstes tun geringe Bedeutung
und Kraft zuerkennt. Angesichts der deprimierenden Wirkungsgeschichte
unserer jahrhundertealten .Predigtkultur' ist
das sicher versländlich und macht das hier angeregte und angestrebte
Bündnis von Liturgik und Pädagogik zu einem
verlockenden Modell oder - m.E. besser und richtiger - einem
notwendigen Korrektiv gemeindepädagogischen Nachdenkens,
das allein schon die Beschäftigung mit dieser liturgisch profilierten
„Gemeindepädagogik" lohnt. Daß darüber das pädagogische
Proprium und Eigenprofil von Gemeindepädagogik im
Konzert der verschiedenen kirchlichen Aufgaben- und Handlungsdimensionen
verloren zu gehen droht, ist die Gefahr, die
diesem gemeindeliturgischcn Ansät/ innewohnt. Dessen ungeachtet
ist die Durchdringung der „Gemeindepädagogik" mit
sakralem und liturgischem Gehalt und entsprechender Gestalt
ein Gewinn für die gemeindepädagogische Diskussion, und
deshalb kann man dem Buch nur möglichst viele nachdenkliche
Leser wünschen, denen über seiner Lektüre die Überzeugung
von der gemeindepädagogischen Wirkkraft des .Sakramental-
Liturgischen', des „vernünftigen Gottesdienstes" in unserer säkularen
und pluralen Welt und Gesellschaft erschlossen wird.

Bamberg Rainer Lachmann

Koerrenz, Ralf: Ökumenisches Lernen. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus 1994. 228 S. 8«. Kart. DM 78.-. ISBN 3-
579-01754-3.

Der von Ralf Koerrenz vorgelegten Bonner Dissertation geht es
um die Theoriefähigkeit der Rede vom ökumenischen Lernen
(ö.L.): In kritischer Aufnahme und Fortführung der Diskussion
zum ö.L. - vorwiegend in der evangelischen Religionspädagogik
- sucht K., eine Theorie ö.L.s zu begründen und zu skizzieren
. Er tut dies im Kontext von Theologie. Religionspädagogik