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Ausgabe:

1995

Spalte:

569-571

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Lohmeier, Fritz

Titel/Untertitel:

Konflikte um den rechten Glauben 1995

Rezensent:

Marquardt, Manfred

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 6

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sollen. Diese Art von Holismus aber widerspricht an sich K.s
systematischem Programm (z.B. 27 und 220); und zwar auch
dann, wenn sie auf der anderen Seite die „Vision einer neuen
Welt" auf der Basis der Vorstellung von der Wirklichkeit als
"one single web without any boundaries", als "an unbroken
bond and continuum" stark macht (2191). Genau dieses methodische
Verschleifen von Differenzen aber hat nicht nur sachliche
Prämissen im alles andere als klaren Spiritualitätsbegriff als
des Rahmenbegriffs. Angesichts von K.s systematischer Kraft
könnte diese Unklarheit auch selbst zu ihrem systematischen
Programm gehören, das dann eben doch Differenzen „universalistisch
" (s.o.) verschleift.

Abgesehen davon bleibt festzuhalten: K.s Plädoyer für die
Notwendigkeit einer unserer Zeit entsprechenden Spiritualität
von "crosscultural and interreligious" Art verbindet sich nicht
nur mit dem Insistieren auf der Notwendigkeit, dabei aufmerksam
auf die Geschlechterdifierenz zu sein (231). Und dem entspricht
selbstverständlich eine neue Gestalt von "Religious Stu-
dies". Sie wendet sich - ähnlich wie andere auch - darüber hinaus
gegen eine feministische Tendenz zur Überstrapazierung
der "otherness" gegenüber der "equality with men" (223) und
zur Reduktion aller Übel auf das des Patriarchats, wie sie nach
K. z.B. ablesbar ist am Programm ...postpalriarchaler' Spiritualität
" (227). Dem entspricht, daß sie nach ihrer sympathetischen
und zugleich kritischen Präsentation feministischer Stimmen
mit der Forderung schließt: "But women's vision has to expand
to include other visions too. What is often a monologue of femi-
nist voices has to beeome a dialogue" (232).

Soweit ich sehe, gibt es für diesen feministischen Dialog mit
anderen Stimmen nicht erst seit heute mannigfache Ansätze.
Erfolgreich und angemessen wird er nur geführt werden können
, wenn man außerfeministisch auch theologisch endlich
bereit ist. auf wichtige Grundanliegen der feministischen Stimmen
zu hören, der feministischen Theologie insbesondere, die
durchaus nicht nur in dem von K. gewählten systematischen
Referenzrahmen zu thematisieren ist.

Warum eigentlich sind wir jedenfalls ..akademisch" ausgerechnet
in Deutschland, in dem der Nationalsozialismus u.a.
auch die kritische Frauenbewegung (im Unterschied zur konservativen
Mütterlichkeitsbewegung) unterband, von einem
entsprechenden Dialog, der ja auf alles andere als ein langweiliges
...la-ja"' hinauslaufen muß. im allgemeinen noch meilenweit
entfernt?

Tübingen J. Christine Janowski

Lohmeier. Fritz: Konflikte um den rechten (Mauben. Warum
und worüber wird gestritten? Essen: Die blaue Eule 1993.
303 S. 8°. Kart. DN168.-. ISBN 3-89206-542-X.

Der Vf. dieses verständlich und anschaulich geschriebenen Buches
äußert sich nicht als Theologe, wohl aber als ..ganzheitlieh
Glaubender", der berufliche Kompetenz und persönliches Interesse
miteinander verbindet. Nach leitenden Tätigkeiten in
einem Institut für Verbrauchsforschung und einer Werbeagentur
war er von 1973 bis zu seiner Emeritierung Professor im
Fachbereich Wirtschaftsw issenschaften (Universität Paderborn)
mit den Schwerpunkten Marketing und Kreativität. Zu den Auslösern
dieser Publikation äußert er sich selbst: „Glaubensängste
und -konflikte" hatten den „kirchlichen Insider" bedrängt und
ihn „motiviert, die Probleme zu ergründen", um damit anderen
den Weg in die „Freiheit zum Denken. Irren und Vertrauen" zu
/eigen (296). Das Buch hat neben dem biographischen Aspekt
zwei wesentliche Bestimmungen: Es will Glaubenskonflikte
erklären und mit Hilfe der gewonnenen Erkenntnisse aufklären
(28).

Der Weg zur Klärung der Ursachen für das „peinliche und
brisante Paradox", daß eine „Botschaft, die frei und froh machen
will", über „Glaubensprozesse in Leid und Not" mündet,
führt nach L. „in die menschliche Innenwelt" (7). Von den vierzehn
Kapiteln des Buches gehören darum die ersten fünf ( =
I.Teil) der Analyse der „Gotteswelt im Menschen" (15-145).
die Teile zwei und drei beschreiben den „menschlich gestalteten
Glauben" (146 -196) und das „menschlich gestaltete Jesusbild"
(197-236). während der letzte Teil sieh dem „Glauben aus
sozialem Umfeld" widmet (237-291). Nicht nur. aber vor allem
im ersten Teil will der Vf. religiöse Glaubensvollzüge als
menschliche Verhaltensvollzüge unter Einsatz verhallenswissenschaftlicher
Betrachtungsweisen hinsichtlich ihrer Grundlagen
und Entstehungsweisen, Strukturen und Funktionen, sozialen
Aspekte und Auswirkungen untersuchen, um mit einer -
angeblich ergebnisoffenen - Analyse (27) eine „ermutigende
Perspektive" aus den Abwehrkämpfen um den Glauben zu
eröffnen (52) und das Gegenbild des ..ganzheitlieh Glaubenden
" eindrücklich vor Augen zu malen.

Aus Angst um den Bestand der Kirche, ihre Glaubenstradition
und ihre gesellschaftliche Relevanz, erwachsen angesichts
des modernen Bedrohungspotentials aus Wissenschaft und gewandeltem
Weltbewußtsein vielseitige Abwehrmechanismen,
die sich - scheinbar widersprüchlich - als Abwehrgefechte.
Leugnung oder Adaption manifestieren. Erstaunliche „Kraltakte
" zur Bewahrung des Überlieferten zeigen, ein wie „gewaltiges
Energiepotential... sieh zum Schutz religiöser Positionen
mobilisieren läßt", wenn ihre Vertreter sich bedroht fühlen und
ihren Anspruch. „Vertreter der Wahrheit zu sein", gefährdet
sehen (39f). Den kirchlichen Strategien kommt das Bedürfnis
der Gläubigen nach „kognitiver Herrschaft" (56, 71 ff) und
„kognitiver Sicherheit" (75ff) entgegen, die durch ..Systeme der
Informationsverarbeitung" mit Tendenz, zur Selbsterhaltung
befriedigt werden und sowohl „Kampfbereitschaft bei auftretenden
Glaubensdiskrepanzen" als auch „Strategien der Immunisierung
und Abwehr" aus sich heraussetzen.

Der Vf. kommt bei seiner Schilderung der für die Glaubensüberlieferung
, die Interpretation und Aneignung ihrer Inhalte
wichtigen sozialen, psychischen und erkenntnistheoretischen
Vorgänge leider ohne Generalisierungen und Vereinseitigungen
nicht aus. Belege für angeblieh Typisches werden überw iegend
einer betont konservativen, meist in der römisch-katholischen
Kirche anzutreffenden Gestalt deutlicher Lehrüberlieferung entnommen
, die weder für diese Kirche, geschweige denn für andere
Kirchen und Gemeinden schlechthin charakteristisch sind.
Werden schon die Zitate aus theologischen Werken nur selten
in ihrem Kontext gewürdigt, so ist die Verwendung der fleißig
gesammelten und ins Feld geführten Bibelzitate in vielen Fällen
willkürlich: Sie dienen dem Autor meist als dicta probantia für
eine ohne sie gewonnene Position - sei es /um Nachweis der
Kritikwürdigkeit christlicher Lehrinhalte, sei es zur Unterstützung
des eigenen Entwurfs von „ganzheitlichem Glauben", der
sieh stets für Neues offen zeigt. Fragt man nach den Inhalten
und dem Wirklichkeitsbezug des Glaubens, so muß man sich
vom Autor belehren lassen, daß der Glaube in der Vielfalt seiner
Vollzugsweisen und Erscheinungsformen doch nur das Produkt
von Denkvorgängen der Gläubigen ist; ..was ein Gläubiger
glaubt, .existiert" originär nirgendwo anders als in der Innenwelt
des einzelnen Trägers" (292). Beim Glaubensgut handelt
es sich nur um „kognitive Gebilde", ihnen entspricht keine Realität
außerhalb der gläubigen Individuen. Ontische und noeti-
sche Kategorien geraten (unbemerkt?) durcheinander, wenn lapidar
behauptet wird: „Eine wirklichere Wirklichkeit als die.
die im individuellen Bewußtsein prozessual auftritt, läßt sich
nicht ausmachen." (139) Zwar weiß der Autor, daß sich auch
für die empirischen Wissenschaften die Wirklichkeit ..immer
nur im Subjekt und seinem Erkenntnisvorgang darstellt" (ebd.).