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Ausgabe:

1995

Spalte:

37-38

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Valerio, Karolina de

Titel/Untertitel:

Altes Testament und Judentum im Frühwerk Rudolf Bultmanns 1995

Rezensent:

Lohse, Eduard

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 1

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11,19). Um Sündenvergebung geht es ebenso in Gleichnisreden ner alter Bund" (100). Das antike Judentum wird - wiederum
(Lk 18 9-14- 15 11-32- Mt 18 23-35- Lk 7 41-43) und im Vater- von Paulus aus betrachtet - als Gesetzesfrommigkeit beurteilt,
unser, wobei die Vergebungsbitte 'eschatologisch interpretiert so „daß die Juden zur Zeit Jesu als Beispiele für falsches Verwird
. Als historisches Jesuswort gilt auch das Logion von der halten gegenüber dem Gesetz und damit gegenüber Gott die-
Sünde wider den Heiligen Geist (Mk 3.28-30), nicht weniger nen" (110). In dieser Sicht folgt Bultmann weithin den Arbeiten
das Lösegeldwort (Mk 10.45) und das Becherwort (Mk 14,24). neutestamentlicher Gelehrter wie Emil Schurer und W.lhelm
Letztere handeln von der stellvertretenden Lebenshingabe des Bousset, deren Bewertung er in allen wesentlichen Punkten teilt
Menschensohncs als Lösegeld und Schuldopfer für die Vielen. und an der er auch später festgehalten hat.

Im „Epilog" (293) stellt der Vf. abschließend fest, das in den Doch diese Beschreibung darf nicht in fälschlicher Weise
Evangelien beschriebene Thema Sündenvergebung sei „genuin mißdeutet werden, sondern sie will d.fferenz.ert gewertet sein,
jesuanisch" und könne „weder vom Judentum noch von der Bultmann predigt auch über alttestamentl.che Texte und legt sie
Urgemeinde hergeleitet werden". Das wird schlicht behauptet in christlichem Verständnis aus. Gunkels Studien haben ihm die
und nicht im einzelnen exegetisch nachgewiesen. Hier bleiben Augen für die Schönheit poetischer Texte und die Kraft prophe-
Fragen. Der Vf muß zu der Auskunft flüchten, der „genuin tischer Verkündigung geöffnet. Und mit jüdischen M.tstuden-
jesuanische Geist" sei zu Lebzeiten von seinen Jüngern „nicht ten und Kollegen hat er teilweise enge Freundschaft gehalten,
ganz begriffen" worden (ebd.). Das Gemeinsame und das Be- so daß von antijüdischer Einstellung nicht d.e Rede sein kann,
sondere der Sündenvergebung Jesu gegenüber Altem Testa- Im sog. Dritten Reich ist Bultmann mit Nachdruck dafür emge-
ment/iudentum und Urgemeinde müßte sorgfältig herausgear- treten, daß die Christenheit am Alten Testament testzuhalten
beitet werden. Selbst wenn man mit dem Vf. - gegen alle in der und einem sog. Arierparagraphen innerhalb der Kirche entLiteratur
immer wieder geäußerten Bedenken - an der Histori- schieden zu widersprechen hat.

zität der herangezogenen synoptischen Überlieferungsstücke Bestimmend für Bultmanns theologisches Urteil blieben je-

festhat, bleibt zumindest die Frage, ob wirklich die Schlußfol- doch die Auffassungen, wie sie liberale Theologie entwickelt

gerung gerechtfertigt ist. die Sündenvergebung sei der „Kern" hatte: das Alte Testament als Vorstufe des Neuen, das d.e Legi-

des gesamten Wirkens Jesu (283). Das ist eine hermeneutische timation als Wort Gottes nur von Chr.stus her empfangen kann

Engführung, die überaus problematisch ist. (375). Erst vom Glauben her gewinnt das Alte Testament se.ne

spezifische Bedeutung für die christliche Kirche: „Es ist not-

Greifswald Günier Haufe wendiger Verstehenshintergrund und Vorbereitung des Evangeliums
, insofern es den fordernden Gotteswillen, das Sein unter
dem Gesetz radikal zum Ausdruck bringt" (383). Da der

Valerio, Karolina De- Altes Testament und Judentum im Mensch dieser Forderung gegenüber jedoch scheitert und schei-

Frühwerk Rudolf Bultmanns. Berlin-New York: de Gruyter tern muß, trägt das Alte Testament zugleich den Charakter der

1994. XIV 454 S gr 8° = Beihefte zur Zeitschrift für die neu- Verheißung: „In Jesus Christus als dem Ende der Volks- und

testamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kir- Weltgeschichte, als der eschatolog.schen Tat Gottes kommt der

che, 71 Lw DM 172 - ISBN 3-11-014201-5. Glaube zu seiner Erfüllung." (ebd.) Die Vtn. durfte zutreffend

urteilen, wenn sie am Ende feststellt, daß Bultmann weder das

Diese mit Fleiß und Umsicht erarbeitete Erlanger Dissertation, Alte Testament abschaffen noch das Judentum diskreditieren

die durch O. Merk angeregt und betreut wurde, gilt einem The- wollte, daß er sich aber von traditionellen, dogmat.schen Vor-

ma, das in der Diskussion der neueren Theologiegeschichte ver- gaben nicht freimachen konnte (380).

schiedentlich angesprochen, aber unterschiedlich beurteilt wor- Die Vfn. konzentriert ihre Ausführungen in bescheidener Zu-
den ist. Mehrere vorangegangene Untersuchungen haben den rückhaltung und sympathischer Behutsamkeit auf die Erhebung
inneren Zusammenhang zwischen dem früheren und dem späte- dessen, was Bultmann in seinem Frühwerk über Altes Testaren
Werk Rudolf Bultmanns erhellt. Doch wie dessen Verstand- ment und Judentum gedacht und geschrieben hat. Nur gclegent-
nis des Alten Testaments zu werten ist. ist bisher nicht hinläng- lieh zeigt sie auf, wo kritische Fragen anzumerken und zu
lich geklärt worden Der gelegentlich erhobene Vorwurf, Altes bedenken sind: etwa zur durchgehend negativen Beurteilung
Testament und Judentum seien durch Bultmann abgewertet der Gesetzesfrömmigkeit, zur Einordnung des Alten Testa-
w»rden, ja es liege bei ihm ein gewisser Antijudaismus vor, ments als Vorstufe des Evangel.ums oder zur Darstellung judi-
st"tzt sich nur auf einzelne Arbeiten und Äußerungen, ohne scher Ethik und Lebensweise. Indem sie sich streng an die Aul-
deren größere Zusammenhänge berücksichtigt zu haben. Um gäbe gehalten hat, die von Bultmann entwickelte Darstellung
e'n genaueres Bild gewinnen zu können, hat die Vfn. das ge- aus dem größeren Zusammenhang seines eigenen Lebenswer-
s«nte Frühwerk Bultmanns. das sie bis zum Beginn der zwanzi- kes und der dieses bestimmenden theologischen Motive ver-
§er Jahre rechnet in vollständiger Breite studiert und auch im ständlich zu machen, hat sie zuverlässige Voraussetzungen für
Nachlaß vorhandene Predigten, Briefe und Notizen herangezo- die weitere Diskussion geschaffen. Alle künftige Bemühung.
8en- Erst auf Grund dieser sorgfältigen Erhebungen wird es sich mit Bultmanns Betrachtung des Alten Testaments und des
möglich, eine wirklich zuverlässige Darstellung zu bieten. Judentums auseinanderzusetzen, wird durch die von der Vfn.

Die von der Vfn vorgelegte Untersuchung bestätigt die Ein- vorgelegte Sammlung und Sichtung des einschlägigen Maten-

S|cht, daß Bultmanns Denken und Wirken sich von Anfang bis als dazu angehalten, von pauschalen Bewertungen Abstand zu

Ende in großer Stetigkeit und sachlicher Konsequenz ausgebil- nehmen und sich um ein faires und gerechtes Urteil zu be-

det und entfaltet haben. Die Vfn. geht in ihren Ausführungen in mühen,
chronologischer Folge vor und kann dabei zeigen, in wie hohem

Maße der junge Bultmann in seiner Auffassung des Alten Göttingen EduardLohse
Testaments durch seine akademischen Lehrer - allen voran

Hermann Gunkel -, aber auch seine Freunde und Kollegen - , „ . ,

w,e Emil Balla. Walter Baumgartner und Gustav Hölscher - Winter, Bruce W. and Andrew D. Clarke [Ed. : The Book of

^stimmt worden ist. Für ihn komm, das Alte Testament unter Acts in Its First Century Sett.ng. Volume I: The Book of

dfr Perspektive paulinischer Denkmuster in den Blick: „als Acts in Its Ancien. Literary Sett.ng Grand Rap.ds. Mich.:

Verheißung, als heilige Schrift. Norm und Gesetz, als zeitliches Eerdmans; Carl.sle: Paternoster 1993 XII, 479 S. gr. 8«.

und heilsgeschichÜiches Vorher und gleichzeitig als unterlege- ISBN 0-8028-2433-1 u. 0-85364-563-9.