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Ausgabe:

1995

Spalte:

550-551

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Titel/Untertitel:

Carl Philipp Emanuel Bach und die europäische Musikkultur des mittleren 18. Jahrhunderts 1995

Rezensent:

Petzoldt, Martin

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549

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 6

550

Hürth. Elisabeth: Der literarische Jesus. Studien zum Jesusroman
. Hildesheim-Zürich-New York: Olms 1993. VII, 231 S.
80 = Theologische Texte und Studien. 3. Kart. DM 49,80.
ISBN 3-487-09764-8.

Der zweite, hier veröffentlichte Teil einer Dissertation gilt der
Untersuchung von Struktur. Geschichte und Leistung der
deutschsprachigen Jesusroman-Literatur des Zeitraums von
1880 bis 1945 „vordem Hintergrund des Weges von der Leben-
Jesu-Forschung über die formgeschichtliche Schule zur Keryg-
ma-Theologie." Die Autorin befragt die Jesusromane nach ..den
Möglichkeiten und Grenzen" dieser Gattung „im Spiegel des
Verhältnisses von Literatur und Theologie" (5).

Da die Wandlungen und Modifikationen des historisch kritischen
Jesusbildes im 19. Jh. Ausgangspunkt und Zentrum einer
vorwiegend theologisch geführten Diskussion bilden, bleiben -
bis auf wenige Ausnahmen - literarische Wertungen der behandelten
Werke weitgehend unberücksichtigt. Zwar handelt es
sich meistens um heute zu Recht vergessene, künstlerisch unbedeutende
Romane, doch können Werke der Belletristik nicht
ausschließlich als Korrektive formgeschichtlicher Exegesen
gelesen werden, auch wenn sich Leben-Jesu-„Forscher" oft auf
das „Territorium des .Dichters'" (154) begeben haben - die
Bewertung der ästhetischen Qualität der Romane dürfte dem
Leser einer Studie zum „literarischen Jesus" nicht völlig vorenthalten
bleiben.

Behandelt w eiden die unterschiedlichen Typen der Jesusdarstellungen
: Nacherzählung biblischer Geschichte; Darstellung
des „Menschen" Jesus gegen die dogmatische Christusfigur; die
geschichtliche Person mit ihrer „charakteristischen Botschalt";
literarische „Transfigurationen". Übertragungen eines Leben-
Jesu-Schemas auf moderne Protagonisten (wie z.B. in Gerhard
Hauptmanns „Der Narr in Christo Emanuel Quint", 1910).
Doch schon Albert Schweitzer verwies kritisch auf jene „Halbwissenschalt
", die weder gute Literatur noch richtige Historie
hervorbrachte, und zu Recht erinnert die Autorin an die hervorragenden
Beispiele neuerer Untersuchungen von Jens. Küng.
Kuschel u.a.. in denen eine „vereinnahmende Koalition von
Theologie und Literatur zurückgewiesen" wird, da Literatur
nicht Glaubensinhalte zu „veranschaulichen" habe, sondern der
Theologie als gleichberechtigter Gesprächspartner gegenübertreten
sollte. Daß das im beschriebenen Zeitraum nur selten der
Fall war. belegt die Untersuchung in ihren vier Teilen:

1. „Der Reich-Gottes-Prediger": Zum sozialen Jesusroman
Max Kretzers (1895) oder Felix Hollaenders (1891), Jesus als
..Apostel" wider die Kirche mit Sozialismusidealen oder der
Abkehr davon im Gefolge der Philosophie Nietzsches bzw. der
„Edelanarchie" Stirnerscher Machart - Jesus als gescheiterter
„Heilsbringer".

2. „Der neue Heiland" in der Romanliteratur um die Jahrhundertwende
mit dem „Evangelium der Schönheit", einer neuen
Religion, die spiritistisch-okkulte oder politisch-völkische Züge
aufwies: von „germanischen Geschmacklosigkeiten" und „Heimatkunst
am unrechten Ort" sprach Albert Schweitzer mit Blick
auf Gustav Frenssens „Hilligenlei" (1905). Diese und andere
Beispiele erbaulicher Tendenzkunst werden nur kurz, dargestellt
.

3. In diesem Teil erfährt Hauptmanns Roman „Gottsucher
und Narren in Christo" eine umfänglichere Würdigung, die er
verdient - Quint von der Nachfolge zur Christusidentifikation.
Solche Seelenvagabunden und Wandernarren traten besonders
häufig als ..neue Menschen" mit Pathos im expressionsilischcn
Jesusroman auf (Y. Göll, Brust, Becher; auch bei Carl Hauptmann
oder Wassermann).

4. Problematisch erscheint der Titel des vierten Teils: „Der
Jesus der Literaten", in dem literarische Transfigurationen im
historischen und psychologischen Leben-Jesu-Roman nach

1920 untersucht werden (warum heißen Schriftsteller nun Literaten
?). Im Ausblick schließlich werden die Tendenzen der
Jesusromane nach 1945 kurz angedeutet.

Dresden Klaus Stiebert

Marx, Hans Joachim [Hrsg.]: Carl Philipp Emanuel Bach
und die europäische Musikkultur des mittleren 18. Jahrhunderts
. Bericht über das Internationale Symposium der
Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissensehaften Hamburg
29. September - 2. Oktober 1988. Göttingen: Vandenhoeck
& Ruprecht 1990. 565 S. m. 24 Abb. u. zahlr. Notenbeispielen
gr.8° = Veröffentlichungen der Joachim-Jungius-Gesellschaft
der Wissenschaften. 62. geb. DM 140,-.

Dieser großzügig ausgestattete Band bringt die Beiträge des
genannten Symposiums heraus, das sich zur Aufgabe gemacht
hatte, „das kompositorische Lebenswerk Carl Philipp Emanuels
(= CPEB). des .Hamburger' Bach, aus dem historischen Kontext
seinerzeit heraus zu verstehen und zu interpretieren" (5),
sowie zusätzlich einige wichtige Forschungsbeiträge und
erscheint als „Veröffentlichung der Joachim Jungius-Gesell-
schaft der Wissenschaften Hamburg Nr. 62". Für die Leser
eines theologischen Rezensionsorgans mögen deshalb nicht alle
Beiträge gleichermaßen von Interesse sein. Da aber erfreulicherweise
die Musikwissenschaft, insbesondere die Musikgeschichte
, auch in diesem Band sich interdisziplinär ausrichtet,
linden sich nicht nur in den vom Thema her gekennzeichneten
Beiträgen wichtige geistes-, theologiegeschichtliche und theologische
Bezüge, die wenigstens mitgeteilt werden müssen,
sondern auch darüberhinaus in thematisch musikwissenschaftlichen
Zusammenhängen.

In sechs Unterabschnitten gegliedert bietet der Hg. die Aufsätze
dar. Nach der Eröffnungsansprache des Präsidenten der
Jungius-Gesellschaft Gerhard Seifert (I 1-24) und einem Test
Vortrag von Stefan Kunze „CPEBach - Zeit und Werk" (15-38)
steht im ersten Unterabschnitt „Die Musik in der europäischen
Kultur des mittleren 18. Jahrhunderts" der interessante Beitrag
des Hamburger Historikers Franklin Kopitzsch „Die Hamburger
Autklärung zur Zeit „CPEBs" (79-91). Für den Theologie-
historiker ergänzen sich sinnvoll dieser Aufsatz und die für
Hamburger Geschichte des 18. Jh.s wichtigen Arbeiten in der
Publikation „Verspätete Orthodoxie. Über Johann Melchior
Goeze (1717-1786). hrsg. von H. Reinitzer und W. Spam. Wol-
fenbütteler Forschungen, Bd. 45, Wolfenbüttel 1989". -
Gudrun Busch stellt im zweiten Unterabschnitt „CPEB in seiner
Zeit" unter dem Titel „Wirkung in der Nähe: CPEBs Braunschweiger
und Wolfenbiitteler Freunde" (133-158) einen Ausschnitt
aus ihren Forschungen zur Musik in Lessings Freundeskreis
und am Collegium Carolinum in Braunschweig zur Diskussion
. Im vierten Unterabschnitt „Gattung und Stil im Vokalwerk
Bachs" sind „Bemerkungen zu den Oratorien CPEBs" von
Ludwig Pinscher (309-332) zu lesen. Hier geht es u.a. auch um
die oft vernachlässigte theologische Frage nach den Texten und
ihren Zusammenhängen. Für Hymnologen dürfte von besonderem
Interesse der Artikel von Ada Kadelbach sein „Die Kirchenliedkompositionen
C. Ph. E. Bachs in Choralbüchern seinerzeit
" (389-402). Denn mit nachzuweisenden 45 Liedschöpfungen
wird das große Engagement des Zweitältesten Bachsohnes
für das Kirchenlied, das bisher nicht für möglich gehalten
wurde, eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Darüber hinaus enthüllen
viele der nicht genannten Beiträge kirchen-, theologie-
und philosophiegeschichtliche Einzelheiten, die die Lektüre
dieses Bandes nicht nur für den Musikwissenschaftler interessant
werden lassen. Insgesamt eine bewundernswerte Leistung,
die der Hg. sowohl für das arrangierte Symposium als auch für