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Ausgabe:

1995

Spalte:

544-545

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Eccleasia Reformata 1995

Rezensent:

Moeller, Bernd

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 6

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schwierigste und wohl auch auf absehbare Zeit unüberwindliche
Problem zwischen den Kirchen darstellt.

H. nimmt quasi Zwingiis Entwicklung in seinen ekklesiologi-
schen Anschauungen als Brechstange (sit venia verbo) für ökumenisches
Procedere. Er weist schon in der Einleitung (15) darauf
hin: „Niemand hat es bis jetzt unternommen. Amt und
Ekklesiologie für die evangelisch-reformierte Schweiz in ihrer
Entwicklung und Geschichte darzustellen. Die mit diesem Band
beginnende Studie möchte dazu einen Beitrag leisten. Niemand
- und dies ist nun wohl noch viel erstaunlicher - hat es bisher
unternommen, Huldrych Zwingiis Amtsverständnis im Rahmen
der zürcherischen Reformation und seiner Ekklesiologie umfassender
darzustellen."

Im großen und ganzen hält sich der Vf. an Zwingiis Hauptschriften
. Exegetica und Korrespondenzen des Reformators läßt
er bewußt aus und hofft auf weitere Forschungen, um auch hier
ökumenisch etwas zu bewegen.

Das Buch ist formal fleißig gearbeitet. Die Fülle der die Thematik
erhellenden Zitate aus Zwingiis Schriften und die sehr
intensive Befragung der Sekundärliteratur (G. W. Locher, U.
Gäbler, J. H. Yoder, P. H. Huber u.a.). in diesem Zusammenhang
auch ein ausführlicher Anmerkungsapparat (227-273!)
ermöglichen jegliche Weiterarbeit an der Hauptthese H.s. Es ist
nicht von ungefähr, daß auch die letzte Anmerkung das Anliegen
des Vf.s kennzeichnet (273): „Eine Gruppe von Theologen
und Historikern ist damit beschäftigt, in ökumenischem Sinn
und Geist die schweizerische Kirchengeschichte neu zu schreiben
. Die Früchte dieser Arbeit sollen etwa im Herbst 1994 veröffentlicht
werden. Dieses Projekt geht auf eine Initiative von
Professor Lukas Vischer (Geneve) zurück und wurde durch die
Rede von Papst Johannes Paul II. in Kehrsatz |CH] (1984) lanciert
."

Der Vf. behandelt seinen Gegenstand in sechs sorgfältig untergliederten
Kapiteln. Seinem Grundanliegen entsprechend
geht er in der Darstellung bis ins 13. Jh. zurück und beachtet
den Zwingli vorgegebenen sozio-politischen und kirchlichtheologischen
Bezugsrahmen. (17-50) Ausgehend von B. Moel-
lers Arbeiten zu „Reichsstadt und Reformation" (17) erkennt H.
schon im Spätmittelalter zunehmende Laienbeteiligung bei
kirchlichen Stellenbesetzungen. „Hauptakteure sind vor allem
die Landesfürsten und die städtischen Obrigkeiten." (50) Die
letztgenannte Autorität entdeckt der Vf. später dann natürlich
auch in der Rollensituation bei der Besetzung kirchlicher Ämter
zur Zeit Zwingiis.

Im zweiten Kapitel schildert H. Werdegang und Amtsverständnis
des Priesters Huldrych Zwingli. (5 lff) Die Zeit vor seiner
Berufung nach Zürich im Jahre 1519 ist nur sehr kurz
gestreift, um so intensiver wird das Sozialgefüge in den ersten
Zürcher Jahren behandelt. „Entscheidend für Zwingiis Konzeption
schon in dieser frühen reformatorischen Zeit ist nun ebenfalls
der zukunftsträehtige Gedanke, das Christentum habe sich
der stadt-staatlichen Situation (Zürichs) anzupassen und die
Gläubigen der verantwortlichen Regierung zu gehorchen. Die
Idee vom .zurückdimensionierten Corpus christianum' ist also
beim Reformator schon in der ersten reformatorischen Phase
vorhanden." (73)

Die Formel vom „zurückdimensionierten Corpus christianum
" begegnet in dem vorliegendne Buch relativ häufig und
meint wohl soviel, daß Zwingli den mittelalterlichen Gedanken
des Corpus christianum nicht verlassen, sondern unter Korrektur
des hierarchischen Systems und Weiterbetonung einer
grundlegenden „Übereinstimmung von Bischofs- und Presbyteramt
" in Gestalt des „Bischof-Pfarramt(es)" (209) beibehalten
hat.

Das dritte Kapitel ist der reformatorischen Entwicklung im
Stadtstaat Zürich bis 1525 gewidmet. Die Schriften Zwingiis in
dieser Zeit und eine Dokumentation der die Reformation inaugurierenden
Disputationen geben ein lebendiges Bild von der
Entwicklung, die in Folgendem gipfelt: „Im Geschehen der
ersten Reformationszeit werden die Geistlichen aus dem römischen
Kirchenzusammenhang (Papst, Diözesanbischof) herausgerissen
oder reißen sich selber heraus, um mit den Gemeinden
(und der Obrigkeit) zusammenzuarbeiten: sie fügen sich also
nach und nach in das .reduzierte Corpus christianum' ein."
(121) Dabei wird Zwingli selbst allmählich seiner Funktion
nach zum Bischof-Pfarrer seiner kleinen Diözese.

Schriften Zwingiis und Vorgängen im Jahre 1525 schenkt H.
im vierten Kapitel besondere Aufmerksamkeit. Im Jahr „vieler
Kristallisationspunkte" (156) entstehen nicht nur die faktische
theologische Bildungsakademie der „Prophezei" am Großmünster
und das Ehegericht unter Mitbeteiligung von stadtstaatlicher
Obrigkeit und Bischof-Pfarrern, beobachtet werden kann
auch eine „Relativierung der Gemeindeautonomie" zugunsten
einer Mitwirkung der Obrigkeit (159), die sich Zwingli nur als
eine christliche denken kann.

Im fünften Kapitel wendet sich der Vf. für die Jahre 1526 bis
1531 dem kirchlichen Aufbau in Stadt und Landschaft Zürich
zu. Situationsschilderung und Zitation des Schrifteneorpus'
Zwingiis für die genannte Zeit geben ein plastisches Bild, das
folgendermaßen charakterisiert wird: „Im Rahmen der sichtbaren
Kirche (und des Gemeinwesens) übt ,die rechtmäßig eingesetzte
Obrigkeit' als .Gottes Vertreterin'... eine zentrale, ordnende
und fürsorgende (strafende) Aufgabe aus. An der Spitze
von Kirche und Gesellschaft hat aber .das Amt der Prophezei
und der Verkündigung' die erste Stelle inne. Es sei das ,aller-
notwendigste'... und dasjenige, das .den Vorrang hat'... Damit
ist der Primat des geistlichen Amtes festgeschrieben." (198)
Zwingli unterscheidet dabei nicht klar zwischen dem prophetischen
, apostolischen, bischöflichen oder pfarrerlichen Dienst
und Amt. Jede Amtsausübung hat der Verkündigung des Wortes
(iottes zu dienen. Da die weltliche Obrigkeit auch - etwa im
Aussprechen des Bannes - kirchliche Vollmachten bekommt,
ist sie buchstäblich direkt an der Kirchenleitung beteiligt.

Das Schlußkapitel gibt noch einmal ein Summarium der
„Ekklesiologie und Amtstheologie" des Reformators, auch im
Sinne einer „Inkulturation", die das Hineinwirken von Kirche in
die Gesellschaft signalisiert. Weitere Unterabschnitte enthalten
dazu Vergleichsmomente von Johannes Calvin bis Karl Barth.

Der Rez. kehrt zu dem eingangs zitierten Schlußsatz des
Buches zurück. H. möchte durch eine historisch-systematischökumenische
Studie in gewisser Weise ein Kontrastprogramm
vorschlagen. Er konstatiert: „Es gibt ökumenische Stimmen, die
heute davon abraten, kirchliche Übereinkünfte in Sachen Ekklesiologie
und Amtstheologie erreichen oder... umsetzen zu wollen
." (224) Die gegenteilige Auffassung H.s ist hinreichend
deutlich. Er könnte dadurch eine Lawine lostreten, die hoffentlich
niemanden unter sich begräbt, sondern theologisch und kirchenleitend
Verantwortliche neu an die Arbeit bringt.

Görlitz Joachim Rogge

Nijenhuis, W.: Ecclesia Reformata. Studies on the Reformation
. Vol. II. Leiden-New York-Köln: Brill 1994. XIII, 325 S.
gr.8o = Kerkhistorische Bijdragen, 16. Lw. Nlg 135.-. ISBN
90-04-09465-2.

Dieser Band folgt nach über zwei Jahrzehnten einer 1972 erschienenen
ersten Sammlung von Aufsätzen des niederländischen
Kirchenhistorikers (vgl. ThLZ 99, 1974, 1241'.). Es handelt
sich um insgesamt 12 Beiträge, von denen einer bisher
ungedruckt ist. Behandelt werden vor allem Fragen der niederländischen
Kirchengeschichte des späteren 16. und frühen 17.
Jh.s, wobei die Beziehungen zu England und Schottland in den