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Ausgabe:

1995

Spalte:

36-37

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Sung, Chong-Hyon

Titel/Untertitel:

Vergebung der Sünden 1995

Rezensent:

Haufe, Günter

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. I

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Danach widerlegt der Apostel durch die Analogie Christus-Paulus
in 3,4 alle „Zweifel an seiner Christuszugehörigkeit" und
rechtfertigt er seine Schwachheit zugleich als „eine durch das
Christusgeschehen legitimierte Seite seiner Existenz" (140).

Gipfelt die bisherige Untersuchung H.s in der Feststellung,
daß Paulus das Sich-seiner-Schwachheit-Rühmen (11,30;12,
5b.9b) - als Konsequenz aus dem Herrenwort in 12,9a - zur
Grundlage seiner „Narrenrede" gemacht hat, so folgt hieraus,
daß der Vf. im zweiten Teil seiner Dissertation sich der Untersuchung
des „traditionsgeschichtliche(n) und theologische(n)
Hintergrund(es)" der beiden wesentlichen Bestandteile dieser
Kernaussage zuwendet. Zunächst (§ 4) analysiert er den Wortgebrauch
des Begriffs „Sich rühmen". Dabei stellt er fest: Wahrend
in der Ablehnung jedweden Selbstruhms zwischen der alt-
testamentlich-jüdischen und der heidnischen Antike ein Konsens
besteht, kennt das Alte Testament auch ein in der Gottesbeziehung
(sowie dadurch zuteil gewordener Zuwendungen)
begründetes Rühmen von Menschen. Von besonderer Bedeutung
ist dabei Jer 9,22f: Hier begegnen nicht nur beide Aspekte
des Sich-Rühmens, wobei in letzterem „die Aufforderung zum
Gotteslob" mit anklingt (164), sondern diese zwei Verse stellen
für H. zudem den „Schlüssel" für das Sich-Rühmen des Apostels
wie für dessen Auseinandersetzung mit seinen Gegnern in
2Kor 10-12 dar. Nach IKor 1,26-31 - dem „Grundraster" für
alle weiteren paulinischen Aussagen vom Sich-Rühmen - wird
hier deutlich: Daß Paulus sich seiner Schwachheiten rühmt, erweist
sich auf dem Hintergrund von Jer 9,22f „als ein genialcharismatischer
Zug, der von rhetorischer Eleganz und theologischer
Virtuosität zeugt: einerseits stellt es eine ad hoc gebildete
Neuschöpfung des Apostels dar, die das übliche Sich-Rühmen
aufgrund der eigenen Stärken durch das Gegenteil parodiert
, und andererseits enthält es Anklänge an den traditionellen
Lobpreis göttlicher Kraft" (213f).

An zweiter Stelle (§ 5) fragt H. nach dem Verständnis von
..Kraft und Schwachheit" sowie nach der positiven Zuordnung
dieses Gegensatzpaares durch Paulus. Die Untersuchung dieser
beiden Begriffe - zunächst in der Theologie des Apostels, danach
in dessen Anthropologie und schließlich in seiner Verkündigung
- bringen den Vf. zu der Erkenntnis: Die Wirksamkeit
der Kraft Christi und die Schwachheit des Apostels sind zwar
ihrem Wesen nach gegensätzlich, doch der „kontradiktorische
Widerspruch" zwischen beiden wird von Paulus „durch eine
polare Unterscheidung des Kraftursprungs theologisch überwunden
" (297). So vermag dieser beides gleichzeitig zu sein:
schwach als - leidender - Mensch und Apostel, stark dagegen
durch Christus in der Wahrnehmung seines Verkündigungsauftrags
.

Die wichtigsten Ergebnisse seiner mit ebensoviel Umsicht
wie exegetischer Sorgfalt durchgeführten Einzelanalysen fügt
H. abschließend („Auslegung von 2Kor 12,1-10 im Kontext der
Kapitel 10-13") zu einem stimmigen „Gesamtbild" zusammen.
In dem Maße, in dem es dem Vf. hier gelingt, die von ihm
gewonnenen Einsichten in einer durchgehenden Texterklärung
einander schlüssig zuzuordnen, aber erhalten diese noch an
Durchschlagskraft. Das gilt insbesondere für die These, daß der
Gegensatz von Kraft und Schwachheit bei Paulus und seinen
Gegnern darin besteht, daß dieser für letztere ein „kontradiktorischer
", für den Apostel jedoch ein „polarer" ist.

Gegenüber dem Corpus der Arbeit fallen H.s Exkurs über die
Kontrahenten des Paulus in 2Kor 10-13 sowie seine (im Anhang
aufgeführten) „Gesichtspunkte zur Literarkritik im 2. Korinther-
brief' leider etwas ab. Läßt der Vf. in ersterem die religionsge-
schichtlichc Einordnung der paulinischen Gegner ziemlich offen,
so tritt er später für die literarische Einheitlichkeit des 2. Ko-
rintherbricfes ein, ohne auf Gegenargumente einzugehen.

Leipzig Werner Vogler

Sung, Chong-Hyon: Vergebung der Sünden. Jesu Praxis der
Sündenvergebung nach den Synoptikern und ihre Voraussetzungen
im Alten Testament und frühen Judentum. Tübingen:
Mohr 1994. XIV, 342 S. gr.8« = Wissenschaftliche Untersuchungen
zum Neuen Testament, 2. Reihe, 57. Kart. DM 98,-.
ISBN 3-16-146182-7.

Die vorliegende Arbeit des jetzt in Seoul lehrenden koreanischen
Neutestamentlers macht mit seiner von P. Stuhlmacher
betreuten und 1984 von der Tübinger Evangelisch-theologischen
Fakultät angenommenen Dissertation bekannt. Auf
Schritt und Tritt spürt man die Anstöße von Seiten der Tübinger
Lehrer. Ziel der Arbeit ist der Nachweis, daß der historische
Jesus nicht etwa nur einmal (Mk 2,5) Sünden vergeben hat, daß
die Sündenvergebung vielmehr „den Kern seines gesamten
Wirkens" bildete (283). Der Vf. ist mit der westlichen Evangelienkritik
sehr wohl vertraut, handhabt sie aber so zurückhaltend
, daß sein Vorgehen als „konservativ" bezeichnet werden
muß. Daran kann auch das vorangestellte wohlmeinende Plädoyer
des Doktorvaters nichts ändern.

Der Vf. holt weit aus. Teil A der Arbeit (1-81) geht dem Thema
„Sündenvergebung im Alten Testament" nach. Die Tendenz
der Darstellung ist eine doppelte. Einerseits grenzt sich der Vf.
von der in der neueren Literatur vorherrschenden Auffassung
ab, Sündenvergebung sei erst ein exilisch-nachexilisches Phänomen
. Andererseits ist er bemüht, „die Sache der Sündenvergebung
" (so öfter) in einen weiten Kontext zu stellen, so daß
sich ein erweitertes Textmaterial ergibt. Er setzt ein mit einer
terminologischen Untersuchung der beiden Verben jls=„verge-
ben" und rpk=„sühnen", macht als Hintergrund der Sündenvergebung
das Sinaiereignis und die Gotteserfahrung Israels in der
Geschichte geltend, interpretiert verschiedene metaphorische
Ausdrücke als frühe Zeugnisse für Sündenvergebung, ebenso
alttestamentliche Sündenbekenntnisse und priesterliche Sühnetexte
, die eschatologischen Vergebungsaussagen der davidisch
messianischen Überlieferung, Zeugnisse der nachexilischen
Sühnepraxis sowie der Weisheitsliteratur und des Rechtsdenkens
.

Teil B (82-183) behandelt „Sündenvergebung im frühen
Judentum". Ausgehend von der sozialen und wirtschaftlichen
Lage des palästinischen Judentums (sehr knapp!) werden die
thematischen Beiträge aus Jesus Sirach, der Apokalyptik, Qum-
ran, dem Achtzehnbittengebet, der rabbinischen Tradition und
der Septuaginta vorgeführt. Altes Testament und Judentum verbindet
die Gewißheit, daß Gott allein es ist, der - auf kultischem
und nichtkultischcm Wege - Sünden vergibt. Horizont
der Vergebung ist das Endgericht.

Teil C (183-297) kommt zum eigentlichen Thema: „Jesu
Sündenvergebung nach den synoptischen Evangelien". Um den
Ursprung der frühkirchlichen Vergebungspraxis im historischen
Leben Jesu aufzeigen zu können, grenzt sich der Vf. von den
überlieferungskritischen Positionen in den Monographien von
H. Thyen und P. Fiedler ab und rekonstruiert ein historisches
Gesamtbild, das an Deutlichkeil nichts zu wünschen übrig läßt.
Ausgangspunkt ist die Feststellung, daß Jesus schon durch die
Taufpraxis des Johannes sowohl mit dem Thema Sündenvergebung
als auch mit der Messias-Menschensohnankündigung
konfrontiert war. Für seine eigene Vergebenspraxis und -vollmacht
ist wichtig, daß der Vergebungszuspruch Mk 2,5.10 zum
alten Kern der Überlieferung gehört und keine nachträgliche
Erweiterung darstellt. Dasselbe gilt für den gleichen Zuspruch
Lk 7,48. In beiden Fällen ist Jesu Vollmacht in seiner Sendung
als messianischer Menschensohn begründet. Die Vergebung
Gottes durch Jesus vollzieht sich aber nicht nur in einzelnen
Worten, sondern ebenso in Jesu Gleichnishandlungen, d.h. in
seiner Mahlgcmeinschaft mit Zöllnern und Sündern (Mk 2,13-
17) bzw. in seiner „Freundschaft" mit ihnen (Lk 7,34/Mt