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Ausgabe:

1995

Spalte:

538-539

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Saarinen, Risto

Titel/Untertitel:

Weakness of the will in medieval thought 1995

Rezensent:

Kandler, Karl-Hermann

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 6

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Nachstehend seien die Aufsätze genannt: Salzhurg als Zentrum literarischen
Schaffens im 8. Jahrhundert (1-45): Lateinisch-christliche Kultur im
karolingischen Sachsen (46-86); Westliche Peregrinatio und Mission. Ihr
Zusammenhang mit den lander- und völkerkundlichen Kenntnissen des
frühen Mittelalters (87-132); Pirmin. Willihrord und Bonifatius. Ihre Bedeutung
für die Missionsgeschichte ihrer Zeit (133-177); Die Iren und Huropa
im frühen Mittelalter (178-204): Findan von Rheinau. Eine irische
peregrinatio im 9. Jahrhundert (205-252): Irische Genealogien aus St. Gallen
und ihr historischer Hintergrund (253-270); Cyrill und Methodius zwischen
Byzanz und Rom (271-326): Ermenrich von Passau, Gegner des
Methodius. Versuch eines Persönlichkeitsbildes (327-347); Methodius im
Reichenauer Verbrüderungsbuch (348-369). Ein Register heschließt den
förderlichen Band (377-384).

Rostock Gert Haendler

Pernoud. Reagine: Die Heiligen im Mittelalter. Frauen und
Männer, die ein Jahrtausend prägten. Mit einem Kapitel über
die deutschen Heiligen im Mittelalter von K. Herbers. Aus
dem Fian/. von S. A. Rott-Illfeld. München: Deutscher
Taschenbuch Verlag 1994. 459 S. 8» Karl. DM 19.90. ISBN
3-423-30441-3.

Die Vfn.. eine durch Biographien bedeutender Frauen des Mittelalters
bekannt gewordene französische Mediävistin, legt hier
ein Buch vor (franz. 1984 erschienen), das mehr eine Hagiolo-
gie als eine Hagiographie des Mittelalters darstellt. Sie will ..die
Ausstrahlung der Heiligen" beschreiben und meint, es sei „wohl
nicht übertrieben zu behaupten, daß unser Europa... seine erste
Prägung durch seine Heiligen erfuhr". Waren es in der christlichen
Antike vor allem Blutzeugen, die als Heilige verehrt wurden
, so waren es im Mittelalter solche. ..die mehr durch ihr
Leben als ihren Tod zu Märtyrern wurden". Auf dem Lande
wurden sie ..zu 90 Prozent mit den täglichen Verrichtungen und
dem Leben der Bevölkerung in Verbindung gebracht". Die
Künste und die Geisteswissenschaften haben ihren Ursprung in
ihrer Verehrung. Ihre Viten können nicht nur als „Legenden"
abgetan werden, außer ihrem religiösen Wert „bringen uns diese
Texte... das Leben im Mittelalter auf unmittelbare Weise
nahe". P. weiß. Heiligkeit kann man nicht definieren, wichtig
ist. wie sie gelebt wird.

Sie stellt dann die Bedeutung der Heiligen exemplarisch dar.
ausgehend von der Beschreibung der Heiligen, die schon im
Neuen Testament erwähnt werden. Immer wieder hebt sie hervor
: „Unter denen, die Zeugnis ablegten, nehmen die Frauen
einen besonderen Platz ein." Bedeutsam ist. Christen aus allen
Schichten konnten Heilige werden. P. widmet sich besonders
denen, „deren Leben etwas über ihre Zeit aussagt, uns die
(irundzüge einer Gesellschaft enthüllt und innerhalb dieser
Gesellschaft das Tun und die Reaktion der Kirche als Gemeinschaft
der Getauften." Sie betont das mystische Lehen bevorrechteter
Menschen und ihre Vereinigung mit Gott". Durch sie
erkennen wir „den Widerschein der Verklärung Christi."

Besondere Aufmerksamkeit widmet sie. die exemplarische
Darstellung nicht verlassend. Martin. Patrick. Kolumban und
den „heiligen Frauen". Sie beschreibt sowohl das Leben der
Heiligen in der Einsamkeit als auch in den Klöstern als ..heiligen
Familien" (ebenso außerhalb der Klöster), so daß „sich alle
Varianten und Eigentümlichkeilen des Familienlebens auch in
der Heiligkeit wiederfanden: die Vater- beziehungsweise Mut-
terfunktion, die im Leben der Abteien einen so wesentlichen
Aspekt darstellte, das .brüderliche Leben'... und schließlich vor
allem die Befruchtung, die Erweekung neuer Seelen durch Spiritualität
und inbrünstigen Glauben". Weibliche Heilige konnten
sowohl Jungfrauen als auch Ehefrauen sein („Die Ehe war
also durchaus vereinbar mit jener Heiligkeit, zu der jeder Christ
aufgerufen war"). Sie erwähnt, daß es ganze Heiligendynstien
gab. nicht nur unter den Herrsehern. Unabhängig davon geht sie

dem Verhältnis von Heiligkeit und Macht nach. Dabei wird -
wieder exemplarisch - deutlich, wie heilige Herrscher mehr auf
Versöhnung und Toleranz als auf Durchsetzuung von Macht
bedacht waren.

P. betont bei der Darstellung der den Heiligen zugeschriebenen
Wunder und bei der Reliquicnverehrung das Typische, den
Ausdruck von Frömmigkeit. Wir sollten „bei der Beurteilung der
.Naivität' unserer Vorfahren vorsichtig sein." Sie versteh! die
Heiligenbiographie als „Geschichte der Zusammenarbeit Gottes
und des Menschen im Lauf seines Menschenlebens".

Schließlich kommt sie auf den Vorgang der Kanonisierung
zu sprechen. Ihr ist dabei wichtig, wie sehr die „vox populi" als
„vox dei" verstanden wird („sie wurden vom Volk zu Heiligen
erklärt").

K. Herbers fügt einen Beitrag über „Die deutschen Heiligen
im Mittelalter" bei. der sich gut der Darstellung von P. anpaßt.
Vom Mißbrauch der Heiligenverehrung ist kaum die Rede.

I);is Ruch ist kein wissenschaftliches Werk, aber das Werk
einer Wissenschaftlerin. Sie versucht liebenswert und fromm,
die Bedeutung der Heiligen für das I eben unserer Vorfahren zu
erklären. Kritische Äußerungen darüber sind bei ihr selten. Wir
sollten nicht vergessen, daß auch die lutherische Reformation
„Vom Dienst der Heiligen" sprach (CA XXI). P. hat wohl recht,
daß gerade auch die Heiligen ZU denen gehören, die kräftig am
„Europa" von heute mitgebaut haben.

Freiberg Karl-Hermann Kandier

Saarinen, Risto: Weakness of the Will in Medieval Thought.

From Augustine to Buridan. I.eiden-New York-Köln: Brill
1994. VII, 207 S. gr.RO = Studien und Texte zur Geistesgeschichte
des Mittelalters. 44. Lw. hfl 135.-. ISBN 90-04-
09994-8.

Saarinen legt mit seiner in Helsinki angenommenen philosophischen
Dissertation eine Untersuchung über den Begriff der Willensschwäche
im Denken des Mittelalters vor. Sie steht natürlich
im Zusammenhang mit der Frage nach einem freien Willen des
Menschen, wie er in der christlichen Theologie durch Paulus (Rö
7.15-21) und Augustin (Conf. 8) und ihrem „Konflikt /w ischen
den zwei Willen" zum Problem geworden ist.

Nach I. Einleitung (1-19) behandelt der Vf. unter 2. „Handlungen
, die widerwillig getan werden, in der augustinischen Tradition
" (20-86) - und zwar bei Augustin selbst, bei Anselm.
Abaclard. Peter von Poitiers und einigen Summen des frühen 13.
Jh.s (Wilhelm von Auxerre. Summa Halensis, Philipp der Kanzler
) - und unter .3. .Akrasia in der Scholastik" (87-193) einschlägige
Äußerungen von Robert Grosseteste, Albertus Magnus.
Thomas von Aquin. Walter Burleigh, Gerald Odonis und John
Buridan. Quellen- und Literaturverzeichnis. Namens- und Sachregister
sind beigefügt.

Willensschwäche versteht der Vf. als technischen Ausdruck,
der gleichbedeutend ist mit akrasia und Incontinentia. Ausgangs
punkt sind die Aussagen von Aristoteles in seiner Nikomachi-
schen Ethik. Er unterscheide! zwei Bestimmungen von akrasia.
eine labile Willensschwäche, bezogen auf die Lust, von einer
impulsiven, bezogen auf den Zorn.

In dieser Untersuchung wird wieder der übermächtige Einfluß
von Aristoteles und Augustin auf das christliche Denken im Mittelalter
deutlich, zugleich aber auch die Verschiebung, die durch
das Aufkommen des Aristotelismus im 13. Jh. erfolgt. Nachdem
die originalen Texte des Aristoteles in Übersetzung vorliegen,
tritt der Einfluß von Augustin hinter dem des Aristoteles zurück,
ohne jedoch zu verschwinden.

Man kann, so der Vf.. Augustins „Konflikt zwischen den beiden
Willen" als ein „invitus facere" interpretieren: Anselm