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Ausgabe:

1995

Spalte:

533-536

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Haendler, Gert

Titel/Untertitel:

Von der Reichskirche Ottos I. zur Papstherrschaft Gregors VII. 1995

Rezensent:

Staats, Reinhart

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 6

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lision wie zur Kirchenreform, sein theoretisches Ringen um
die Einheit des Wissens (in den verschiedenen „Altes"), seine
poetischen Ambitionen sowie seine allegorischen Verschlüsselungen
, seine glühende Mystik. Alle diese Komponenten schlagen
sich in einem Gesamtwerk nieder, das seinesgleichen sucht.
Llull hat seine Schriften in lateinischer, arabischer, aber auch
katalanischer Sprache verfaßt, welch letztere damals die Um-
gangssprache im westlichen Mittelmeer war.

Im (gekürzt wiedergegebenen) „Buch des Heiden und der
drei Weisen" wird ein Heide von einem Juden, einem Christen
und einem Moslem zum Gottesglauben bekehrt. Jedoch fällt er
in Verzweiflung, als er hört, daß alle drei verschiedenen Religionen
angehören. So sollen die drei in der Reihenfolge des historischen
Erscheinens ihrer Religionen ihren Glauben darlegen
. Die Argumentation erfolgt, indem im Sinne Llullscher Ars
mit den göttlichen Tugenden operiert wird, die die Dame Intelligente
ihnen als Blüten von fünf Bäumen vorführt. Nachdem
auch der Sarazene gesprochen hat und die Weisen festgestellt
haben, sie sollten zu gleicher Frömmigkeit wie der Heide gelangen
und einander lieben, gehen sie in gegenseitiger Achtung
auseinander, ohne daß der Sieger benannt wird: Der Heide muß
selber entscheiden.

Das ..Buch vom Liebenden und Geliebten", ein selbständiger
Teil des Erziehungsromans „Evast und Blaquerna", bringt nach
Art muslimischer Mystiker (der Sufis) für alle Tage des Jahres
kurze Kontemplationen, die alle Qualen und Seligkeiten der Liebe
des Mensehen zu Gott schildern, wobei im Unterschied zu
abendländischer Brautmystik beide als männlich vorgestellt sind.

Der Roman „Felix oder das Buch der Wunder" enthält eine
Beschreibung der Welt in Form einer Stufenlehre. Das im vorliegenden
Band wiedergegebene „Buch der Tiere" bringt aber
nach denen über Elemente. Pflanzen und Mineralien keine
Naturkunde, sondern in Form ineinander geschachtelter Tierfabeln
einen politischen Traktat, der die Intrigenherrschaft am
Hofe eines schlechten Königs geißelt. Das Buch ist um 1287
verfaßt worden und richtet sich an den jungen französischen
König Philipp IV. (den Schönen).

Schließlich folgt die „Ars brevis" von 1308, die knappe Zusammenfassung
der „Ars generalis ultima". An ihr ist gut zu
sehen, wie mit den Regeln einer Logik und Kombinatorik verschiedene
Kategorientafeln miteinander ins Spiel gebracht werden
und so das gesamte Spektrum möglicher Aussagen erfaßt
wird.

Indem die Auswahl vier ganz verschieden geartete Werke
Llulls bietet, ist sie eine schöne Einführung in das Werk dieses
Uberaus vielseitigen Denkers. Reiche Bibliographien ziehen sich
durch den ganzen Band.

Greifswald Hans Georg Thümmel

Haendler. Gert: Von der Reichskirche Ottos I. zur
Papstherrschaft Gregors VII. Evang. Verlagsanstalt 1994.
176 S. gr. 8° = Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen.
1/9. ISBN 3-374-01529-8.

Die Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen (KGiE) ist eines
der wenigen wissenschaftlichen Werke, die. in der alten DDR
gegründet, weiter sehr gut gedeihen. Das ist erheblich das Werk
Gert Haendlers. der mit dem hier vorgelegten Buch stolz sein
darf, allen Bänden von Alter Kirche bis /um Hohen Mittelalter
nicht nur Betreuung, sondern auch eigenes wissenschaftliches
Profil gegeben zu haben. Nun verlohnt es auch einmal, anhand
dieses Bandes konkurrierende Unternehmungen zu vergleichen:
Die personengeschichtliche Darstellung ist hier ein strukturierendes
Element des Leitfadens, der mit seinen ausführliehen
Quellenzitaten in deutscher Übersetzung eine Verdichtung und

Lebendigkeit erhält. Auch dieser Band empfiehlt sich vorzüglich
als einführende Lektüre für Studenten und nun auch für
Liebhaber des Mittelalters. Die Quellen sind aus allen kirchengeschichtlichen
Bereichen, auch der Hagiographie und Poesie,
so ausgewählt und eingearbeitet worden, daß die Sozial- und
Mentalitätsgeschichte nicht zu kurz kommt - und das auf nur
137 Seilen Text!

Es ist ja auch zu fragen, ob der interpretierende Einbau von
Quellen, wie hier, den Studenten nicht besser dient als jene von
H. A. Oheiman u.a. hg. und erfolgreiche „Kirchen- und Theologiegeschichte
in Quellen" (KThQ), die den Studenten im
Erklären und Verstehen weithin allein läßt. Wären dann nicht
wenige klassische Großtexte in deutscher Übersetzung sinnvoller
, um unkritische Pauschalierungen im Examen zu vermeiden
? Der aus diesem Anlaß gegen die KThQ gerichtete Einwand
betrifft freilich nicht jene wissenschaftlich und didaktisch
nützlichen Quellensammlungen in Übersetzung zu diachronisch
geordneten Spezialthemen (Päpste. Buße. Sonntag etc.). Aber
auch Haendler mußte einmal die Stiftungsurkunde von Cluny
ohne Editionsangabe von KThQ II übernehmen (61). - Im Vergleich
zu Wollgang Hages 1992 erschienenen „Christentum im
frühen Mittelalter (476 - 1054)" in der Göttinger Reihe ..Zugänge
zur Kirchengeschichte" (Bd. 4) ist wiederum das didaktische
Format bei Haendler zu betonen. Hages „Zugang" ist m.E.
als lexikonartige Stoffsammlung fast nur vom Hintereingang
des Registers zu öffnen. Doch mit Haendler wird man eingeführt
, und das fast 20 Seiten sachlich gegliederte Literaturverzeichnis
, auch die Anmerkungen, repräsentieren den Forschungsstand
. Der Verzicht auf Dogmengeschichte gehört bei
der KGiE zum Prinzip, läßt sie aber nicht verschwinden, wo sie
Geschichte gewirkt hat. z.B. auf der römische Synode 1014. als
endlieh das „Filioque" nach Kaiser Heinrichs II. Willen ins Credo
kam (93). Bei Hage dagegen fehlt diese entscheidende dogmengeschichtliche
Leistung des politischen Imperiums, und
wie in der heutigen Ökumene wird das Filioque zu einer Sache
„der gesamten abendländischen Kirche" (106). - Keineswegs
lesbarer ist Gerd Tellenbachs „Westliche Kirche vom 10. - 12.
Jh." (1998), wie m.E. alle Bände jener nur langsam vorankommenden
Göttinger Reihe ..Die Kirche in ihrer Geschichte",
deren Brauchbarkeit auch durch das Fehlen von Registern immer
noch sehr eingeschränkt ist. Doch konnte Haendler immer
wieder auf die Darstellung des (katholischen) Altmeisters Tel
lenbaeh zurückgreifen, wie anderseits papstgeschichtlich eine
Orientierung am alten (protestantischen) Klassiker Johannes
Haller auffällt.

In drei Hauptteilen kommt die abendländische Kirchengeschichte
von Kaiser Otto I. bis Papst Gregor VII. zur Darstellung:

A. Die Reichskirche unter den Ottonen. An Santifallers Begriff
„Reichskirchensystem" wird festgehalten, und die Miniaturen
reichsfürstlicher Bischöfe bestätigen den Sachverhalt:
Brun v. Köln, Ulrich v. Augsburg, Luitprand, Rather von Verona
. Meinwerk von Paderborn und Bernward v. Hildesheim, aber
auch die fürstlichen „heiligen" Frauen wie Mathilde. Die erste
päpstliche Kanonisation (993 Ulrich v. Augsburg) erschein)
noch als „Anerkennung der deutschen Reichskirche" (58).
Auch die Wiener Reichskrone, die neuerdings durch verfehlte
archäologische Untersuchung (Schulze-Dörrlamm im Zshg. mit
der Speyrer Salierausstellung 1991) ins IL Jh. datiert wurde,
bleibt nach der Monographie des Rez. (1976) ein Symbol der
ottonischen Reichskirche. Die hier S. 50/53 übernommene
Zuordnung an Brun v. Köln und die Datierung auf 962-967
wird übrigens in einer soeben erscheinenden Monographie zur
Reichskrone von Gunther Wolf vollauf bestätigt. Thietmar .
Merseburg ist noch im I 1. Jh. im Wortsinn ein Kronzeuge der
Reichskirche: Könige und Kaiser überragen alles Sterbliche wie
Christus „durch den Glanz der Weihe und der Krone". - Die
Missionsgeschichte, wo bekanntlich Haendlers besondere For-