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Ausgabe:

1995

Spalte:

532-533

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Lullus, Raimundus

Titel/Untertitel:

Doctor illuminatus - a Ramon Llull reader 1995

Rezensent:

Thümmel, Hans Georg

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 6

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wiesener und jüngerer Autorinnen präsentiert: Hildegard von
Bingen (E. Gössmann), Heloise (Acklin Zimmermann,) Mechthild
von Magdeburg (M. Heimbach-Steins), Gertrud von Helffta
(G. Jaron Lewis), Margarete Porete (L. Gnädinger), die Heinrich
Seuse verbundene Zürcherin Elsbeth Stagel (B. Stoll), Juliane
von Norwich (I. Leicht). Die Einleitung gibt eine Zusammenfassung
; die Aufsätze zeigen in voller Beherrschung der vorliegenden
umfangreichen Literatur eindrucksvoll den Bildungsgrad
und die Traditionskenntnis, die sich in den z.T. originellen Entwürfen
spiegelt. Dies setzt eine Vermittlung theologischen Wissens
durch Predigt, Unterricht, Lektüre, Seelsorge an diese Frauen
voraus, die den gelegentlichen Hinweis, einige von ihnen seien
„illitteratae", höchstens im Sinne der Unkenntnis des Lateinischen
, eher noch des Fehlens eines formellen institutionsvermit-
telten höheren Studiums verstehen läßt. Keine „spezifisch weibliche
Theologie" wird festgestellt, wohl aber eine eigenständige
Verarbeitung der gelernten Theologie, die „zuweilen mehr oder
weniger deutlich vom vorgegebenen Raster zeitgenössischer,
androzentrischer Theologie abweichen konnte". Die Aufgabe
bleibt, die erarbeiteten Denkmuster „ihrem Nischendasein zu
entreißen" und ihnen ihren modifizierenden Platz in der Theologiegeschichte
zuzuweisen (16f).

Die Hgn. zeigt die „Ansätze einer Intentionsethik bei Heloi-
sa": sie geht literarkritisch von der von Peter von Moos vertretenen
Auffassung des Briefwechsels mit Abaelard als einer von
beiden entworfenen literarischen Konstruktion aus, die die im
regelmäßigen Austausch beider erarbeiteten Gedanken authentisch
zum Ausdruck bringt. Die Analyse des 6. Briefes zeigt
m.E. sehr überzeugend die am Beispiel der mangelnden Eignung
gewisser Vorschriften der Benediktregel für einen Frauenkonvent
schrifttheologisch entwickelte Ethik evangelischer Gesetzesfreiheit
; die Intentionsethik wirkt auch auf Abaelards
Aufnahme des Begriffes der „Zustimmung", in der die Sünde
liege, zurück.

An den Anfang des Bandes ist, sicher aus Reverenz vor der
Autorin, der zeitlich zweite Beitrag gestellt. Elisabeth Gössmanns
Aufsatz über „Die Makro-Mikrokosmik als umfassendes
Denkmodell Hildegards von Bingen". „Der androgyne Kosmosmensch
und die den Kosmos umarmende weibliche Gestalt
der Liebe mit dem sie überragenden Greisenhaupt der Güte
Gottes veranschaulichen Hildegards Überzeugung, daß der
Mensch in Gott so wie Gott im Menschen erkannt werden
kann." (41) Dies ist zweifellos eine feminine Weiterbildung der
Imago- und similitudo-Lehre, wobei ich darauf hinweise, daß
das vielgelesene „Elucidarium" des Honorius Augustodunensis
aus dem frühen 12. Jh. bezeugt, daß die Frage nach der Möglichkeit
femininer Gottesnamen ja - wenn auch vom unwissenden
diseipulus - im Unterricht gestellt werden konnte. Die Frage
nach den Eigenschaften der göttlichen Personen ist im 12.
Jh. eine lebendige Frage. Auch die Frage nach der Verpestung
des Kosmos - der organischen unvernünftigen Welt - durch die
Sünde des Menschen findet hier freilich viel unspekulativeres
Vergleichsmaterial.

M. Heinbach-Steins will das Werk Mechthilds von Magdeburg
dem Monopol der germanistischen „Frauen"-Forschung
entreißen. Sie legt die trinitarisch-heilsgeschichtlich-mystische
„Minnetheologie" auf dem Hintergrund der augustinisch-früh-
scholastischen Caritastheologie aus und zeigt, daß die Niedrigkeit
des „Ungelehrten" - der Frau wie des Mannes (vgl. Franziskus
) - zum Träger göttlicher Lehre werden kann. Das ist eine
sehr einleuchtende Interpretation, die diese Mystikerin in den
Zusammenhang einer großen kirchen- und sozialgeschichtlichen
Transformation vom späten 12. Jh.s bis zur Reformation
(Luther. Täufertum. Bauernkrieg) bringt. - Gar nichts Frauenspezifisches
zeigt der schöne Aufsatz von G. Jaron Lewis
über „die Thanatologie Gertruds von Helffta". an dem mir neben
den aufgezeigten Parallelen zu Bernhard von Clairvaux

wiederum die an Franziskus erinnernde positive Wertung von
Krankheit und Tod auffiel; für die dämonologischen Kruditäten
ist wieder Honorius Augustodunensis zu vergleichen.

L. Gnädinger bietet eine Wiedergabe des „Spiegels der einfachen
, zunichtegewordenen Seelen, die im reinen Liebesverlangen
verharren" (die adversative Alternativübersetzung 129f ist
unrichtig) der 1310 in Paris als Ketzerin verbrannten Begine
Margarete Porete aus Valenciennes. Der traditionelle siebenstufige
(Jes 11,2; Augustin) Aulstieg zur Viso Dei wird unter Verwendung
augustinisch-scholastischer Termini der Bußlehre
brautmystisch zugespitzt; der Einfluß des Areopagiten ist ebenfalls
über die Scholastik vermittelt. Die Originalität und dichterische
Freiheit des Ergebnisses macht den Skandal des Ketzerprozesses
dennoch nicht unbegreiflich. Frauenspezifisch ist diese
tiefgründige und gebildete Theologie einer Begine um 1300
nicht; dasselbe gilt für die quellenkritisch schwierig zu behandelnde
Seuseschülerin Elsbeth Stagel und ihre Mitschwestern,
deren „theologische Denkfiguren" B. Stoll darstellt. Der Einfluß
Bonaventuras auf diese Dominikanerinnen wird gezeigt.

Auffällig ist dagegen die starke weibliche Symbolik in den
"Revelations of Divine Love" der Recluse Juliana von Norwich
(1342-1416), deren spätere Langfassung I. Leicht abschließend
behandelt. Diese sich „unwissend und schwach" nennende Frau
will nicht ein ihr nicht zustehendes Lehramt ausüben, muß aber
von der Offenbarung reden, deren Empfängerin sie ist: Vi-
sionärin kann auch eine Frau sein. In der umfassenden theolo-
gisch-soteriologischen Schau (die Bearbeiterin spricht von einer
„Summe"!) fällt besonders die theologische Mutterschaftssymbolik
im Zusammenhang der trinitarischen proprietates auf, für
die eine reiche Tradition angeführt wird. „Kein Moment existiert
in der Tradition, das Juliana nicht rezipierte." Mir scheint,
daß die altkirchlich-augustinische Lehre von der Mutter Kirche
und dem in der Kirche als seinem Leib fortexistierenden Christus
die Verbindung zur Trinitätslehre schafft. Nur christolo-
gisch-soteriologisch kann von „Mutterschaft Gottes" gesprochen
werden.

Dar ganze Band besticht durch klare Darstellung und Literaturverarbeitung
. Ereignet sich vorzüglich zur Einführung in das
Werk der behandelten sieben Theologinnen, und er macht Lust
zu dieser Beschäftigung.

Berlin Kurt-Victor Selge

Bonner, Anthony [Ed.]: Doctor Illuminatus. A Ramon Llull
Reader, transl. With a new translation of The Book of the
Lover and the Beloved by E. Bonner. Princeton, N.J.: Prince-
ton University Press 1993. XVII, 380 S. m. Abb. gr.8«. Kart.
$ 17.95. ISBN 0-691-00091-3.

Obwohl die Schriften des vielleicht originellsten Denkers des
Mittelalters, Raimundus Lullus (1232-1316), sehr bald in vielen
Sprachen verbreitet waren und auch im 20. Jh. Ausgaben und
Übersetzungen erfahren haben, sind sie doch wenig ins Allgemeinbewußtsein
gedrungen. A. Bonner gibt eine Auswahl aus
seiner zweibändigen Ausgabe in eigenen Übersetzungen von
1985, die ihrerseits wiederum nur eine Auswahl aus dem etwa
265 Werke umfassenden CEuvre Llulls ist (s. das Werkverzeichnis
369-371).

Der auf Majorca geborene Llull ist weithin noch Zeitgenosse
der entscheidenden Phase der Reconquista gewesen, die eine
breite muslimische Bevölkerung unter christliche Herrschalt
brachte. Aufschluß über sein Leben gibt vor allem die Autobiographie
(Vita coaetanea), deren Übersetzung Bonner in die Einleitung
eingefügt hat (I 1-40). Mehreres zeichnet Llull aus: sein
Wirken im Schnittpunkt lebendiger Auseinandersetzung christlichen
, jüdischen und islamischen Denkens, sein Drang zur