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Ausgabe:

1995

Spalte:

515-516

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Leuze, Reinhard

Titel/Untertitel:

Christentum und Islam 1995

Rezensent:

Khoury, Adel Theodor

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Seite 1

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515

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 6

516

Leuze, Reinhard: Christentum und Islam. Tübingen: Mohr
1994. VII, 371 S. 80. Kart. DM 78,-. ISBN 3-16-14267-X.

Es ist grundsätzlich zu begrüßen, wenn, angesichts der zunehmenden
Wirkung nichtchristlicher Religionen im Leben ihrer
Gemeinschaften, christliche Theologen diese Religionen als
Anfrage an den christlichen Glauben und an die christliche
Theologie wahrnehmen und sich der Aufgabe stellen, „ihre
eigenen Grundlagen zu überdenken" (Vorwort, III-IV). Der
Münchner evangelische Theologe Leuze hat sich im vorliegenden
Buch der Fragestellung angenommen, und zwar im Hinblick
auf eine christliche Würdigung des Islams. In Vorlesungen
an der Universität München und in zahlreichen Übungen an
der Münchner Abteilung der Augustana-Hochschule hatte er
zuvor das Thema behandelt auf der Suche nach einer neuen
Definition des Selbstverständnisses christlicher Theologie angesichts
des Phänomens der islamischen Religion.

Um zu einer Position zu kommen, die - nach Jahrhunderten
der gegenseitigen Verurteilung und der zunehmenden Entfremdung
zwischen Christentum und Islam (siehe in der Einleitung
den geschichtlichen Überblick, welcher nur die Haltung westlicher
Theologen wiedergibt: 1-20) - eine vertretbare positive
Würdigung des Islams begründet und die Möglichkeit eröffnet,
einen religiösen Dialog mit dem Islam zu führen, definiert Leuze
den Rahmen, den er als evangelischer Theologe zum Ausgangspunkt
seines Unterfangens macht: „Ich meine, daß gerade
eine neuzeitliche Theologie, welche die Ergebnisse der historisch
-kritischen Forschung berücksichtigt und sich nicht an den
Wortlaut von Dogmen gebunden weiß, Chancen eines Gesprächs
wahrnehmen kann, die für frühere Jahrhunderte verschlossen
bleiben mußten" (Vorwort, III).

Die Grundlage seiner Reflexion bildet also die evangelische
Theologie, wie sie in Deutschland betrieben wird. Aber in seiner
Bemühung, den Islam theologisch zu würdigen, versucht er
zunächst - anhand ausgewählter Titel aus der Sekundärliteratur,
welche ihm ein zuverlässiges Bild von den Inhalten islamischer
Lehre vermitteln - die Position der Muslime (der Sunniten)
festzustellen. Er berücksichtigt immer wieder Aussagen offizieller
Stellen der Katholischen Kirche und referiert die Positionen
einiger weniger katholischer Theologen (die zitierten Autoren
haben zwar auf diesem Gebiet Gewicht in der katholischen
Theologie in Deutschland, aber es hätte der Sache noch mehr
gedient, wenn der Vf. auch weitere Autoren herangezogen hätte
), dies entweder um sich damit näher auseinanderzusetzen und
seine eigene Meinung in Kontrast dazu zu artikulieren, oder
auch um daraus Fragen an die evangelische Theologie zu eruieren
. Somit gewinnt dieses Buch eine wohltuende ökumenische
Dimension, die evangelischen wie katholischen Theologen
hilfreich sein kann.

Die Themen, die nach dieser Methode behandelt werden,
sind die zentralen Fragen jeder Theologie und Religionslehre:

Mohammed - ein Prophet? (21-39); Der Islam - eine Offenbarungsreligion
? (40 | nicht 29 wie im Inhaltsverzeichnis angegeben
| -55); Die christliche Beurteilung des Korans (56-71);
Christliche und islamische Christologie (72-113); Das Gottesverständnis
: - Trinität und der Glaube an den einen Gott (115-
151), - Die Eigenschaften Gottes (151-189); Gott und das Böse
- Prädestination und Providenz (190-233); Die Sicht des Menschen
- christliche und islamische Anthropologie (234-290);
Christliche und islamische Ethik (291-358); Schluß (359-363);
Namensregister und Sachregister (365-371). - Leider findet
man am Ende des Buches keine Bibliographie bzw. keine Literaturhinweise
, die sonst dem Leser eine große Hilfe gewesen
wären.

Es ist kaum möglich, hier das Buch Schritt für Schritt zu analysieren
und sich mit seinen Thesen auseinanderzusetzen,
zumal für einen katholischen Religionswissenschaftler - wie es

der Rez. ist; die Besprechung soll ja nicht zu einer innerchristlichen
Diskussion geraten, obwohl es genug Gründe dafür gäbe.
Hinweisen möchte ich gleichwohl im Zusammenhang mit der
Frage nach der prophetischen Sendung Muhammads auf zwei
Sachverhalte, die, wie mir scheint, einer weiteren, vertieften
Reflexion bedürfen (vgl. die Ausführungen in meinem Buch:
Wer war Muhammad? Lebensgeschichte und prophetischer
Anspruch, Freiburg 1990, 8. Kap.: Wer ist Muhammad für
Christen?, 119-125):

1. Wenn man versucht, Muhammad eine prophetische Sendung
zuzuerkennen, sollte man darauf achten, daß keine schwerwiegenden
Mißverständnisse zwischen Muslimen (die Muhammad
als den letzten Propheten betrachten, dessen gesamte Botschaft
auf der Autorität Gottes selbst gründet und den absoluten
Gehorsam des Glaubens fordert) und Christen entstehen. Solche
Mißverständnisse führen in eine Sackgasse und zu unnötigen
Irritationen.

2. Leuze ist bereit, Muhammad als Propheten (nach dem
Muster der Propheten des Alten Testaments) zu betrachten,
trotz des offenen Widerspruchs zwischen der koranischen Lehre
über Jesus Christus und den Aussagen christlichen Glaubens (er
versucht, diesen Widerspruch zu relativieren, bis auf die Frage
nach der Kreuzigung Jesu). Damit stellt er sich gegen die Position
katholischer Theologen (z.B. u.a. Ludwig Hagemanns). Auf
Seite 62 gibt er die katholische Position in bezug auf den Koran
(wie er sie deutet) wieder: „Die Lehre von der Verbalinspiration
auch auf die heilige Schrift der Muslime auszudehnen, verbietet
sich von selbst. Die fundamental anderen Aussagen des Korans,
besonders was die christliche Thematik anbelangt, lassen ein
solches Unterfangen als absurd erscheinen." Hier meldet er keine
Bedenken an!

Man kann die Diskussion mit dem Autor über manche anderen
Stellen seines Buches führen. Damit will ich mein besonderes
Interesse an diesem Versuch theologischer Würdigung des
Islams zum Ausdruck bringen. Zwar müssen noch weitere ähnliche
Versuche folgen, von evangelischer wie von katholischer
Seite oder gar in ökumenischer Zusammenarbeit (wie es zur
Zeit am katholischen Religionstheologischen Institut St. Gabriel
in Mödling bei Wien geschieht), zwar müssen in weiteren
Etappen dieser Bemühungen nicht nur Titel der Sekundärliteratur
zum Islam konsultiert werden, sondern die theologischen
Ausführungen muslimischer Gelehrter herangezogen werden.
Gleichwohl muß man sicher dem Vf. zustimmen, wenn er
schreibt: „Die Verständigung der Kulturen kann nur gelingen,
wenn die theologischen Fragen nicht, wie weithin üblich, ausgeklammert
werden, sondern das ihnen zustehende Gewicht
erhalten" (Vorwort, IV). Und auch: „Der Dialog der Religionen
ist... nicht die Preisgabe der göttlichen Wahrheit, sondern ihre
eigentliche, menschliche Entsprechung" (Schluß, 362).

Münster Adel Theodor Khoury

Beers. William: The Place of Mourning in Religion. History and Theory
(RSR2I, 1995. 9-13).

Christie. CTive: Unity and Diversity: A Critique of Religion and Ethnici-
ty in Europe (ER 47, 1995, 12-20).

Grimmsmann. Helmut: Elisas schwimmende Axt. Das Dilemma des
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Halm. Heinz: Islam und Islamismus - eine notwendige Begriffserklärung
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Hamerton-Kelly. Robert G.: Religion and the Thought of Rene Girard:
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Janzen, Wolfram: Wahrsagen. Schicksalsbefragung und Zukunftsdeutung
. Mainz: Grünewald; Stuttgart: Quell 1994. 218 S. 8° = Unterscheidung
. Kart. DM 32,-. ISBN 3-7867-1771-0 u. 3-7918-2288-8.