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Ausgabe:

1995

Spalte:

513-514

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kuschel, Karl-Josef

Titel/Untertitel:

Streit um Abraham 1995

Rezensent:

Sundermeier, Theo

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 6

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beten prallen bekanntlich die Meinungen besonders hart aufeinander
. H. plädiert auch hier für eine differenzierende Sicht,
z.B.: „Auf der Basis gemeinsamer Geschöpflichkeit können
Übernahmen aus dem geistlichen Schatz der außerchristlichen
Menschheit legitim, hilfreich und, unter gewissen Bedingungen
, unvermeidlich sein, ohne daß Synkretismus im Sinne
christlicher Identitätsgefährdung im Spiel sein muß" (167)

Die Problematik der „Christlichen Orientierung im religiösen
Pluralismus" (XIV.) steht am Abschluß der Untersuchung.
Dabei treten Fragen des praktischen Handelns in den Mittelpunkt
des Interesses, selbstverständlich setzen sie religionstheo-
logische Erwägungen voraus bzw. lassen diese erkennen.

Die „moderne Säkularität" (I 72) wird als wichtigster Dialogpartner
ausgemacht, eine Erkenntnis, der im Ganzen der Arbeit
allerdings zu wenig Rechung getragen wurde. „Beide, Säkularität
und Religionspluralismus, stellen die überkommene Dominanz
des Christentums in Frage..." (173) Die gebotene Antwort
darauf wird in einer „dialogischen Apologetik" (ISO) gesehen,
deren Prinzipien und Rahmenbedingungen entfaltet werden.

Das dabei zugrundeliegende Dialogverständnis schließt ein,
daß der Dialog „zum Ort christlicher Identitätsfindung und
Selbstvergewisserung" wird. (178) Christliche Orientierung im
religiösen Pluralismus, so das Fazit, kann weder darin bestehen,
„sich vor der fremdreligiösen Präsenz, durch Abkapselung zu
schützen und nur die Unvereinbarkeit der verschiedenen Glaubenssysteme
zu konstatieren", noch darin, „alle religiösen Differenzen
auf einer höheren Ebene oder gar in einem Metasy-
stem aufzulösen". (I90f.)

Das besondere Gewicht wie der spezielle Reiz dieser Arbeit
sind nicht zuletzt darin zu sehen, daß H.. wie kaum ein anderer,
theoretische Reflexionen und den wissenschaftlichen Forschungsstand
mit praktischen Erfahrungen verbinden kann.

Halle (Saale) Helmut Obst

kuschel, Karl-Josef: Streit um Abraham. Was Juden, Christen
und Muslime trennt - und w as sie eint. München-Zürich:
Piper 1994. 334 S. 8<>. geb. DM 39.80. ISBN 3-492-03739-9.

Ein „Dialog der drei abrahamitischen Religionen" - innerhalb
der in eine Sackgasse geratenen interreligiösen Dialoge scheint
diese Vision die gangbarste und realistischste und im Blick auf
den Frieden im Nahen Osten auch die notwendigste zu sein. Die
drei monotheistischen Religionen sollten am ehesten die Möglichkeit
und Fähigkeit besitzen, sieh an einen l isch zu setzen
und im Guten miteinander zu welleifern, wie es der Koran fordert
und Lessing uns im „Nathan" als moralisches Lehrstück
vor Augen gestellt hat. Doch das alles entspricht mehr dem
Wunschdenken denn der Realität. Bisher ist Abraham keine die
drei Religionen verbindende, sondern eher eine trennende
Gestalt. Woran das liegt, zeigt Kuschel in diesem Band nüchtern
und informativ auf. In einem ersten feil beschreibt er, wie
Abraham das „Eigentum" der drei Religionen auf verschiedene
Weise wurde. Wichtig ist für uns dabei zu sehen, wie sehr sich
das Abrahambild der drei Religionen voneineinander unterscheidet
.

Die Christen müssen zur Kenntnis nehmen, daß ihre Informationen
, die sich ausschließlich auf den kanonischen Text des AT
beziehen, nicht ausreichen, um die Emotionen zu verstehen, die
Anhänger anderer Religionen mit der Abrahamsfigur verbinden
. Das Judentum hat durch seine außerkanonischen Texte
hier sehr v iel mehr Material /um Lebensbild Abrahams zu bieten
, der Islam ebenso. Abraham ist eben nicht gleich Abraham.
Kuschel zeigt überzeugend, wie sich die Abrahamsbilder in den
verschiedenen Religionen entwickelt haben und Abraham im
jeweiligen zeitgeschichtlichen Kontext neu interpretiert und

angeeignet wurde. Für das Judentum z.B. konstatiert K. eine
„Politisierung zwischen den Testamenten" (55ff), eine „Idealisierung
" in der Zeit des Hellenismus und eine ..Halachisierung"
durch das rabbinische Judentum. Für das eigentliche Thema des
Buches ist die „Judaisierung des Nichtjuden Abraham" aufschlußreich
(90ff), weil es die in der Genesis angelegte Spannung
zwischen Ismael und Isaak auf den aktuellen Konflikt
zwischen Juden und Arabern hin ausdeutet. Hier hätte Kuschel
jetloch noch mehr Texte zur tiefgreifenden Spannung zw ischen
Ismael und Isaak anführen sollen. Texte, die jeder orthodoxe
Rabbiner an der Hand hat und die unterstreichen, daß ein orthodoxer
Jude nur eine abrahamitische Religion kennt und anerkennen
kann, nämlich das Judentum. Eine erweiterte Fassung
des Abschnittes über Sara als „Mutter aller nichtjüdischen Völker
" (94) hätte ich mir gewünscht, weil sich hier gerade auch
über die feministische Theologie weitere Perspektiven hätten
erschließen lassen.

Für das Verständnis des Islam ist die Kenntnis der islamischen
Abrahamstradition notwendig. Sie werden im großen und
ganzen bei Kuschel richtig referiert (168-209). es wird jedoch
nicht deutlich genug die zentrale Bedeutung Abrahams für die
Wallfahrt nach Mekka herausgestellt. Wer nach Mekka wallfahrtet
, kehrt bei Abraham ein. nicht bei Mohammed, dafür
müßte er nach Medina gehen. Wer nach Mekka geht, sieht und
küßt den letzten erhaltenen Stein des ältesten monotheistischen
Gotteshauses der Welt, das von Abraham und Ismael wiederhergestellt
wurde, aber schon von Adam errichtet worden w ar.
Die Wahrnehmung des Zeitverständisses und des Selbstbewußtseins
, das diesen Uberzeugungen entspricht, hätte noch deutlicher
machen können, warum Abraham solch fundamentale
Bedeutung im Islam hat. Heilsgeschichte ist hier Ortsgeschichte
und Genealogie! Wie tief dieser Eindruck der Abrahamsgestalt
geht, wird an Mohammed deutlich. Er hat sich fraglos mit
Abraham identifiziert, aber doch so, daß Abraham auf ihn als
die Erfüllung seiner Gebete verweist. Mohammed betet ja nicht
nur mit Jesus und Mose auf dem Tempelberg, wie K. darstellt
(209). sondern sie beide erkennen ihn als ihren Vorbeter an!
Mohammed begegnet Abraham auf seiner Himmelsreise im 7.
Himmel (Jesus hält sich nur im 2. auf!) und entdeckt dort nicht
seine Ähnlichkeit mit Abraham, wie Kuschel (ebd. und 295)
schreibt, sondern umgekehrt Abrahams Ähnlichkeit mit ihm
selbst! „Nie habe ich einen Mann gesehen, der mir ähnlicher
war"1, sagt Mohammed auf die Frage, wie Ahraham atisgesehen
habe. Diese psychologisch höchst aufschlußreiche Sprachnuan-
ce darf nicht übersehen werden. Koran und Hadilhe /eigen
überdeutlich, daß Mohammed das Abiahamsbild dem eigenen
angleicht! Das zu erkennen mach) die Berufung auf Abraham
scilens der anderen Religionen und den gemeinsamen Rückbe-
zug auf ihn nicht leichter, sondern unterstreicht, welch schwieriges
Terrain mit diesem Thema besehritten wird.

K. verbreitet im Schlußkapitel „Was abrahamische Oekume-
ne bedeuten kann" (248-306) zu Recht keinen falschen Optimismus
. Sein Buch dient zunächst der Information, so daß alle
Gespräche, die in dieser Richtung und unter Bezug auf Abraham
geführt werden sollten, nicht zu schnell desillusioniert zerplatzen
, sondern in kleinen Schritten zielsicher unternommen
werden.

Große Meriten sind auf diesem Weg. bei dem Abraham nach
K.s Darstellung eine eher moralische Größe von Toleranz und
Offenheit darstellt, nicht zu gewinnen. Orthodoxe Gläubige werden
kaum zuhören, wenn Kuschel Überlegungen zu symbolhaften
Orten und Handlungen anstellt (29211 ). Offene Juden. Christen
und Muslime aber könnten sich durch dieses allgemein verständlich
geschriebene und gul lesbare Buch anregen lassen und
ermutigt fühlen, den Versöhnungsweg gewisser zu verfolgen.

Heidelberg Theo Sundcrmeier