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Ausgabe:

1995

Spalte:

511-513

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hummel, Reinhart

Titel/Untertitel:

Religiöser Pluralismus oder christliches Abendland? 1995

Rezensent:

Obst, Helmut

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 6

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Eigenichs ist der Offenbarung zugeordnet. Um aber in das Gemeinsame
Schweigen hineinzuführen, muß die Dichtung ihre
Sprachgebundenheit abstreifen und, selbst schweigend, zur
Gebärde werden, als Kunstform zum Tanz. Freilich darf solche
Gebärde nicht doch noch etwas sagen wollen, darf auch nicht
fremdes Tun provozieren wollen. Sie muß jenseits von Rede
und Tun sein - im Kultus entspräche ihr das Fest der Erlösung.
Das ist alles relevant für den deutenden Umgang mit dem Tanz,
den Rosenzweigs Zeit neu erlebte. Die Behauptung, ein so
gedeuteter Tanz und das damit gegebene Fest der Erlösung sei
nur im Judentum möglich - im Tanz des Chassid und im gemeinsamen
Knien des jüdischen Volks am Versöhnungstag -,
kann den Theologen und Religionswissenschaftler nicht befriedigen
, er wird, durch die vorliegende Studie angeregt, zu
Rosenzweigs Buch neu greifen und eine neue Antwort versuchen
.

Auch wenn die mythische Welt des Heidentums als eine Welt
ohne Götter verstanden wird, kann, wer die damalige Theologiegeschichte
kennt, solche Deutung einordnen. Auch im Abschnitt
über das Gebet wird das deutlich; da zitiert die Vfn. zwei Theologen
ausdrücklich und macht so Rosenzweigs Ort sichtbar.
Rosenzweig befaßt sich mit Schelling, mit dem Petrinischen,
Paulinischen uund Johanneischen, er nennt neben dem heidnischen
Verständnis des Mythischen auch ein jüdisches: Das heilige
Volk lebt die Einheit von Seele und Geist, von Körper und
Seele. Die Kraft, die dieses Volk zur schweigenden Erleuchtung
des voll erfüllenden Endes trägt, ist das Gebet. Im Kult wohnt
Gott schon im Zeitlichen. Kult ist ohne Kunst nicht denkbar -
der philosophische Charakter der Dissertation begnügt sich
damit, die Philosophie der Erlösung in Bestrebungen einzugliedern
, die Totalität denken und verwirklichen wollen. Aber es
bleibt der existentielle Ernst dieser Gedanken spürbar, der den
Theologen gerade im Gespräch mit dem Judentum wieder nach
dem „Stern der Erlösung" greifen läßt.

Rostock Peter Heidrich

Hummel. Reinhart: Religiöser Pluralismus oder christliches
Abendland? Herausforderung an Kirche und Gesellschaft.
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1994. IX,
223 S. 8« = Kart. DM 39,80. ISBN 3-534-11717-4.

Religiöser Pluralismus ist heute ein vielbehandeltes Thema.
Reinhart Hummel hat sich dazu bereits mehrfach zu Wort
gemeldet. Die vorliegende Monographie faßt frühere Beiträge
zusammen, aktualisiert und ergänzt sie. Ihr „primäres Interesse
... ist theologisch, die Methodik zu einem erheblichen Teil
religionswissenschaftlich, vor allem wenn es darum geht, ein
unverstelltes Bild des real existierenden religiösen Pluralismus
zu zeichnen". (2)

Gerade zu letzterem ist H., der zwölf Jahre die Spitze der
Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Stuttgart
leitete und vorher sieben Jahre in Indien „das Funktionieren
des religiösen Pluralismus" (ebd.) beobachten konnte, besonders
prädestiniert. Die Arbeit will sowohl „konkrete Information" wie
auch „abstrakte Reflexion" bieten. (4) Das gelingt. Allerdings
wünscht man sich bisweilen konkrete Antworten auf scharfsinnig
gestellte Fragen. Schwerpunkt der Arbeit „ist der eigene Kontext,
die Herausforderung an der eigenen westlichen Haustür. Primär
geht es um Mitteleuropa." (5) Letzteres muß allerdings eingeschränkt
werden. Weder der Zusammenbruch des Kommunismus
noch die Wiedervereinigung Deutschlands und die sich daraus
ergebenden Einflüsse auf die religiös-weltanschauliche
Situation in Deutschland treten in den Blick. Beide Ereignisse
scheinen für die Pluralismusdebatte völlig bedeutungslos zu sein.
Das dürfte sich als Trugschluß erweisen!

Ausgehend von dem Weltparlament der Religionen 1893 in
Chicago und seinen Nachwirkungen werden zunächst (II.)
„Interreligiöse Organisationen" vorgestellt, wird das Verhältnis
der Kirchen zu ihnen skizziert. Die Darstellung des „Inner- und
randchristlichen Pluralismus" (III) fällt sehr mager aus und
kann nicht befriedigen.

Der Überblick über „Die Präsenz östlicher Religionen" (IV.)
zeigt aktuell die Notwendigkeit für den „Dialog" von Christentum
und östlichen Religionen (V.) Wichtige Themen und Probleme
des Dialogs zwischen Christentum und östlichen Religionen
werden behandelt. Bemerkenswerte Einsichten und
Denkanstöße ergeben sich. Die östlichen Religionen werden als
„formidable Konkurrenten des Christentums auf westlichem
Boden" gewertet, anders als das Christentum demonstrieren sie
„die Fähigkeit von Religionen, aus der Begegnung mit konkurrierenden
Religionen gestärkt hervorzugehen". (60)

Als souveräner Fachmann erweist sich H., wenn er sich der
Thematik „Die neuen religiösen Bewegungen" (VI.) zuwendet
und „Christentum und neureligiöse Bewegungen" (VII.) analysiert
.

Seine ebenso von Sachkenntnis wie praktischen Erfahrungen
geprägten Analysen sollten von allen zur Kenntnis genommen
und reflektiert werden, die sich mit dieser Thematik beschäftigen
. Allein die terminologischen Überlegungen (Neureligionen,
Sekte, Kult usw.) sind von hoher Aktualität und geeignet, den
öffentlichen Umgang mit diskreditierenden Begriffen zu korrigieren
und zu versachlichen. Mit Recht wendet sich H. gegen
die „Ausklammerung der neureligiösen Bewegungen aus dem
interreligiösen Dialog", das sei „für beide Seiten, für das Christentum
wie für die anderen Weltreligionen, ein allzu bequemer
Weg, sich dieses Konfliktstoffes zu entledigen". (75) Grundlage
des Dialogs, sofern er überhaupt möglich ist, dürfe jedoch keine
pluralistische Theologie sein.

Der zunehmende religiöse Pluralismus hat in Kirche und
Theologie eine neue „Suche nach Spiritualität" (VIII.) ausgelöst
. Schwerwiegende theologische Probleme stellen sich in
diesem Zusammenhang. Der „Religiöse Kompetenzverlust des
Protestantismus" (VIII.2) trete in diesem Zusammenhang besonders
schmerzlich zu Tage. „Die pauschale theologische Verdächtigung
von Religiosität muß aufhören, wenn die Kirchen
einen Kompetenzzuwachs in diesem Bereich gewinnen möchten
." (92) Wie diffizil diese Problematik ist, zeigt sich bei den
„Kriterien christlicher Spiritualität" (VIII.6).

Ausgehend von der überblickhaft dargestellten „Islamischen
Präsenz in Deutschland und Europa" (IX.) wird der Thematik
„Christentum und Islam im Dialog (X.) ebenso Beachtung geschenkt
wie der Frage „Islam und Menschenrechte" (XII.)
Neben der Gottesfrage wird besonders das „Endgültigkeitsbewußtsein
" des Islam als eine der schwierigsten Fragen des Dialogs
hervorgehoben, da diese auch die Missionsfrage unmittelbar
berührt. H. meint: „Zwischen Christentum und Islam geht
es zur Zeit weniger um das Ob als um das Wie von Mission
bzw. da'wah. Darin dokumentiert sich, auf der theologischen
Ebene, die Auseinandersetzung zwischen den unversöhnlichen
Finalitätsansprüchen der beiden Religionen." (134)

Die Ausbreitung fremder Religionen wird in der Regel als
Bedrohung der kulturellen Identität empfunden. Was bedeuten
„Fremde Religionen in der säkularen Kultur" (XI.)? Auch dieser
vielschichtigen Problematik geht H. nach. Zu ihrer Bewältigung
aus christlicher Sicht fordert er eine trinitariseh angelegte
„Theologie der Kultur", „die gleichermaßen vor Verachtung
wie vor Vergötzung der Kultur bewahrt". (147)

Man kann sieh an der Debatte über religiösen Pluralismus
nicht beteiligen, ohne „Synkretismusprobleme" (XIII.) zu beachten
. Der Autor tut dies vor allem anhand von Beispielen. In
der Frage der Übernahme östlicher Meditationsmethoden oder
auch der Teilnahme von Christen an interreligiösen Friedensge-