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Ausgabe:

1995

Spalte:

509-511

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hufnagel, Cordula

Titel/Untertitel:

Die kultische Gebärde 1995

Rezensent:

Heidrich, Peter

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 6

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mißverstanden werden. Solche Kargheit rührt nicht daher, daß
das Ende nur nebensachlich wäre oder verblaßte. Es bleibt von
entscheidender Wichtigkeit. Unser Wissen darüber ist aber
offenbar sehr begrenzt. Das Ende entzieht sich ins Geheimnis.

So bieten sich uns - als scheinbar besser greifbar - vor allem
die umfangreichen Ausführungen über die vielfältigen Katastrophen
, die dem Eintreffen des Endes vorangehen sollen. DK-
Idee des geschichtlichen Fortschritts kann sich bestimmt nicht
auf das Neue Testament berufen. Aber ermächtigt oder nötigt es
uns nun im Gegenteil dazu, eine fortschreitende Depravation,
eine immer mehr um sich greifende apokalyptische Verfinsterung
zu erwarten? Auch hierüber wäre zu verhandeln. M.E.
sollte sich die Theologie solchen Untergangserwartungen nicht
überlassen. Schon gar nicht einer steinernen Resignation darf
sie Raum geben, die auf das Handeln für den Nächsten verzichtete
. Ein Bescheidwissenwollen über das Enddrama bleibt, auch
wenn es sich auf Biblisches meint stützen zu können, dennoch
problematisch, weil es letztlich hindert, daß wir uns dem Kommen
des Endes wirklich aussetzen. Auch haben wir nicht das
Recht, irgendeine heraufkommende Zeit derart zu verteufeln,
daß in ihr nichts Sinnvolles mehr bliebe. Es kann keine Zeit
geben, in der nicht das Evangelium zu predigen und in der nicht
dementsprechend zu leben wäre. Sollten aber wirklich dunkle
oder unerträgliche Zeiten über uns verhängt werden - mit dieser
Möglichkeit haben wir sehr wohl zu rechnen - so können sie
niemals Gott davon abhalten, das von ihm gewollte Ziel herbeizuführen
. Wenn wir in Katastrophen zu versinken drohen, so
dürfen w ir gerade dann uns des Trostes gewiß sein, daß der
Herr - durch solche Ausweglosigkeiten hindurch - kommen
wird. Dieser Gebrauch ist m.E. von solchen Texten zu machen.

c. Zu den Aussagemöglichkeiten

Jede Eschatologie wird verpflichtet sein, die Grenzen unserer
Aussagemöglichkeiten zu beachten. Einerseils handelt sie ja
vom künftigen Handeln Gottes, und dieses Handeln müssen wir
grundsätzlich ihm selbst anheimgeben. Alles, was wir darüber
zu sagen haben, kann nur unter diesem Vorbehalt ausgesprochen
werden.17 Andererseits stoßen unsere Denkmöglichkeiten
bei den „Letzten" Dingen auf prinzipielle Schwierigkeiten.
Unser Denken orientiert sich an den Gegebenheiten dieser
Wirklichkeit. Das Ende aber wird - wie schon die Auferstehung
Jesu - darüber hinausführen.1" Wie kann es dann überhaupt
verstehbar sein? Über das Verhältnis von Diesseits und Jenseits
wurde oben (in Anschluß an 1 Kor I5,33ff.) erklärt, daß dabei
eine doppelte Beziehung vorauszusetzen sei, die Andersartigkeit
und der Bruch, dann aber auch das Miteinander und die

Kontinuität. Die eschatologische Erlösung wird etwas Neues
sein, sie kann aber uns nur treffen und unser Unerlöstsein nur
beheben, wenn sie eben unsere Erlösung ist. Aufgrund dieser
Doppelheit werden Aussagen über die eschatologische Vollendung
im allgemeinen analoge Aussagen sein müssen.

Wenn dies gilt, so darf das Ende jedenfalls nicht als etwas
total Andersartiges. Absurdes und Unverstehbares gelten. Sonst
setzte Gott ja an die Stelle dieser Welt und seiner Heilsgeschichte
mir ihr eine davon gänzlich geschiedene zweite Welt.
Ebenso darf man dann das Ende auch nicht als den einfachen
Gegensatz zum Gegebenen auffassen. So sollte z.B. die Ewigkeit
Gottes nicht einfach verstanden werden als bloße Zeitfreiheit
oder als Zeitlosigkeit oder als Zeit-Punkt. Und schon gar
nicht darf man die Vollendung unmittelbar mit unseren jetzigen
Maßstäben bemessen wollen.

Bei dieser Lage der Dinge ist auch von vornherein nicht zu
erwarten, daß es uns möglich ist. von der eschatologischen
Vollendung ein widerspruchsfreies Bild zu entwerfen. Es muß
erlaubt sein, hier auch unaufgelöste Widersprüche nebeneinanderzustellen
.

Bei Aussagen über die Eschatologie wird es sich weiter empfehlen
, daß wir uns genauer darüber Rechenschaft geben, welches
Maß von Verbindlichkeit wir unseren Sätzen zuschreiben:
Was ist notwendiger und unaufgebbarer christlicher Glaube,
was ist eine sich aufdrängende Konsequenz, was ist eine Erwartung
, was ist eine Veranschaulichung, was ist eine mögliche
denkerische Explikation usw.? Wenn wir hier sorgfältiger unterscheiden
würden,'1* so könnte es unsere Diskussion erleichtern
, es würde aber auch der Sache dienen.

Der Gegenstand der Eschatologie aber bleibt - trotz all unserer
Probleme und Differenzen - ein großer, ein faszinierender,
ein notwendiger. Deswegen kann man nur wünschen, daß eine
weitere Debatte über diese Dinge unter uns zustande kommen
möge.

17 So wird man z.B. bei der Frage nach der sog. Allversöhnung nur darauf
hinweisen können, datl uns die Schrift jedenfalls den Frnst der bevorstehenden
Scheidung zwischen Angenommenen und Verworfenen einschärft. Was
Gott aber selbst am Ende tun wird, darüber können wir nicht verfügen.

Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die Überlegungen von [,
Kant, der in den „Antinomien der reinen Vernunft" zeigt, daß wir nicht in
der Lage sind. z.B. einen Uranfang widerspruchsfrei zu denken (KrV B
4541'f.).

" Ich gestehe meinerseits, datl ich bei meinen eigenen Arbeiten diesen
Gesichtspunkt bisher nicht konsequent genug beachtet habe.

Religionswissenschaft

Hufnagel. Cordula: Die kultische Gebärde. Kunst, Politik.
Religion im Denken Franz Rosenzweigs. Freiburg-Münehen:
Alber 1994. 175 S. 8« = Fermente philosophica. Kart. DM
48,-. ISBN 3-495-47790-X.

65 Jahre sind vergangen, seit Franz. Rosenzweig das Zeitliehe
segnete nach jahrelangen) Leiden, dem er in bewundernswerter
Weise geistige Leistungen abrang. Sein großes Buch mit dem
dreifachen Motto in pbilosophos, in theologos. in tyrannos ist
immer wieder aufgelegt worden, also auch gelesen; aber im
theologischen Gespräch der Gegenwart wird er kaum erwähnt.
Ob das im philosophischen Diskurs anders ist? Einen Kreis
interessierter Leser scheint es nicht zu geben - ähnlieh wie bei

einem jüngeren Zeitgenossen Rosenzweigs, dem zumal nach
dem letzten Krieg viel gelesenen Romano Guardini. Er ist zu
weit entfernt, um noch nah zu sein, ist noch nicht weit genug
entfernt, um den Grad des Wesentlichen Erfaßbar zu machen.
Die hier vorgelegte Berliner Dissertation macht sich damit verdient
, die eigene, unverwechselbare Weise, in der sich ein jüdischer
Mann seines Judentums bewußt wurde, als Historiker, als
Philosoph, uns wieder vorzustellen.

Die Arbeit ist philosophisch angelegt und überläßt dem theologischen
Leser selbst die Auseinandersetzung mit Rosenzweigs
Unterscheidungen von Heidentum, Judentum und Christentum
. Sie gehört in den Bereich der Auseinandersetzung mit
der Ästhetik, sie geht der Frage nach dem Mythos nach. So
erklärt sich der Titel der Abhandlung: die kultische Gebärde.
Rosenzweigs „Stern der Erlösung" ist in die Teile Schöpfung.
Offenbarung. Erlösung gegliedert, die jeweils auch im Kult
eigens gefeiert werden. Die bildende Kunst ahmt die Schöpfung
nach, die Musik mit der in ihr sich ergebenden Aufgabe des