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Ausgabe:

1995

Spalte:

483-485

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Geschichte der Seelsorge in Einzelporträts 1995

Rezensent:

Eschmann, Holger

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 5

484

klärt: „Die Existenz des Pastoralpsychologen läßt sich demnach
als durch ein Paradoxon geprägt kennzeichnen." (20)

Im zweiten Teil wirft der Vf. einen Blick auf die tiefenpsychologische
Schriftauslegung, die zwar nicht sein eigentliches
Anliegen ist, aber doch in den weiteren Kontext seines Ansatzes
hineingehört. Hier findet sich eine scharfsichtige Kritik an
Drewermann: „Die Jungsche Metapsychologie vom kollektiven
Unbewußten und die darin implizierte Archctypenlehre wird
mitsamt ihrem Wahrheitsanspruch als vorgegeben, als ontologi-
sches Faktum übernommen." (78) Dabei kommt es zu einem
.„Katholizismus höherer Ordnung': Im Gewände der Neuzeit,
und d.h. der Wissenschaftlichkeit, feiert das vorkritisch-katholische
Heilssystem ,fröhliche Urständ'." (79)

In Teil III legt der Vf. sein eigentliches Anliegen dar: Er
möchte in die Bibelarbeit als psychologisches Modell die psychoanalytische
Theorie D. W. Winnicotts einbringen. Diese
Theorie wird ausführlich dargestellt, wobei auch theologische
Überlegungen nicht fehlen: zur Legitimität der Applikation von
Winnicotts Denken auf die Bibel. Gedacht wird aber hier von
der Dogmatik her, so daß der Vorwurf mangelnder Fundierung
in der Exegese bestehenbleibt.

Teil IV heißt „Reflektierte Praxis". Hier handelt es sich um
die „Darstellung einer Theorie pastoralpsychologischer Bibelarbeit
als Praxismodell". Konkrete Übungen werden vorgeführt
(z.B.: „Mit der Bibel durch den Körper"), aber entscheidend ist,
daß auch die Praxis als solche von der psychologischen Theorie
her reflektiert wird, daß also nicht nur Techniken vermittelt
werden. So schreibt der Vf. z.B. zum Raum, in dem die Bibelarbeit
stattfindet: „Er gewinnt selbst eine Art Symbolcharakter für
das Geschehen, das sich in ihm vollzieht: Er wird sozusagen
selbst zur Repräsentanz des .intermediären Raumes*; d.h. er
bietet einen Rahmen, dessen Betreten bereits die Entfaltung des
,intermediären Bereichs' induziert." (219) Abgeschlossen wird
Teil IV durch eine „exemplarische Konkretion": eine Bibelarbeit
zu Lk 1,26-38.

In Teil V reflektiert der Vf. sein Modell mit Kategorien philosophischer
und theologischer Hermeneutik. Der entscheidende
Satz lautet: „Die in der pastoralpsychologischen Bibelarbeit
implizierte Hermeneutik ist ausgerichtet auf ein Verstehen als
Erfahrung, wobei dieser Gedanke sogleich ausgeweitet werden
kann im Sinne von: Sich-Selbst-Verstehen als Texterfahrung
bzw. Textverstehen als Selbst-Erfahrung." (231) In eine solche
Hermeneutik einzuweisen ist dem Vf. gut gelungen. Die Frage
bleibt jedoch, ob man den Bibeltext gegenüber dem Appetit der
Selbsterfahrung widerständlicher machen muß - durch Exegese
, die strukturell in ein pastoralpsychologisches Modell zur
Bibelarbeit einzugehen hätte. Nur im Überwinden der ursprünglichen
Sperrigkeit von Texten stellen sich Selbsterfahrungen
ein. die nicht nur bestätigen, was man ohnehin schon
weiß und ist.

St. Blaise Walter Rebell

Möller, Christian [Hrsg.]: Geschichte der Seelsorge in Einzel-
porträts. 1: Von Hiob bis Thomas von Kempen. Göttingen-
Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht 1994. 359 S. gr.8°. Kart.
DM 58,-. ISBN 3-525-62339-9.

Ausgangspunkt für diese auf drei Bände angelegte Geschichte
der Seelsorge ist die vom Hg. konstatierte Geschichtsvergessenheit
in Lehre und Praxis der Seelsorge neuerer Zeit. Mit Hilfe
von insgesamt 64 Beiträgen über ausgesuchte Seelsorger und
Seelsorgerinnen aus dem Bereich der gesamten Kirchengeschichte
soll das Werk dazu beitragen, daß die Seelsorge wieder
„zu ihren eigenen Wurzeln findet, um dadurch klarer gelehrt,
geistlicher geübt und im Gespräch mit anderen Disziplinen wie
etwa der Psychotherapie profilierter zu werden" (8). Die Form

der Einzelporträts wurde vom Hg. gewählt, weil sich Geschichte
„auf diese Weise anschaulich und wirkungsvoll erschließt, zumal
im Blick auf Seelsorge, die es in besonderer Weise mit
einem auf Personen konzentrierten Geschehen zu tun hat" (ebd.).

Das Verzeichnis der Verfasser/innen der einzelnen Artikel
zeigt ökumenische Weite. Neben evangelischen und katholischen
Beiträgen kommen auch orthodoxe und freikirchliche
Stimmen zu Wort. Bei den Fachbereichen, denen die Autoren
und Autorinnen sich zuordnen lassen, überwiegt die Kirchengeschichte
, gefolgt von der Praktischen Theologie und anderen
Disziplinen. Allerdings fällt auf, daß keine Vertreter der modernen
Seelsorgebewegung im Autorenverzeichnis zu finden sind,
was zum einen mit der genannten Geschichtsvergessenheit
zusammenhängen mag, andererseits aber auch programmatisch
wirkt.

Die einzelnen Artikel sind weitgehend nach demselben Schema
aufgebaut: Zunächst werden die Biographie und das seelsorgliche
Wirken der behandelten Persönlichkeiten geschildert.
Ein zweiter Teil stellt exemplarische Texte vor, die einen
authentischen Einblick in Theorie und Praxis ihrer Seelsorge
geben sollen. Schließlich wird in einem (zum Teil recht kurzen)
dritten Abschnitt versucht, Perspektiven aus dem Dargestellten
für die heutige Seelsorge aufzuzeigen. Literaturhinweise für die
eigene Weiterarbeit schließen die Einzelporträts jeweils ab.

In dem vorliegenden ersten Band finden sich - nach einer
Einführung durch den Hg. - vier Beiträge zur Seclsorge im
Alten und Neuen Testament und vierzehn Porträts von Seelsorgern
und Seelsorgerinnen aus der Zeit der Alten Kirche und des
Mittelalters.

In seiner Einleitung zur „Entstehung und Prägung des Beul
i Iis Seelsorge" geht Chr. Möller zunächst den Ursprüngen des
Begriffs bei Plato nach. Dabei schließt er sich weitgehend den
Ergebnissen der Arbeiten Thomas Bonhoeffers an. Dem griechischen
Seelen- und Seelsorgeverständnis stellt er in einem
zweiten Schritt Überlegungen zu seelsorglichem Handeln in der
Bibel gegenüber. In Anlehnung an Gerhard Ebelings programmatische
Definition der Kirchengeschichte als Geschichte der
Auslegung der Heiligen Schrift formuliert Möller: „Die Bibel
hat so viele seelsorgliche Seiten, daß die Geschichte der Seelsorge
als eine Geschichte der Auslegung biblischer Seelsorge
gesehen werden kann. Jede Zeit entfaltet einen oder mehrere
biblische Aspekte der .Besorgung des Leibes Christi in seinen
Gliedern'" (15).

Es würde den Rahmen der Besprechung sprengen, wollte
man jeden der nun folgenden Entwürfe einzeln betrachten. Deshalb
seien hier nur einige Porträts exemplarisch vorgestellt.

Geradezu spannend geschrieben sind die beiden alttestamentli-
chen Beiträge zur Seelsorge im Buch der Psalmen (I. Baldermann
) und bei Hiob (V. Wey mann). Beide Autoren verstehen es.
seelsorgliche Aspekte kompetent und ansprechend herauszuarbeiten
. Steht bei Baldermann die Bewältigung der Angst mit Hilfe
der Klage und des Lobs der Psalmen im Vordergrund, so gehl
Weymann vor allem auf die Thcodizce- und Sinnfrage ein. Unter
Berücksichtigung der verschiedenen literarischen Komponenten
im Hiobbuch kommt Weymann bei der Beschreibung der Situation
Hiobs zu folgendem Spitzensatz: „Mit seiner abgründigen
Klage gegen Gott zu Gott hält Hiob den Riß offen, der durch sein
Leben geht, und zugleich mit dem Bekenntnis der Zuversicht den
Spalt für einen Trost, der nicht trügt, sondern trägt." (47)

Die Beiträge zur Seelsorge im Neuen Testament können
nicht gleichermaßen überzeugen. So sind die Überlegungen zu
Paulus als Seelsorger (K. Adloff) zwar engagiert geschrieben,
wirken aber auf mich zu überladen und sind mit wenig hillreicher
Polemik in Richtung Kirche und therapeutische Seelsorge
versehen (v.a. 62f.)

Der ausführlichste Artikel (30 Seiten) befaßt sich mit der
Seelsorge der Wüstenmönche. Als Kenner der Materie zeichnet