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Ausgabe:

1995

Spalte:

458-460

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Theodoricus Teutonicus de Vriberg, Abhandlung über die Akzidentien 1995

Rezensent:

Haendler, Gert

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457

Theologische Literuturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 5

458

Dogmen- und Theologiegeschichte

Burger, Maria: Personalität im Horizont absoluter Prädestination
. Untersuchungen zur Christologie des Johannes Duns
Scotus und ihrer Rezeption in modernen theologischen
Ansätzen. Münster: Aschendorff 1994. XX, 271 S. gr.8<> =
Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des
Mittelalters, NF 40. Kart. DM 78,-. ISBN 3-402-03935-4.

Die theologische Dissertation von Maria Burger arbeitet mit der
Christologie des Duns Scotus ein zentrales Thema eines der
wichtigsten Denker der mittelalterlichen Theologiegeschichte
monographisch auf und verdient schon deswegen Aufmerksamkeit
.

Nach knappen Erläuterungen zu Vorhaben, Forschungsstand
und Quellenlage werden in Teil A, den „Historischen Vorüberlegungen
", insbesondere die anerkanntermaßen für Duns wichtigen
Personbegriffe von Boethius und Richard von St. Viktor
dargestellt.

Hierauf folgt der Schwerpunkt der Arbeit, der Teil B mit der
Darstellung der Lehre des Doctor subtilis über die christologi-
sche Einheit von göttlicher Person und menschlicher Natur.
Daß letztere trotz Ermangelung einer eigenen geschaffenen Person
vollständig in diese Einigung eingeht, macht Duns dadurch
denkbar, daß er Person (univok die geschaffene wie die göttliche
) von der individuellen Natur allein durch ein negatives Kriterium
, das Fehlen von in bestimmter Weise qualifizierter Abhängigkeit
, unterscheidet, so daß der erwähnte Mangel nicht
das Fehlen von etwas Positivem bedeutet. Die Denkbarkeit bedeutet
freilich nicht Notwendigkeit, sondern Realisierung einer
von mehreren Möglichkeiten. Wie sehr Duns von der genannten
Fragestellung bestimmt ist. zeigt sich daran, daß er die durch
die bloß negative Definition der Person offen gebliebene Frage
nach der Konstitution von Person, die sich in verschiedenen
Kontexten und zu verschiedenen Zeilen bei ihm findet, insgesamt
keiner definitiven Klärung zuführt. Daß auch bei der Annahme
einer vollständigen menschlichen Natur eine wirkliche
Einheit entsteht, erklärt Duns vermittels einer bei ihm noch einmal
im Blick auf die Zuordnung aktualer Existenz differenzierten
Unterscheidung Heinrichs von Gent: In Christus sind „zwei
Sein" hinsichtlich des Wesensseins, nur eines jedoch hinsichtlieh
des (der Persondefinition entsprechend) Unabhängigkeit
bedeutenden Subsistenzseins. Die so beschriebene ontologische
Konstitution Christi führt nun bei Duns Scotus durch den
Gedanken der absoluten, d.h. nicht durch die Erlösungsbedürf-
ligkeit des gefallenen Menschen bedingten Prädestination Christi
zur Bedeutung des historischen Faktums der Inkarnation:
Diese geschah nach Duns Scotus folgerichtig nicht primär um
der Satistaktion willen, sondern zur Erfüllung des Liebeswillens
Gottes, das heißt. Jesus Christus ist ..nicht erstlich in seiner
Funktion als Erlöser intendiert, sondern er ist als Gott-Mensch
an sich gewollt*' (163).

Diese Gedankengänge stellt B. in klarer Terminologie und in
enger Anlehnung an die Argumentationen des Duns dar. Gelegentlich
fügt sie erläuternd quellenkritische Überlegungen, Darstellungen
der von Duns rezipierten Autoren oder Exkurse zu
grundsätzlichen Fragen (z.B. über formale Distinktion oder
Univozität bei Duns) ein. Der ganze Abschnitt ist prägnant formuliert
, präzise reflektiert und informativ dargestellt.

Im Blick auf Teil C. die Behandlung der Rezeption der Christologie
des Duns Scotus ..in modernen theologischen Ansätzen
', die freilich wie auch das ..Schlußwort" ganz von der
katholischen Binnenperspektive B.s. die nach einer „Christologie
im Anschluß an das Konzil" sucht, bestimmt ist. ist der
Autorin um ihrer Selbstentscheidung willen höchste Achtung
zu zollen: Sie erliegt nicht der naheliegenden Versuchung, das

Objekt ihrer wissenschaftlichen Arbeit an allen Ecken und
Enden zu suchen, sondern beschränkt sich auf drei Theologen,
bei denen eine explizite Auseinandersetzung mit Duns Scotus
nachweisbar ist: Bei Dcodal de Basly und seinem Schüler Leon
Seiller zeigt B. eine von der Frage nach der bei Duns durch die
Lehre von der absoluten Prädestination erklärten Bedeutung
Christi bestimmte Rezeption auf, bei Heribert Mühlen eine -
geprägt durch Heidegger - der Frage nach menschlicher Personalität
folgende Auseinandersetzung mit Duns. Leider hat B.
einen aufgrund von Heideggers Habilitationsschrift über Duns
Scotus doch sich geradezu aufdrängenden Vergleich mit dessen
Duns-Rezeption nicht einmal angedeutet. Es bleibt zu hoffen,
daß sie dieses Versäumnis nachholt.

Schwerer wiegt aber, daß ihre Analysen des Duns Scotus
eine geradezu anachronistisch anmutende methodische Enge
aufweisen. B.s Arbeitsweise ist die ganz konventioneller Problemgeschichte
: Duns Scotus interessiert sie als „Zeuge für eine
christozentrische Theologie ... im Mittelalter" (2). und dementsprechend
fragt sie, ..welchen Lösungsvorschlag Duns Scotus
für das Verständnis von Person anbietet" (49). Die Problemstellung
also, zu der der mittelalterliche Gelehrte sich zu äußern
hat. wird ihm vorgegeben - und zwar, wie die Einleitung zeigt,
letztlich durch die christologisch zentrierte Interpretation von
Anthropologie in der Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes"
des II. Vatikanums. Dieses Interesse an vermeintlich zeitenthobenen
Problemstellungen aber übersieht, daß nicht nur Antworten
, sondern auch Fragen dem historischen Wandel unterliegen:
Wenn etwa der heutigen Theologie zur Bestreitung von Nezes-
sitarismus in einer Terminologie, die den Doctor subtilis offenbar
nur als Etappe zu einem zu erreichenden Ziel zu werten vermag
, dessen Reflexion auf Freiheit und Kontingenz. „schon" im
späten Mittelalter anempfohlen wird (252), so wäre, wollte man
dieser Zeit und in ihr Duns Scotus nahekommen, zunächst einmal
zu klären, wodurch sich damals jenes Problem stellte, das
sich dem Komplex des Nezessitarismus zuordnen läßt. Es wäre
dies der Ort, die Verurteilung des radikalen Aristotelismus in
Paris 1277 nicht nur, wie B. es gelegentlich tut, beiläufig zu
erwähnen, sondern die damals erfolgte Verurteilung z.B. des
Satzes, „daß nichts zufällig geschieht, sondern sich alles notwendig
ereignet", als konkreten Bezugspunkt für das Denken
des Duns in dessen Zeit herauszuarbeiten. Daß B. aber so nicht
vorgeht und so Duns trotz, aller interpretatorischen Bemühungen
als geistiges Individuum blaß bleibt, ist Folge dessen, daß
sie willens scheint, sich der expliziten Auseinandersetzung mit
den Anregungen zu verweigern, die Kurt Flasch - gerade auch
im Blick auf die Wertung jener Lehrverurteilung seil Jahr und
Tag der philosophischen und theologischen Mediävistik gibt.

Trotz dieser Kritik soll aber nicht verschwiegen werden, daß
B. nach Maßgabe der nun einmal von ihr gewählten Methodik
eine solide Arbeit vorgelegt hat, die unseren Kenntnissen über
die Christologie des Duns Scotus sicheren Grund gibt.

Heidelberg Volker Leppin

Dietrich von Freiberg: Abhandlungen über die Akzidentien.

Auf der Grundlage des Textes der kritischen Ausgabe von M.
R. Pognoni-Sturlese übers, von B. Mojsisch. Mit Einleitung
und Begriffsregister versehen von K.-H. Kandier. Lateinischdeutsch
. Hamburg: Meiner 1994. XLVIII, 144 S. 8°. Lw. DM
68,-. ISBN 3-7873-1173-4.

Der Dominikaner Dietrich von Freiberg war noch vor 20 Jahren
kaum bekannt; erst in den Jahren 1977-1983 wurden seine
Werke im Corpus Philosophorum Teutonicorum Medii Aevi
gedruckt; in diesem Rahmen erschien 1983 sein Traktatus de
accidentibus in Band III. 47-90. Burkhard Mojsisch lehnt sich