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Ausgabe:

1995

Spalte:

437-439

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Cullmann, Oscar

Titel/Untertitel:

Das Gebet im Neuen Testament 1995

Rezensent:

Wilckens, Ulrich

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Theologische Literalurzeilung 120. Jahrgang 1995 Nr. 5

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anzusehen (186). erstaunlich unsicher ist die Lokalisierung in
Rom bzw. allgemeiner Italien (187).

Mehr als die europäische wird die nordamerikanische Forschung
irritiert durch den 1973 von Morton Smith veröffentlichten
Ausschnitt aus einem Brief des Klemens von Alexandrien
mit seinen Angaben über die Existenz eines geheimen MkEv
neben dem kanonischen. B. behandelt dies ausführlich S. 139-
145 und nimmt auch sonst immer wieder darauf Bezug, bleibt
aber unentschlossen in der Frage der Echtheit dieses Textes.
Vorausgesetzt ist hier, was sich sonst weder bei Klemens selber
noch bei Origenes oder Dionysius findet, sondern erst bei
Euseb: die Übersiedlung des Markus von Rom nach Alexandrien
. Diese Tradition läßt sich aus bestimmten kirchenpolitischen
Konstellationen am Ende des 4. Jh.s erklären, in denen Alexandrien
mit Rom zusammensteht (W. A. Bienert, Dionysius von
Alexandrien. 1978. 79). Zu beachten ist ja auch, daß Euseb in
seiner Liste der alexandrinischen Bischöfe nicht Markus als
ersten nennt (h.e. III 21 gegenüber II 24). Es gibt also gute
Gründe, entschiedener als B. diesen Text als Pseudo-Klemens
zu klassifizieren, wann und wo und von wem immer verfaßt,
Dann aber verliert er den Quellenwert für das 2. Jh., der ihm
teilweise zugemessen wird.

Im abschließenden dritten Teil (Kap. 7 und 8) stellt B. bewußt
die moderne Frage, was hinter der altkirchlichen Zuweisung
des Ev.s an Markus stehen kann. Zunächst werden sehr
umsichtig Annahmen neuzeitlicher Forscher verglichen mit
deren patristischem Anhaltspunkt, mit dem Ergebnis, daß etwa
die Petruspredigt Apg 10.34-43 nicht als Grundlage für das Ev.
angesehen werden kann, das Petrusbild des MkEv nicht auf persönliche
Beziehungen w eist, w enn auch auf traditionsgeschichtliche
, ebensowenig aber spezielle Verbindungen zwischen Mk
und IPt festzustellen sind. Obwohl sie eine Konsequenz der
Verbindung des Markus mit Petrus sein kann, scheint B. die
Lokalisierung des Ev.s in Rom aus internen Gründen plausibel,
wenn auch nicht letztlich beweisbar (Kap. 8).

Kann das Ergebnis also insgesamt nur mager sein, gewinnt es
doch durch die kurzen Schlußüberlegungen (251-259) positive
Bedeutung, insofern die altkirchlichen Traditionen ein ..historisches
" Interesse an der Person des Markus nur insofern zeigen,
als sie auf die Botschaft des Ev.s verweisen, das als Christus-
zeugnis in sich „apostolisch" ist, auch unabhängig von der (mittelbaren
) Autorisierung durch Petrus. So wird auch eine moderne
historisch orientierte Einleitungswissenschaft auf diese Botschaft
selbst verwiesen.

Marburg Dieter Lührmann

Cullmann. Oscar: Das Gebet im Neuen Testament. Zugleich
Versuch einer vom Neuen Testament aus zu erteilenden Antwort
auf heutige Fragen. Tübingen: Mohr 1994. IX, 194 S.
gr.8o. Kart. DM 54,-. ISBN 3-16-14266-1.

Oscar Cullmann gehört zweifellos zu den Großen der neutesta-
mentlichen Wissenschaft dieses Jahrhunderts. Daß er, im hundertsten
Jahrzehnt seines Lebens, uns noch einmal ein neues
Werk geschenkt hat. bis in Details mit dem neuesten Forschungsstand
vertraut, zugleich aber mit einer überlegenen
theologischen Altersweisheit geschrieben, ist nicht nur staunenswert
, sondern auch Anlaß zu dem. was Thema dieses
Buches ist: zum Dank gegen Gotl für ihn und mit ihm.

Es gehört zu den besonderen Anliegen C.s, neben Dank und
Lobpreis auch Bitte und Fürbitte als legitime Formen des
Gebets Recht und Raum zu geben. Als von Gott, dem himmlischen
Vater, geliebte Kinder dürfen Menschen ihm nicht nur in
Lob und Dank die Ehre geben, sondern ihm auch mit allen Bitten
ihres täglichen Lebens bestürmen. So hat es Jesus selbst seinen
Jüngern vorgelebt (26-29) und in seiner Lehre nahegebracht
(31-39); so bezeugt es das ganze Neue Testament. In diesem
Sinne befindet sich C. in ständiger Auseinandersetzung mit
einer breiten Strömung der Theologie des 19. Jh.s, in der es für
der Vernunft verpflichtete Menschen entweder mit Kant notwendig
schien, alles Beten als Verirrung aufzugeben, oder es
mit Schleiermacher auf die Übereinstimmung mit Gott in Lob
und Dank zu beschränken. Auf die von daher heute wieder virulenten
Fragestellungen und Schwierigkeiten möchte C. mit seinem
Buch eine theologisch wie spirituell hilfreiche Antwort
geben.

Die Quelle solcher Antwort ist das Neue Testament, das C.
darum im Hauptteil seines Buches (24-151) bewußt unabhängig
von dieser aktuellen Situation heutiger Theologie und Frömmigkeit
sein eigenes Wort sagen lassen will. (3.24.152). Darin
werden behandelt:

1) Jesus (Schwerpunkt: Das Vaterunser, 49-91. mit einer neuen
Deutung der 6. und 7. Bitte als zusammengehöriges Paar:
77-89):

2) das Corpus Paulinum (95-106; Basistext: Rö 8,12-27):

3) die johanneischen Schriften (ausgehend von Jo 4,20-24:
118-127; expliziert durch die Abschiedsreden: 127-137, und
das Hohepriesterliche Gebet: 137-141); und schließlich, in einer
nur noch kurzen Übersicht, die übrigen Schriften (143-151: im
Abschnitt über die Apg fehlt leider 16,25!).

Wie in allen seinen großen Werken - besonders „Christus
und die Zeit". „Die Christologie des Neuen Testaments" und
„Heil als Geschichte" - so erweist sich der Excget C. auch hier
als biblischer Dogmatiker: „Letzten Endes ist ja eine Synthese
der Theologie des Neuen Testaments Grundlage jeder christlichen
Dogmatik" (153). Darin ist er inmitten des breiten Trends
zu nur noch analytischer Arbeit, auch in der Disziplin neutesta-
mentlicher Theologie selbst, ein erfreulicher und ermutigender
rocher de bronze (vgl. 1531"). Durch die Kunst, in allen Besonderheiten
der Einzeltexte das grundlegend Übereinstimmende
zu suchen, ist er in der Lage, im exegetischen Hauptteil seines
Buches selbst (irundeinsichten herauszustellen, die zugleich
entscheidenden Ansätze zu einer Antwort auf Probleme und
Schwierigkeiten des Betens in heutiger Zeit zu finden, auf die er
im Schlußteil (152-181) eingeht.

Großen Raum nimmt dabei die Auseinandersetzung mit
Dorothee Solle ein. „weil ihre Veröffentlichungen... eine sehr
große Verbreitung finden, und gegenwärtigen Tendenzen entgegenkommen
" (165 Anm. 20). Vergleicht man damit die
(berechtigte!) harsche Kürze, mit der er das Buch von W. Ber-
net behandelt (13-15), dessen „radikale Kritik" (6) aus tiefenpsychologischer
Sicht inzwischen nicht weniger repräsentativ
für eine gegenwärtig breite Meinungsströmung geworden ist, so
erklärt sich die bevorzugte Auseinandersetzung mit Solle daraus
, daß C. in ihrem Werk eine lebenslange spirituell-theologische
Auseinandersetzung mit dem Gott des Neuen Testaments
erkennt. Die besondere Erfahrung Gottes nämlich und das ihr
entsprechende Gottesverständnis ist hier der Schlüssel zu aller
christlichen Gottespraxis und -theologie: Gott ist in seinem
Handeln. Er erweist sich als Gott, indem er seine Allmacht in
den Dienst seiner Liebe zu uns Menschen, zur Welt und zu seiner
ganzen Schöpfung (105ff) stellt. Von daher ist die Spannung
zwischen Gottes Transzendenz („extra nos") und seiner
Immanenz (Christus und der Geist in uns) als zwar unaufheb-
bar, jedoch als theologisch sinnvoll zu denken: „Weil er der
transzendente Gott ist. kann er uns helfen, und weil sein transzendentes
Wesen Liebe ist, will er uns helfen" (166).

Von daher werden auch alle Schwierigkeiten verstehbar und
aushaltbar, sowohl die Frage, warum es sinnvoll ist, zu Gott zu
bitten, der doch allwissend ist (168-170), wie auch die Frage,
wie man mit der Nichterhörung von Gebeten umgehen kann
(171-174; zentrales Vorbild ist hier das Gebet Jesu in Gethse-