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Ausgabe:

1995

Spalte:

414-415

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Der eine Gott in vielen Kulturen 1995

Rezensent:

Kuschel, Karl-Josef

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413

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 5

414

Ion liir sich sprechen. Drei Grußworte sind ihnen vorausgestellt:
des Landeskirchenamtes in Dresden, des Ratsvorsitzenden der
EKD. Landesbischof Dr. Klaus Engelhardt, und des Generalsekretärs
des ORK. Dr. Konrad Raiser. Eine Kurzbiographie ist
den Texten angefügt.

Für den schwierigen Prozeß der .Aufarbeitung der Vergangenheit
", also der Geschichte der evangelischen Kirchen unter den
Bedingungen der DDR. ist dieser Textband ein wichtiger dokumentarischer
Beitrag. Schnelle Wertungen sind heute wohlfeil,
sorgfältiges Studium und Verstehen von Texten nicht in gleicher
Weise. Die Synodalvortrüge (alle 22 Jahre sind vertreten) zeichnen
sich durch eine unverbrauchte, das Formelhafte meidende
Sprache aus. Öffentliche Katechese und öffentliche Seelsorge
finden zueinander; denn Hempel versteht sein Bischofsamt in der
Synode als das eines theologischen Lehrers und Seelsorgers. Er
nimmt die Fragen auf, die in der Situation liegen, die den Christen
zu schaffen machen, und er scheut sich nicht. Antworten zu
wagen, ohne etwas ..Abschließendes" zu bieten.

Weil jeweils vor der Synode vom Landeskirchenamt und von
der Kirchenleitung Tätigkeitsberichte erstattet oder vorgelegt
wurden, konnte sich der Bischof auf ein freigewähltes Thema,
auf grundsätzlichere Fragen konzentrieren. Diese „Verdichtung"'
und theologische Vertiefung hat zur Folge, daß diese „Katechesen
*' über ihre Zeit hinaus „aktuell" geblieben sind. Sie leisten
damit einen wichtigen Dienst im Vereinigungsprozeß der Kirche
nach der „Wende". Sie erweisen nämlich, daß sich Grundfragen
durchhalten, daß es in der Tiefe eine größere Kontinuität gibt, als
sie im kirchlichen Alltag nach der „Wende" wahrgenommen
wird; und sie decken auf. wie breit der Kanon gemeinsamer Fragen
und Aufgaben in der evangelischen Christenheit in Deutschland
war und ist. bei aller Unterschiedlichkeit der Entwicklungen
und Herausforderungen in der Zeit der Trennung.

Dem heutigen Leser - vor allem dem in der „westlichen Tradition
" verwurzelten - bleibt es aber nicht erspart, sich aufmerksam
in die jeweils gegebene Zeitsituation hineinzuhören.
Was mehr andeutend gesagt war und von der Synode damals
sofort verstanden wurde, mag heute in seinem inneren Gewicht
nicht voll erkannt werden.

Synodentagungen waren in der Zeit der DDR Orte öffentlicher
Kommunikation. Die Staatsvertreter hörten mit spitzen Ohren zu.
Die westlichen Medien waren an politisch verwertbaren Äußerungen
interessiert. Die Nöte und Versuchungen der Mensehen sollten
zur Sprache kommen. Vor allem aber brauchte das Volk Gottes
- weit über den Kreis der Synodalen hinaus - Klärung und
Wegweisung. Konkret bei der Sache zu bleiben, das Evangelium
in die Zeit hinein auszulegen, öffentliche Katechese zu versuchen,
das ist durchgängig die Zielrichtung dieser Synodal vortrage.

Die Formulierung der Themen ist eher „traditionell", nicht so
die Ausführung: ..Spannungen als Zeichen einer lebendigen
Kirche" (1972). „Die Hauptsache unseres christlichen Glaubens
" (1974). ..Lutherische Zwei-Reiche-Lehre - Konziliare
Gemeinschaft - Das kommende Reich Gottes" (1976), „Die
Gnade nicht verschleudern. Wie wird Rechtfertigug im Alltag
lebendig?" (1978), „Einige Folgerungen aus der Dreieinigkeit
Gottes" (1984). „Zur Frage nach der Gültigkeit ethischer Normen
" (19S6). ..Was hat uns in der Kirchenleitung beschäftigt
und was wird uns wohl auch weiterhin beschäftigen?" (1993).

Wichtige Texte sind auch: ein persönliches Wort zu den Ereignissen
im Zusammenhang mit der Selbstverbrennung von Pfarrer
Oskar Brüsewitz (1976); der Eingangsvortrag zum „Forum Frieden
" am 37. Jahrestag der Zerstörung Dresdens (1982); der
Bericht zu den Ereignissen in Leipzig (vor der Bundessynode
Sept. 1989). Ein gutes Fünftel der Texte stammen aus der Zeit
nach der ..W ende". Auch das qualifiziert diesen Band als einen
gewichtigen Beitrag zur kirchlichen Zeitgeschichte.

Berlin Martin Kruse

Hilpert. Konrad, u. Karl-Heinz Ohlig |Hg.]: Der eine Gott in
vielen Kulturen. Inkulturation und christliche Gottesvorstellung
. Zürich: Benziger 1993. 424 S. gr.8°. Pp. DM 44,-.
ISBN 3-545-24114-9.

Der Band weist Stärken und Schwächen von Sammelbänden
auf. Seine Stärken liegen zweifellos darin, eine Fülle von christlichen
Autoren anläßlich einer Festschrift zum 60. Geburtstag
des Saarbrücker katholischen Theologen Gotthold Hasenhüttl
versammelt zu haben, die einen ganzen Fächer von Themen
behandeln. In der Historischen Abteilung (nicht ganz einsichtig
„Grundlagen" genannt) werden Entstehung, Wandlungen und
Zäsuren biblischer und kirchlicher Gottesvorstellungen behandelt
. Die Monotheismus-Problematik im alten Israel (M. Görg)
ist dabei genauso vertreten wie die Rede von Gott unter hoch-
mittelalterlichen (H. Held) wie frühneuzeitlichen Bedingungen
(W. Müller), wobei dem Problemkomplex „Trinität" gleich
zwei Beiträge gewidmet sind (K. H. Ohlig. A. Ganoczy). Diese
Abteilung geht über zur Gegenwartstheologie und -philosophie,
welche noch immer - unter dem Eindruck Kantseher Erkenntniskritik
- die spezifisch „westliche Krise des Gottesglaubens"
zu traktieren hat. Hier liegt der am wenigsten originelle Teil
dieses Buches (R. Theis, G. Hummel. W. G. Jeanrond). Allzu
Bekanntes wird einmal mehr variiert.

Horizonterweiternd dagegen ist die dritte Abteilung des Buches
: die Beschreibung von Gotteserfahrungen in den außereuropäischen
Kirchen. Hier hat das Buch seine sachlich provozierende
Mitte. Hier kann es zeigen, daß die christliche Got-
teserfahrung heute nur lebendig bleibt in Auseinandersetzung
mit Gottesvorstellungen anderer Kulturen und Religionen. Die
Zeil einer religionsgeschichtlichen "splendid Isolation" ist endgültig
vorbei. Und hier dürfte auch der Teil liegen, der dem
inkulturellen Vermittlungsanliegen von Gotthold Hasenhüttl am
stärksten gerecht wird.

So sind denn in diesem dritten Teil die großen religiösen
Kulturen und Religionen der Menschheit präsent, zwar nicht
„authentisch"' durch Vertreter dieser Religionen, wohl aber vielfach
durch Christen aus diesen Kulturräumen, die in sich eine
lebendige Inkulturation des Christentums verkörpern: die
indisch-christliche Theologie (F. X. D'Sa), der Buddhismus (E.
Meier), die chinesische Tradition (J. Sun Hsiao-Chih), die japanische
Kultur (T. Immoos) ebenso wie die afrikanische (B.
Bujo) und indianische (E. Rosner). Bemerkenswert auch, daß
sich zwei bekannte deutschsprachige Theologen der Herausforderung
von „Lateinamerika" stellen: Hans Küng, der seine Paradigmenanalyse
auf die geschichtliche Zuslandsbeschreibung
dieses Kontinents anwendet und eine Weiterschreibung des
„Programms der Befreiungstheologie" befürwortet sowie Norbert
Cireinacher, der mit einer befreiungstheologischen Hermeneutik
nach Spuren des „Gottes der kleinen Leute"' in Bibel und
Tradition sucht.

Wie angehängt wirkt dann der vierte und abschließende Teil
des Buches. Die Themen werden beliebig: Religionsphilosophische
Reflexionen (J. Figl) stehen neben Ausführungen zur
..Theologie des Gebetes" (W. Pauly). zur Ästehtik (.1. Nolte),
zum ..Gottesglauben nach Auschwitz" (H. Jochum) und zur
Ethik (G. Höver). Gerade der Beitrag zum ..Gottesverständnis
nach Auschwitz" hätte unbedingt (möglichst von einem Juden
geschrieben) in einen anderen Teil gehört: als „Grundlage" aller
Gottesrede heute oder als Ausdruck radikalster „Krise des Gottesglaubens
in der westlichen Welt". So aber steht er - abgeschoben
in den letzten Teil - als vorletzter Beitrag zwischen
Ästhetik und Ethik. Deshalb löst gerade dieser Teil seinen
Selbstanspruch in keiner Weise ein, „systematische Aspekte" in
die Inkulturalionsdebatte zu bringen.

Hier liegt denn auch die konzeptionelle Grundschwäche dieses
Bandes als „Sammelband". Die Hgg. Hilpert und Ohlig sind