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Ausgabe:

1995

Spalte:

411-412

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Jesus of Nazareth 1995

Rezensent:

Roloff, Jürgen

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41 1

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 5

412

Allgemeines, Festschriften

Green, Joel B., and Max Turner [Ed.]: Jesus of Nazareth:
Lord and Christ. Essays on the Historical Jesus and New
Testament Christology. Grand Rapids: Eerdmans u. Carlisle:
Pasternoster Press 1994. XXI, 536 S. gr. 8°. geb. £ 29.99.
ISBN 0-85364-560-4.

Anlaß und Zielsetzung dieses stattlichen Sammelbandes werden
erst aus dem Vorwort ersichtlich: Es handelt sich um eine Festschrift
zum 60. Geburtstag von I. Howard Marshall, Professor
für Neues Testament in Aberdeen, und die in ihr versammelten
30 Beiträge nehmen fast durchweg Bezug auf die beiden Themenbereiche
, die im wissenschaftlichen Werk des Jubilars beherrschend
hervortraten, nämlich die neutestamentliche Christologie
und das lukanische Geschichtswerk. Eine gewisse
Positionalität war anscheinend durch Marshalls kirchlich-theologischen
Standort nahegelegt, denn es kommen lediglich Verfasser
und Verfasserinnen zu Wort, die dem „evangelikalen"
Lager angehören bzw. nahestehen. Man mag das insofern bedauern
, als dadurch ein zu stark eingeengtes Bild des Wirkungskreises
von Marshall entsteht. Andererseits aber wird auf diese
Weise lehrreiches Anschauungsmaterial dafür geliefert, daß die
sogenannte „evangelikale" Theologie im angelsächsischen
Bereich eine ungleich größere Bandbreite hat als im deutschen
Sprachraum. Aus dem letzteren stammen, neben einem Beitrag
von Rainer Riesner (Tübingen) lediglich noch zwei Aufsätze
von Dozenten der Freien Theologischen Akademie Gießen (im
Autorenregister fälschlich als "German Theological Seminary
Gießen" bezeichnet), denen eine konsequente Abstinenz gegenüber
historisch-kritischen Fragestellungen gemeinsam ist.
Solche Abstinenz ist der Mehrzahl der übrigen Beiträge fremd.
Als übergreifende Merkmale evangelikaler Theologie lassen
sich lediglich die Vorliebe für traditionelle Fragestellungen
sowie die Zurückhaltung gegenüber ungesicherten historischen
Hypothesen namhaft machen.

Zwischen den einzelnen Beiträgen gibt es erhebliche Niveauunterschiede
. Ich beschränke mich im folgenden auf die Nennung
derjenigen von ihnen, die m.E. besonderes Interesse verdienen
. Richard Bauckham (Jesus and the Wild Animals |Mark
1:13]: A Christological Image for an Ecological Age) führt den
überzeugenden Nachweis darüber, daß Mk 1,13 ein Bild jenes
messianischen Friedens entwirft, den das Kommen des Gottessohnes
in die Welt ankündigt und dessen Kennzeichen die Aufhebung
der Entfremdung und Feindschaft zwischen Mensch
und Tieren ist. Craig L. Blomberg ("Your Faith Has Made You
Whole": The Evangelical Liberation Theology of Jesus) führt
ein engagiertes Plädoyer für eine evangelikal akzentuierte
Theologie der Befreiung, deren Legitimation er im Wirken des
irdischen Jesus findet. R. T. France (Jesus the Baptist?) vertritt
die These, Jesus selbst habe die - als Initiation in die Gottesherrschaft
verstandene - Taufe geübt. Die (m.E. allerdings problematische
) Voraussetzung dafür ist, daß bereits die Johannestaufe
ein Initiationsritus gewesen sei, der die Zugehörigkeit
zum endzeitlichen Rest Israels vermittelt habe. Graham N.
Stanton (Jesus of Nazareth: A Magicion and a False Prophet
Who Deceived God's People?) weist in der synoptischen Überlieferung
Indizien dafür auf, daß Jesus von den Vertretern des
offiziellen Judentums seiner Zeit als falscher Profet angesehen
wurde, der die gesellschaftliche und religiöse Ordnung bedrohte
. Nach E. Earle Ellis (Deity-Christology in Mark 14:58) hat
Markus das ihm innerhalb des Prozeßberichtes vorgegebene
Tempellogion als kaum verhüllte Aussage über die Göttlichkeit
Jesu interpretiert. Peder Borgen (Jesus Christ, the Reception of
the Spirit, and Cross-National Community) nimmt, ausgehend

von Gal 3,1-5 und Apg 15,5-9, Stellung zu einem umstrittenen
Zentralproblem heutiger Paulusdeutung, nämlich der Antithese
von „Werken des Gesetzes" und „Geist". Paulus stelle nicht
Werke des Gesetzes im Sinne des eigenmächtigen Lebenscrsu-
ches des Menschen der Macht der göttlichen Tat gegenüber.
Das Thema des Galaterbriefes sei letztlich nicht die Rechtfertigungslehre
, sondern die Frage nach der Bedingung für den Eintritt
der Heiden in das Gottesvolk. Paulus beantworte sie durch
den Hinweis auf einen grundlegenden Paradigmenwechsel: Die
Heiden bedürfen der Beschneidung und damit der Unterstellung
unter den mosaischen Gesetzesbund nicht mehr, weil ihnen
nunmehr der Geist durch die Verkündigung des gekreuzigten
Christus zuteil wird. C.K. Barrett (Imitatio Christi in Acts) verweist
auf den überraschenden Umstand, daß in der Apg das
jesuanisch begründete Vorbild-Motiv nahezu völlig fehlt: "In
general... the apostles and their colleagues are wittnesses rather
than examples" (262). Rainer Riesner (James's Speech [Acts
15:13-21], Simeon's Hymn [Luke 2:29-321 and Luke's Sour-
ces) stellt die Möglichkeit zur Diskussion, daß der Apg 15.14
erwähnte Simeon mit dem gleichnamigen Priester der lukani-
schen Vorgeschichte identisch sei, wobei er diesen zugleich als
Verbindungsmann zwischen dem Urchristentum und der Qum-
ran-Gemeinschaft reklamieren möchte. Diese eigenwillige, mit
großem Aufwand an Gelehrsamkeit vorgetragene These ist
allerdings mit zu großen Unwahrscheinlichkeitcn belastet, als
daß sie überzeugen könnte. Gordon F. Fee (Christology and
Pneumatology in Romans 8: 9-1 I) will in Rom 8 Ansätze trini-
tarischen Denkens aufweisen. Ruth B. Edwards (The Christological
Basis of the Johannine Footwashing) macht sich mit bedenkenswerten
Argumenten für eine christologische Deutung
der Fußwaschung stark und rechnet mit der Möglichkeit, daß
hinter ihr ein sakramentaler Ritus der johanneischen Gemeinde
gestanden habe.

James D. G. Dunn nimmt die ntl. Christologie in ihrer Gesamtheit
in den Blick. Obwohl er die im Titel seines Beitrags
(The Making of Christology - Evolution or Unfolding?) gestellte
Frage nicht im Sinne einer Alternative beantworten will,
räumt er doch insgesamt der Entfaltung gegenüber der Evolution
den Vorrang ein: Die wesentlichen Ansatzpunkte für die ntl.
Christologie seien bereits im Judentum der Zeit Jesu angelegt
gewesen. Unter den den Band beschließenden systematischen
Beiträgen empfinde ich den von Anthony C. Thiselton (Christology
in Luke, Speech-Act Theory, and the Problem of Dualism
in Christology alter Kant) als besonders anregend. Er versucht,
die Sprechakt-Theorie von J. L. Austin and J. R. Searle für die
Erfassung der ntl. Christologie fruchtbar zu machen.

Erlangen Jürgen Koloff

Hempel. Johannes: Kirche wird auch in Zukunft sein. Vorträge
und Predigten. Zum 65. Geburtstag hrsg. vom Ev.-Luth.
Landeskirchenamt Sachsens. Leipzig: Evang. Verlagsanstalt
1994. 264 S. 8°. Kart. DM 29,50. ISBN 3-374-01525-5.

Johannes Hempel ist ungewöhnlich lange, 22 Jahre, von 1972
bis 1994, Landesbischof der Ev. luth. Kirche Sachsens gewesen
. Daß er über die Grenzen seiner Landeskirche hinaus im
Bund der Evang. Kirchen in der DDR, im Ökumenischen Rat
der Kirchen (von 1975 an und von 1983 bis 1991 als einer der 7
Präsidenten) und jetzt noch im Rat der EKD (als Stellvertreter
des Ratsvorsitzenden) mitgewirkt hat (bzw. mitwirkt), macht
ihn zu einer wichtigen Gestalt der kirchlichen Zeitgeschichte.

Zu seinem Abschied vom Bischofsamt (März 1994) legt das
Landeskirchenamt eine Auswahl seiner Synodalvorträge und
einige Predigten (zu öffentlichen Anlässen) vor. Die Texte werden
nicht kommentiert oder mit Einleitungen versehen. Sie sol-