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Ausgabe:

1995

Spalte:

379-380

Kategorie:

Kirchenrecht

Titel/Untertitel:

Staatliches Religionsrecht im europäischen Vergleich 1995

Rezensent:

Stein, Albert

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379

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 4

380

päpstlichen Vorbehalte für gesamtkirchlich wichtige Angelegenheiten
die Eigenständigkeit der Diözesanbischöfe nicht aushöhlen
, kann das Papstamt als Mittel und Zeichen, nicht als
Hindernis auf dem Wege ökumenischer Verständigung deutlich
werden (103). Ein Papst, der mit letzter Verbindlichkeit eine im
Widerspruch zur Lehre der Kirche stehende These letztverbindlich
vortragen würde, wäre nicht unfehlbar, sondern als ein
Häretiker automatisch abgesetzt (103ff m. Bei.).

Als Ortskirchenfamilien werden die Kirchenprovinzen (130ff.) und die
..Kirchenregionen" (praktisch die Bereiche der Bischofskonferenzen,
133ff.) in ihrer inneren Ordnung und wachsenden Bedeutung behandelt.
Daß es außerdem noch die besonderen eigenständigen Rechtskreise von mit
dem Papst verbundenen und relativ eigenständiger „Rituskirchen" gibt,
wird nur beiläufig erkennbar (20, 131 f.)- Soweit als Leser Katholiken vorausgesetzt
sind, ist eine nähere Behandlung von Besonderheiten der katholischen
orientalischen Kirchen allerdings verständlich. Nun schlägt aber der
Vf. als den kirchenrechtlichen Weg zur Wiederherstellung der kirchlichen
Einheit in versöhnter Verschiedenheit mit den getrennten Kirchen und
kirchlichen Gemeinschaften statt einer einfachen Rückkehr die Zuerken-
nung des Rechtsstatus einer Rituskirche vor (20). Als Anregung für die mit
Sicherheit zu erwartenden weiteren Auflagen wäre es im Interesse der evangelischen
Leser zu wünschen, wenn die Unterscheidung der gesamtkirchlichen
und der auf den lateinischen Ritus bezogenen Rechtsstellung des Papstes
und der gesamtkirchlichen Ämter deutlicher würde.

Die zahlreichen Angaben zu Quellen und Literatur sind nicht nur dem
Lernenden hilfreich. Das Fehlen eines Stichwortregisters wird durch die
übersichtliche Inhaltsgliederung weitgehend ausgeglichen.

Brühl Albert Stein

Puza, Richard, u. Abraham Peter Kustermann [ Hg.]: Staatliches
Religionsrecht im europäischen Vergleich. Freiburg/
Schweiz: Universitätsverlag 1993.197S.8° = Freiburger Veröffentlichung
aus dem Gebiete von Kirche und Staat, 40.
Kart. DM 34,-. ISBN 3-7278-0922-1.

Staatliches Religionsrecht bezeichnet hier und teilweise auch in
der heutigen Fachliteratur das von Staaten und deren Zusammenschlüssen
für die Kirchen und die anderen Religionsgemeinschaften
sowie für die Religionsfreiheit des einzelnen und sein
Verhältnis zur institutionalisierten Religion gesetzte Recht (9).
Traditionell bezeichnet man diesen Rechtsbereich als „Staatskirchenrecht
"1; das ist für Nichtfachleute manchmal mißverständlich
, weil es sich eben nicht nur auf die Rechtsstellung von
„Staatskirchen" bezieht. Was unter diesen Bezeichnungen abgehandelt
wird, hat für die kirchliche Praxis in vielfacher Hinsicht
Bedeutung. Ein Ereignis wie die gerade erlebte einseitige
Abschaffung des kirchlichen Büß- und Bettages als staatlich
geschützter Feiertag hat gezeigt, wie leicht sich kirchliche Stellen
über die Grenzen ihrer Rechtsstellung im Staate täuschen
können. Insbesondere die fortschreitende europäische Einigung
läßt fragen, ob die auf so vielen Gebieten des täglichen Lebens
spürbare legistische Vereinheitlichung und zugleich praktische
Verkomplizierung der Lebensverhältnisse auch auf die Stellung
der Kirchen übergreifen und gewohnte Schutzzonen durchlüften
könnte. Wer nicht schon „Berufseuropäer"2 oder wenigstens
auf das Thema fachlich spezialisiert ist, dem fällt dabei schon
die Gewinnung von verläßlichen Informationen oft schwer.

Es ist daher dankenswert, daß die katholische Akademie der
Diözese Rottenburg-Stuttgart ihr jährliches kirchenrechtliches
Kolloquium unter das Thema nun auch dieser, den Ertrag der
Veranstaltung zusammenfassenden Veröffentlichung gestellt
hat. Die Hgg. schildern eingangs den Verlauf dieser international
und hochqualifiziert besetzten Veranstaltung und stellen den
Gesamtertrag heraus (7-17).

In rechtsvergleichenden Übersichten behandeln die nun publizierten
Referate zunächst die Verhältnisse von vier, aus dem
Gesichtspunkt einer gewissen Typik ausgewählten Staaten. Das
französische Staatskirchenrecht wird nach seinen, keineswegs

homogen durchgeführten Prinzipien, nach seinen besonderen
Bestimmungen vor allem für die Departemente Rhin und Mo-
selle, sowie nach neueren Einzelregelungen für bestimmte Bereiche
kirchlicher Arbeit dargestellt (Francis Messner, 33-57).
Die Berichte über italienisches Staatskirchenrecht (Richard
Puza sowie Luciano Musseli, 59-84) sind besonders interessant
wegen der Schilderung der neuen „Misch-Kirchenfinanzierung"
durch das „otto per mille": acht Promille der staatlichen Einkommenssteuer
werden nach jeweiliger Wahl des Steuerpflichtigen
entweder einer von ihm ausgewählten Religionsgemeinschaft
oder aber dem Staat für dessen soziale und humanitäre
Zwecke zugewendet (70ff). Aus den Niederlanden wird berichtet
, wie der Staat die Kirchen für bisherige Staatsleistungen
finanziell abgefunden hat (Knut Walff, 95-98). Die Darstellung
des deutschen Staatskirchenrechtes beschäftigt sich unter Einarbeitung
auch neuester Literatur nach Schilderung der allgemeinen
verfassungsrechtlichen Lage besonders mit den Einzelproblemen
in den neuen Bundesländern, bringt aber auch noch
einen kurzen Ausblick auf die gegenwärtige religionsrechtliche
Situation des Islam in Deutschland (Heiner Marre, 99-114).

Mehrere Beiträge speziell zum Europarecht in seiner Bedeutung
für die Kirchen bringen nicht nur einen lesenswerten
Grundriß über das Europarecht insgesamt (Detlev Chr. Dicke,
131-176), sondern auch über die Bedeutung der Bewegung zur
Einheit Europas speziell in römisch-katholischer Sicht (Roland
Minnerath, 115-130) und für die Rolle der Kirchen im Europarecht
(Gerhard Robbers, 177-187). Danach ist im Augenblick
noch wenig an konkreten europarechtlichen Verpflichtungen
für die Kirchen oder ihre Werke und Einrichtungen vorhanden.
Die bereits bestehenden europarechtlichen Regelungen zur
europäischen Freizügigkeit, zum Arbeitsrecht, zum Datenschutz
und zur Ausschreibungspflicht von Großvorhaben belasten
die Kirchen kaum, eröffnen ihnen vielmehr neue Wirkungsmöglichkeiten
(184-186). Mit Recht betont aber Robbers
das Bedürfnis, Auffassungen der Kirchen im Normgebungspro-
zeß der Europäischen Gemeinschaft stärker zur Geltung zu
bringen. Bei dem zu erwartenden Näherrücken anderer als der
bisherigen deutschen Regelungsformen des Staats-Kirchen-
Verhältnisses sollten die Grundentscheidungen des deutschen
Staatskirchenrechtes erhalten bleiben, weil sie letztlich zur
Identität unserer Verfassungsordnung gehören (180).

Brühl Albert Stein

' Vgl. jetzt wieder Text und Titel des Handbuchs des Staatskirchenrechts
der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Joseph Listl und Dietrich Pir-
son, 2., neubearb. Aufl., Bd. I, Berlin 1994.

2 Als solche „Berufseuropäerin" der Evangelischen Kirche in Deutschland
weist der Pfarrerkalender 1995, S. 308. jetzt die in Brüssel akkreditierte
, beim Amt des Bevollmächtigten des Rates der EKD bei Bundesrepublik
und Europäische Gemeinschaft ressortierende Oberkircheniätin Heidrun
Tempel aus.

Von Personen

August Strobel zum 65. Geburtstag

Am 4. März 1995 wurde der Neutestamentier Professor Dr.
August Strobel 65 Jahre alt. Sein wissenschaftlisches Werk
beeindruckt durch die Vielfalt der Gebiete, die es umfaßt: Nicht
nur Arbeiten aus dem engeren Bereich neutestamentlicher
Theologie, sondern ebenso der Archäologie, der Kirchengeschichte
, des Alten Testaments, der biblischen Landeskunde,
der Liturgiewissenschaft und nicht zuletzt der heimatlichen
Lokalgeschichte finden sich dort. Dabei werden die Grenzen