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Ausgabe:

1995

Spalte:

356-358

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Theologen der Gegenwart 1995

Rezensent:

Weidhas, Annette R.

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 4

356

terisiert „Horizont und Anspruch der Arbeit als theologisch"
(11), weshalb sie ein nur philosophiehistorisches Vorgehen abweist
und stattdessen Malebranches theologiegeschichtliche
Relevanz erhellen, dann aber auch seine systematisch-theologische
Grundorientierung erschließen will. Somit geht es der Vfn.
um den Nachvollzug des Denkens Malebranches und vor allem
um die Bedeutung seiner auf Rationalität bezogenen Christolo-
gie: In ihr fallen Erkenntnis und Offenbarung ineins.

Bevor dieses Programm näher vorgestellt und in Augenschein
genommen wird, bietet es sich an, mit der Vfn. kurz
Nicolas Malebranche (1638-1715) vorzustellen, den sie mit
Recht und offenbar nicht nur in bezug auf das protestantische
Bewußtsein einen „Unbekannten" nennt (14). Es versteht sich,
daß in der Zielsetzung der Vfn. Biographie und Zeitgeschichte
Malebranches keine große Rolle spielen, obwohl doch auch aus
ihren Ausführungen deutlich wird, daß wir es mit einer relativ
zentralen Gestalt in der vielfältigen Erneuerungsbewegung des
französischen Katholizismus im 17. Jh. zu tun haben - immerhin
ist er verwickelt in die Auseinandersetzungen um den Jansenismus
und den Quietismus. Die Vfn. geht hier vielleicht ein
wenig zu schnell über den zeitgeschichtlichen Horizont hinweg,
wenn sie die erbitterten politischen, theologischen und geistlichen
Auseinandersetzungen um den Jansenismus als von Verurteilungen
begleitete Bastelei von Theologen am Begriff der
Gnade (15) charakterisiert - die theologische Auseinandersetzung
mit Antoine Arnauld beschreibt die Vfn. dann an einigen
Stellen wiederum sehr genau. Im allgemeinen Bewußtsein nun,
und dies wird auch aus der forschungsgeschichtlichen Problemanzeige
(18ff) noch einmal deutlich, tritt Malebranche hinter
Rene Descartes zurück, als dessen Epigone oder Bestreiter er
gesehen wurde und wird. Insofern ist es ein nicht unwesentliches
Verdienst der Vfn., Malebranche in Auseinandersetzung
mit der vorliegenden Sekundärliteratur in seinem eigenständigen
theologiegeschichtlichen Stellenwert dargestellt zu haben.
Dabei leistet sie auch eine theologiegeschichtliche Einordnung,
sowohl im Horizont der Augustinus-Rezeption als auch im
Rahmen der Auseinandersetzungen um den Ontologismus im
19. Jh., bei denen Malebranche noch einmal eine Rolle spielt.

Die Vfn. formuliert im Titel ihrer Abhandlung, was sie als
„Grundgestalt" von Malebranches Denken ausmacht. Sie erschließt
diese durch eine systematische Kommentierung der
beiden Hauptwerke des Autors, nämlich der noch stark von
Descartes beeinflußten »Recherche de la Verite« von 1674 und
den »Entretiens sur la Metaphysique et sur la Religion« von
1688. Die in den Anmerkungen reichlich mitgeteilten Quellenbelege
sind dabei überaus hilfreich. Sichtbar wird im Gang der
Darstellung die Zentrierung des erkenntnis- und wahrheitstheo-
retischen Denkens Malebranches in der Christologie, wobei
damit letztlich immer die Inkarnation des Logos gemeint ist.

In ihrem 1. Hauptteil (Kap. 2) geht die Vfn. der Grundlegung
des Systems in der »Recherche de la Verite« nach. Der Deutung
des inkarnierten Logos als der inkarnierten Vernunft kommt dabei
entscheidende Bedeutung zu, denn hier begegnet die von
der Vfn. im Titel genannte „Vernunft in Leiblichkeit" und
ermöglicht dem Menschen die Erkenntnis der Wahrheit. Ist so
schon die christologische Vermittlung des rationalen Systems
Malebranches im Grundzug angesprochen, zeigt die Vfn. weiterhin
die Differenzen gegenüber dem cartesianischen Modell
auf. Ein zentraler Unterschied liegt nun darin - und dies zu zeigen
, berührt das fundamentaltheologische Grundanliegen der
Vfn. - daß es Malebranche gelingt, unter den Bedingungen neuzeitlichen
Denkens theologische Argumentation in die philosophische
Begründung der Wahrheitserkenntnis zu integrieren
(128). Damit ist aber auch eine Korrelation von Vernunft und
Glaube, von Erkenntnis und Offenbarung, ja von Rationalität
und Mystik angesprochen (130) - ein Motiv, das in der Arbeit
häufiger begegnet.

Der 2. Hauptteil (Kap. 3) analysiert die in den »Entretiens«
zu sehende Vollgestalt des christologisch begründeten Systems.
Das Geschehen der Inkarnation erschließt sich dabei als Eingehen
des Logos in die Geschichtlichkeit und Leiblichkeit des
Menschen. So kommt es in der Geschichte, ja in der Geschichte
von Schöpfung, Fall und Eschaton zur Erschließung der Raison
universelle als Raison incarnee (292). Die Suche nach Wahrheit
wird nun ermöglicht als „perichoretische Beziehung von Gott
und Mensch" (307). Als Schlüssel für Malebranches Denken
wird zusätzlich das Motiv der »gloire de Dieu« benannt, das
eine trinitarische Selbstverherrlichung Gottes beschreibt, in die
der Mensch durch seinen Vernunftgebrauch im Sinne einer
Nachfolge des „gedemütigten Wortes" hineingenommen wird,
die aber erst im Eschaton zur Vollendung kommt.

In einem Epilog bündelt die Vfn. ihren theologiegeschichtlichen
und theologischen Ertrag - der im übrigen weit über die
hier skizzierte Entfaltung der zentralen These hinausgeht -
indem sie noch einmal die innere Beziehung von Theologie und
Philosophie hervorhebt. Wenn also das Vernunfldenken im
Nachvollzug des inkarnierten Logos steht, dann ist Rationalität
an Jesus Christus gebunden und erschließt sich von hier aus der
Philosophie und Theologie gleichermaßen. So wird die Theologie
in die Philosophie eingeholt, weil Vernunft überhaupt ein
Nach-Vollzug Gottes und der Inkarnation ist (438), und so identifiziert
die Vfn. Malebranche als genuinen Theologen.

Ob damit die Offenbarung Gottes in Jesus Christus sachgerecht
beschrieben ist, hat die Vfn. nicht klären müssen. Die im
Vorwort angesprochene theologische Relevanz und Kompetenz
Malebranches war hier nur in fundamentaltheologischer Hinsicht
zu erhellen. Ein ganz anderes Problem liegt in der Paralle-
lisierung, die Malebranche zwischen der Vernunft und dem
Glauben als einem an der Lehre der Kirche orientierten Glauben
vollzieht ( 408ff). Dies ist doch, ebenso wie die Verortung der
göttlich-menschlichen Kommunikation in der Kommunion
(400) eine auffällige Spitzenthese, durch die neben Vernunft
und Glaube nunmehr Kirche, Tradition und Autorität einen
hohen Stellenwert gewinnen. Somit mag die von der Vfn. herausgearbeitete
Verwurzelung Malebranches im Oratorium
Pierre de Berulles nicht nur Bedeutung für den mystischen Zug
in seinem Denken gehabt haben, sondern auch für sein Kirchenbild
. Berulle und seinen Oratorianern verdankt der französische
Katholizismus des 17. und 18. Jh. ja nicht nur eine neue Spiritualität
, sondern auch eine Erneuerung des Priesterstandes und
der eucharistischen Frömmigkeit (daraufgeht die Vfn. unter 3.3
ein), damit aber auch der Kirche. Die Vfn. rekurriert selbst darauf
(z.B. 41) und relativiert ihre Absetzung der Rationalität Malebranches
von der Mystik der Oratorianer (z.B. im Hinblick
auf die Vision de Dieu, 180) durch die Feststellung, die Bedeutung
der Gestalt Jesu Christi und des Motivs der Ehre Gottes bei
den Oratorianern hätten „Malebranches Denken die eigentümliche
Struktur gegeben" (312). Diese kirchenhistorischen Marginalien
sollen das durch sorgfältige systematische Reflexionen
erworbene Verdienst der Vfn. um die Erschließung Malebranches
für die Theologie und die Theologiegeschichte in keiner
Weise schmälern.

Kiel Klaus Hitschen

Ford, David F. [Hg.]: Theologen der Gegenwart. Eine Einführung
in die christliche Theologie des zwanzigsten Jahrhunderts
. Deutsche Ausg. ed. u. übers, von Ch. Schwobei.
Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1993. 359 S.
gr.8Q. Kart. DM 48,-. ISBN 3-506-72599-8.

Das vorliegende Buch hat sich zum Ziel gesetzt, „eine Einführung
in das Denken der führenden Theologen der Gegenwart