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Ausgabe:

1995

Spalte:

346-349

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Dörfler-Dierken, Angelika

Titel/Untertitel:

Die Verehrung der heiligen Anna in Spätmittelalter und früher Neuzeit 1995

Rezensent:

Hasse, Hans-Peter

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Theologische Literalur/.eitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 4

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wird zunächst als .formaler Parallelismus' in fünf Einheiten bestimmt
(39-63. 204-209 .Beilage' unter den Titel .Struktur-,
obwohl die Abschnitte nur quantitativ synoptisch als .Symmetrien
' nebeneinander gestellt werden). Dieser soll dann auch
inhaltlich als Parallelismus thematischer Einheiten nachgewiesen
werden (85-138): A 1,12-26 ► 3,1-16 (Paulus, ein Nachahmer
Christi); B 1,27-30-*3,17-21 (Das politische Leben in Christus
); C 2,1-4 ► 4,1-3 (Konkurrenzkampf leitender Frauen); D
2,12-18 ► 4,4-9 (Unverfügbarkeit des Heils); E 2,19-30 ►
4,10-20 (Das große Lob).

Da sich 3,1a „weder in e1 noch in a2 befriedigend integrieren
laßt" (57f), wird ihm eine Doppelfunktion als .Zentrum' zugesprochen
(61 ff. 82-85 „Das Thema der Freude am Herrn" als
..Nachahmung Christi"; „Grund zur Freude im Herrn ist die gelebte
Gesinnung Christi"). Davon wird 3.1b strikt abgesetzt als
nun freie, kataphorische Einführung der gesamten folgenden
symmetrischen Wiederholung der fünf Einheiten (56f). Darüber
hinaus wird als weiteres „Zentrum" und „thematische Mitte"
das als „paulinisch" und als „Hymnus" verstandene Christus-
Enkomion samt seiner Einleitung (2.5-11) bestimmt, da es
„genau zwischen c' (2,1-4) und c-' (also 4,1-3!?) „zu stehen"
kommt (58: „Da C aber der dritte von fünf Parallelismen ist.
seine Mitte aber durch 2,5-11 gebildet wird, steht der Hymnus
genau in Zentrum des Briefkorpus mit seinen fünf parallel
gebauten Grundthemen. Der Hymnus ist somit das exakte thematische
Zentrum des Briefes." Eine solche zirkuläre Argumentation
, die unter der Hand mit wechselnden Kriterien arbeitet
, setzt sich der Tendenz zur Selbstbestätigung der Prämisse
aus und wird auf die Dauer einer streng makrotextuellen Gel-
tungsprülung kaum standhalten können). Diese thematische
Mitte wird mit der Formel „Gesinnung Christi" bestimmt (64-
69), ja sogar als „die Gesinnung, die in Jesus Christus war"
(79). Ein solches Präteritum hat keinen Anhalt an 2,5; und das
Paulinische „in Christus", das immer auf ein Handeln Gottes
weist, ist als soteriologische Präsenz zu bestimmen (das De-
nionstrativum 2,5a weist nur auf das Relativum 2,5b vor, wie
dieser Satz auf 2.1 als die bei den Adressaten vorhandene Tatsache
zurückweist). .Gesinnung Christi' ist keine paulinische Kategorie
und auch kein möglicher Sammelbegriff für Phil 2,6-11.
Dagegen wird als Leitmotiv angenommen: „Der Weg Christi
wird den Gläubigen als Vorbild dargestellt" (81 und 71; 81 auf
einen bloß „quantitativen Unterschied" zwischen Christus und
den Christen abgehoben!); dieses wird in allen Symmetrieteilen
gesucht und vermeintlich gefunden (69-81 wie 85 ff im thematischen
Teil, wobei diese Grundthese in ständiger Wiederholung
dem Autor zwar bestätigend erscheint, dem Leser aber als aufgeprägtes
Schema je länger desto fragwürdiger werden dürfte).
Unter dem (überdehnten) „Schlüsselbcgriff der Selbsterniedrigung
" (81) wird nicht nur aktives Handeln, sondern auch passives
Ergchen verortet, was oft zu ungerechtfertigten Ethisicrun-
gen führt. Wenn gar noch die .Erhöhung' nicht als spezifisch
christologische. sondern generell „soteriologische Konsequenz."
erscheint (69f. 81 f. 68 "as a reward for his sclf-abasemcnt and
suffering"), dann wird Paulus doch eine konditionierte Sotcrio-
logie dtn. Prägung unterstellt, die der Christologie der neu-
schöpferischen Auferweckung von den Toten (und auch diese
ist paulinisch nicht „Einsetzung des Sohnes in die Stellung des
Vaters" 69) wie der ihr entsprechenden Soteriologie der Ge-
rechtmachung des Gottlosen zuwiderläuft. Wo hätte Paulus seine
und der Christen „soteriologische Erhöhung" strictu sensu
erwartet'.' Schließlich wird noch Koinonia als „drittes zentrales
Thema des Briefes" ausgemacht (142-148) und sogar als „das
übergeordnete theologisch-inhaltliche Thema" bestimmt (149-
151), das die ,Freude im Herrn' wie die .Gesinnung Christi' als
komplementäre Pole zusammenfassen soll (14). Diese Art Systematisierung
scheint mir gezwungen und wird wohl am wenigsten
einleuchten können.

Der Anspruch der Arbeil. der in einer „Sackgasse" gesehenen
Exegese des Phil „einen möglichen Ausweg aus dieser unbefriedigenden
Lage gezeigt" zu haben (31 f. 193), kann durch das
..Kunstwerk" eines symmetrischen Parallelismus (mit fraglichen
Abgrenzungen wie Zuordnungen) und des drei .Grundthemen
'-Systems nicht überzeugend eingelöst werden. Der älteste
Archetyp der Handschriften darf auch nicht als „kanonisch
überlieferte Kohärenz" (111. 33) ausgegeben werden, zumal
wenn der „Laodizenerbrief auf Phil ohne 3,2-4,1.10-20 aufbaut
(vgl. P. Sellew, HTR 87 |1994| 17-28). Auch rhetorische Integrität
würde noch keine literarische Integrität garantieren.

Saarbrücken Wolfgang Schenk

Kirchengeschichte: Mittelalter

Dörfler-Dierken, Angelika: Die Verehrung der heiligen
Anna in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht 1992. .387 S. gr.8w = Forschungen
zur Kirchen- und Dogmengeschichte. 50. Kart. DM 108.-.
ISBN 3-525-55158-4.

Berühmt ist Luthers in den Tischreden mitgeteilte Erinnerung,
daß er als junger Mann in der Nähe von Stotternheim von einem
Gewitter überrascht wurde und spontan ausgerufen habe: ..Hilft'
du, S. Anna, ich wil ein monch werden!" (WA TR 4. 440. 9 f
|47()7; Anton Lauterbachs Tagebuch, 1539)). Daß sich in den
Jahrzehnten vor der Reformation der Annenkult schwunghaft
ausbreitete, ist oft genug festgestellt worden. Keineswegs
herrscht jedoch Klarheit darüber, wie es dazu kam, wer die
Initiatoren und Träger der Annenverehrung waren, welche Erwartungen
an die Heilige gestellt wurden und wie dieses Phänomen
insgesamt historisch einzuordnen und zu bewerten ist. Diesen
Fragen stellte sich die vorliegende, von A. Martin Ritter betreute
Heidelberger Dissertation, die für den Druck geringfügig
gekürzt und überarbeitet wurde.

Zum Beginn des einführenden eisten Kapitels wird festgestellt
: „Wenn Gott ganz Mensch geworden ist, dann muß er -
nach Menschenart - nicht nur eine Mutter, sondern auch eine
Großmutter haben. Die Verehrung der Großmutter Jesu gehört
zu den auffälligsten Erscheinungen des religiösen Lebens der
Jahrzehnte vor der Reformation." (13). Nachdem 1.300 Jahre
lang lediglich der Name Annas im Zusammenhang mit der Gc-
burtsgeschichte Marias tradiert wurde, stand nun die „beata avia
Christi'' nicht mehr im Schatten ihrer Tochter und wurde einer
eigenen Legende gewürdigt.

Die Vfn. weist darauf hin, daß es in der Geschichte der Ha-
giographie - abgesehen von Maria - keine weitere Parallele gebe
, daß Mutterschaft zur Begründung der Verehrung einer Frau
als Heiliger geführt habe (14).

Nach einem Überblick zur Forschungslage begründet die
Vfn. die Auswahl der Quellen - eine entscheidende Weichenstellung
für den Gang der Arbeit! Ausgeschlossen wurden
nichtliterarischc Quellen und materiale Zeugnisse der Frömmigkeitspraxis
wie Bilder, Statuen etc.. sowie Gebetbücher und
liturgisch-hymnische Texte. Nach Meinung der Vfn. waren
Gebetbücher bereits von einem gängigen Kultbild geprägt und
wirkten daher kaum im Sinne einer ..Kultpropaganda". Da in
liturgischen Texten Anna vorwiegend als Mutter Marias gelobt
wird, seien diese eher als Zeugnisse der Marien- als der Annenverehrung
anzusehen. Gegenstand der Untersuchung sind dagegen
zum Lob der hl. Anna verfaßte Texte, Legenden und Lobreden
, deren Verfasser das Kultbild der Heiligen mit Hille des
neuen Mediums Buchdruck „propagierten" (Zeitraum: ca.